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Die 16. Ausgabe des NIFFF

Mit der 16. Ausgabe des Festivals für den Fantastischen Film in Neuenburg (NIFFF 2016, 1. – 9. Juli) hat sich die Organisation nicht nur den lan­ge geheg­ten Wunsch erfüllt, die Genre-Ikone John Carpenter als gela­de­nen Gast prä­sen­tie­ren zu kön­nen, son­dern auch das Versprechen ein­ge­löst, dass die Qualität der aus­ge­wähl­ten Werke einem hohen Standard genügt, obschon es nur weni­ge davon in das regu­lä­re Kinoprogramm schaf­fen wer­den.

Die Auswahl der Filme für die dies­jäh­ri­ge Ausgabe, so hat­te die künst­le­ri­sche Leiterin Anaïs Emery im Vorfeld des Festivals betont, sei beson­ders schwie­rig gefal­len auf Grund der Vielzahl von sorg­fäl­ti­gen Produktionen, inno­va­ti­ven Erzählformen und Inhalten im aktu­el­len unab­hän­gi­gen Genre-Kino. Das hat sich auf das Programm sicht­bar aus­ge­wirkt, und es blei­ben unzäh­li­ge Eindrücke und Erinnerungen eines reich­hal­ti­gen Festivals, das mit run­den 37’000 Besuchenden der Vorstellungen den letzt­jäh­ri­gen Rekord-Zuspruch bestä­tigt hat. Als neue Sektion, neben dem inter­na­tio­na­len Wettbewerb, den Kurzfilm-Programmen, «New Cinema from Asia», den «Films of the Third Kind» und «Ultra Movies», wur­de mit «Amazing Switzerland» ein Gefäss für das ein­hei­mi­sche Schaffen im Genre-Bereich ein­ge­führt. Zudem wur­de unter dem Titel «El Dorado» ein Panorama des latein­ame­ri­ka­ni­schen Genre-Films prä­sen­tiert, mit einem aktu­el­len und einem geschicht­li­chen Teil, aus­ge­wählt von Adrián Garcia Bogliano, Regisseur aus Spanien, der vor allem in Mexiko und Argentinien arbei­tet, bis­her selbst am NIFFF 2013 mit «Here comes the Devil», 2014 mit «Late Phases», und 2015 mit «Scherzo Diabolico» ver­tre­ten. Für die­je­ni­gen, die am längst aus­ver­kauf­ten Anlass teil­neh­men durf­ten, wird auch das exklu­si­ve Konzert von John Carpenter unver­gess­lich blei­ben, der mit einer Band nicht nur Musik aus sei­nen Filmen, auch Stücke sei­ner «Lost Soundtracks» live auf die Bühne brach­te. Der Ehrengast wur­de über­dies mit einer umfas­sen­den Retrospektive aus 18 sei­ner Filme geehrt, von «Dark Star» (1974) und «Assault on Precinct 13» (1976) über «Halloween» (1978), «Escape from New York» (1981) und «The Thing» (1982) bis hin zu «The Ward» (2010).

In einem star­ken inter­na­tio­na­len Wettbewerb gewann den Preis H.R. Giger «Narcisse» für den besten Film der in London leben­de Iraner Babak Anvari mit sei­nem ersten lan­gen Spielfilm «Under the Shadow», einem mit mini­ma­len Mitteln, dafür mit gros­sem Gespür für Zwischentöne und Timing gestal­te­ten Kammerspiel, ange­sie­delt in Teheran 1988, wäh­rend dem Iran-Irak-Krieg. Nahezu die gan­ze Geschichte spielt sich in der Wohnung einer jun­gen Frau und ihrer Tochter, und im zum Haus gehö­ren­den Luftschutzkeller ab. Subtil zeigt Anvari das Abgleiten der voll­kom­men ratio­nal den­ken­den Frau, der das Arzt-Studium auf­grund von poli­ti­schen Aktivitäten wäh­rend der Revolution ver­wehrt bleibt, und deren Mann, ein Arzt, zum Frontdienst ein­be­ru­fen wor­den ist, in den durch die stän­di­ge, rea­le Angst genähr­ten Aberglauben, wie ein Nachbar ver­mu­tet befän­de sich ein Djinn, ein bös­wil­li­ger Geist im Haus, der von den Seelen der Menschen Besitz nimmt und sie in den Wahnsinn treibt. – Den sil­ber­nen Méliès für den besten euro­päi­schen fan­ta­sti­schen Film erhielt der Däne Christian Tafdrup für «Parents», für ein­mal das Gegenteil einer Coming of Age-Story: Als ihr Sohn aus­zieht, löst dies bei den Eltern eine Sinnkrise aus, der sie begeg­nen, indem sie in die Wohnung zurück­keh­ren, die sie wäh­rend ihrer Studienzeit bewohnt hat­ten. Dass sie über Nacht tat­säch­lich dreis­sig Jahre jün­ger wer­den, nimmt der Regisseur zum Anlass, Vergangenheit und Gegenwart in ver­schie­de­ne Realitätsebenen zu ver­set­zen, eine sur­re­al ange­hauch­te Reflexion zu Familie, Identität und Alter anzu­stel­len, gewürzt mit dem typisch nor­di­schen, trocke­nen Humor vol­ler Melancholie. – Gleich drei Preise, den­je­ni­gen der inter­na­tio­na­len Filmkritik, «Imaging the Future» für das beste Produktionsdesign und den Publikumspreis, konn­te der Überraschungserfolg am dies­jäh­ri­gen Sundance-Filmfestival «Swiss Army Man» des Regie- und Autoren-Gespanns Daniel Scheinert und Dan Kwan aus den USA, kurz Daniels genannt ent­ge­gen­neh­men. Als hät­te ihnen Charlie Kaufman über die Schulter geschaut, ent­wer­fen sie die wohl absur­de­ste Geschichte, die die­ses Jahr über die Leinwand flim­mern dürf­te, mit Paul Dano als des Lebens müder, auf einer Insel Gestrandeter, und Daniel Radcliffe als ange­schwemm­te Leiche, deren Nützlichkeit die Lebensgeister im kurz vor dem Selbstmord ste­hen­den Robinson wie­der zu wecken ver­mag. Dass der Tote näm­lich unter Blähungen lei­det, Erektionen hat und spre­chen kann, eröff­net dem unfrei­wil­li­gen Inselbewohner ver­schie­de­ne Möglichkeiten, ihn auf freund­schaft­li­che Art zu viel­sei­ti­gem Gebrauch zu ver­wen­den, wie ein Sackmesser eben, zum Überleben, gar zur Flucht von der Insel ver­hel­fend. Mit ange­sichts der Vorgaben über­ra­schend fein­sin­ni­gem Humor, unge­zü­gel­ter Phantasie, und einer gehö­ri­gen Portion Poesie schafft das sicht­lich gut gelaun­te Team eine mit beschei­de­nen Mitteln in fünf Wochen in natür­li­cher Umgebung gedreh­te, skur­ri­le Perle die­ses Filmjahres. – Der Preis der Jugendjury des Gymnasiums Denis-De-Rougemont ging die­ses Jahr an den Engländer Christopher Smith und sei­nen in den Staaten gedreh­ten, ele­gan­ten Neo-Noir Thriller «Detour». Der Regisseur und Autor, bis­her in den ver­schie­den­sten Sparten aktiv, am NIFFF 2006 mit der Gore-Satire «Severance» ver­tre­ten, 2010 für sein mit­tel­al­ter­li­ches Beulenpest-Drama «Black Death» mit dem Publikumspreis bedacht, hat hier ein moder­nes Road Movie geschaf­fen, des­sen Drehbuch von Jim Thompson stam­men könn­te, das Spiel mit den Konventionen gekonnt mit über­ra­schen­den Wendungen durch­bre­chend, den spar­sam ein­ge­setz­ten Split-Screen auf inno­va­ti­ve Art in die Erzählung ein­bin­dend. – Zum besten Film aus Asien schliess­lich wur­de der düste­re Thriller aus den Philippinen «Honor Thy Father» von Erik Matti gekürt. Als ein Patriarch stirbt, fliegt des­sen mil­lio­nen­schwe­rer Finanz-Scam auf, der den Zorn der gan­zen Dorfbewohnerschaft, die dabei ihr Erspartes ver­lo­ren hat, auf sei­nen unschul­di­gen Schwiegersohn zieht, des­sen Familie eben­falls in den Bankrott und an den Rand des Abgrunds gedrängt wird. In die span­nen­de Thriller-Handlung mischt sich unüber­seh­bar die beis­sen­de Kritik an der Rolle, wel­che die Religion in den Philippinen spielt.

Nachdem sein US-Debut «Stoker» 2013 das Festival eröff­net hat­te, steu­er­te Chan-wook Park mit dem wie­der in der Heimat Südkorea pro­du­zier­ten «The Handmaiden» den dies­jäh­ri­gen Abschluss-Film bei. Die Adaption des Romans «Fingersmith» von Sarah Waters (2002) trans­por­tiert die Handlung vom vik­to­ria­ni­schen England in die 30er-Jahre nach Südkorea. Die Geschichte um ein Intrigenspiel, das Zugriff auf das Vermögen einer rei­chen Erbin ver­schaf­fen soll, schul­det wie­der­um viel dem Kino eines Alfred Hitchcock, und spielt in Bezug auf die Ästhetik in einer Liga für sich. – Herausragend auch der Animationsfilm «Seoul Station» von Landsmann Sang-ho Yeon aus dem asia­ti­schen Wettbewerb. Die Geschichte um einen Vater, der in den Wirren einer aus­bre­chen­den Epidemie nach sei­ner Tochter sucht, trans­por­tiert eine unmiss­ver­ständ­li­che poli­ti­sche Botschaft. – Die Grenzen zwi­schen Gut und Böse ver­wischt der für das Kino Indiens sehr unty­pi­sche, düste­re Thriller «Psycho Raman» von Anurag Kashyap. Ohne Auflockerung durch Gesangseinlagen und beglei­ten­de Tänze wird ein psy­cho­pa­thi­scher Serienmörder einem kok­sen­den, kor­rup­ten Kommissar gegen­über­ge­stellt. – Gleich zwei Psychopathen mit Sniper-Gewehren trei­ben im Grenzgebiet von Mexiko und den Vereinigten Staaten ihr Unwesen. In «Desierto» des Mexikaners Jonás Cuarón, Sohn von Alfonso Cuarón und Mitautor von des­sen Oscar-gekrön­tem «Gravity» (2013), ist es ein texa­ni­scher Redneck, der mit sei­nem furcht­ein­flös­sen­den Hund «Tracker» erbar­mungs­los Jagd auf ille­ga­le Immigranten aus Lateinamerika macht, wobei ihm die Gruppe um Gael García Bernal ins Zielfernrohr gerät. «Welcome to the Land of the Free», mur­melt er, bevor er zum ersten Mal abdrückt. In «Carnage Park» von Mickey Keating flüch­ten zwei Kleinkriminelle nach einem miss­glück­ten Banküberfall mit einer Geisel in die Wüste, wobei sie auf das Grundstück eines mör­de­ri­schen, ehe­ma­li­gen Snipers der US-Armee gera­ten. Beide Filme bril­lie­ren unter ande­rem durch die Inszenierung der gran­dio­sen Wüstenlandschaft. – Einen völ­lig ande­ren Ton schlägt eine wei­te­re US-Produktion, «The Transfiguration» von Michael O’Shea an. In einem tri­sten Wohnblock in Queens, New York, lebt der afro-ame­ri­ka­ni­sche Waisenjunge Milo, des­sen Hauptinteresse dem Vampirismus gilt. Während sei­ne Vorliebe bei «rea­li­sti­schen» Interpretationen wie «Near Dark» oder «The Lost Boys» liegt, wobei er vor allem «Let the Right One In» von Tomas Alfredson (NIFFF 2008) ver­ehrt, zieht die Nachbarin, die er ken­nen­lernt, «Twilight» vor. Als die­se fest­stellt, dass Milo tat­säch­lich Leute umbringt, um ihr Blut zu trin­ken (wonach er regel­mäs­sig kot­zen muss), kommt es zum das Herz bre­chen­den Konflikt. – Ein düste­rer Realismus durch­zieht auch das Thriller-Drama «The Ardennes» aus Belgien, die erste Regie-Arbeit von Robin Pront, wobei die Art der Inszenierung eher auf einen erfah­re­nen Regisseur schlies­sen lies­se. Zwei Brüder wer­den bei einem Einbruch erwischt, der eine kann flie­hen, der ande­re wan­dert für vier Jahre hin­ter Gitter. Kaum draus­sen, nimmt er sei­ne kri­mi­nel­le Laufbahn wie­der auf, und ver­sucht, sei­ne ehe­ma­li­ge Freundin zurück­zu­ge­win­nen. Das Wissen dar­um, dass die­se nun im Begriff ist, mit sei­nem Bruder ein neu­es Leben zu begin­nen, wird ihm lan­ge vor­ent­hal­ten, was unwei­ger­lich zur Katastrophe führt. – Erwähnenswert ist mit «Blind Sun» von Joyce A. Nashawati auch ein wei­te­res Erstlingswerk. Angesiedelt in Griechenland in einer nahen Zukunft, herrscht eine uner­bitt­li­che Hitzewelle, Waldbrände und Wassermangel beherr­schen das Leben der Menschen. Ein mul­ti­na­tio­na­ler Konzern mit Namen «Bluegold» macht sich die Verhältnisse zu Nutze, und ver­kauft fleis­sig Wasser. Ein Mann mit Migrationshintergrund über­nimmt die Aufgabe, wäh­rend der Abwesenheit der Besitzer-Familie zu einer Villa zu schau­en. Nicht nur, dass sich bei einer Routine-Kontrolle der Polizei her­aus­stellt, dass etwas mit sei­ner Arbeitsbewilligung nicht ganz stimmt, auch die andau­ern­de Hitze und der Wassermangel, der damit ver­bun­de­ne Realitätsverlust machen ihm die Anstellung, trotz der luxu­riö­sen Umgebung, all­mäh­lich zum Albtraum. – Es stimmt zuver­sicht­lich, wie vie­le Debut-Spielfilme am dies­jäh­ri­gen Festival prä­sen­tiert wur­den, die einen mit Spannung auf die wei­te­ren Arbeiten der Verantwortlichen war­ten las­sen. Auch jenes von Osgood Perkins, dem Sohn von Anthony Perkins, dem Schauspieler, der unter ande­rem in Alfred Hitchcocks «Psycho» als Norman Bates und als Josef K. in der Verfilmung von Kafkas «Der Prozess» durch Orson Welles Bekanntheit erlangt hat­te. Mit «February» legt er einen stil­len, poe­ti­schen Film vor, der geschickt mit den Codes des Horror-Kinos spielt, um tief in das Innere sei­ner Figuren zu drin­gen. Viel zur atmo­sphä­ri­schen Dichte des psy­cho­lo­gi­schen Kammerspiels trägt eine her­vor­ra­gen­de Tonspur bei, wel­che vor allem aus mit zurück­hal­ten­der, elek­tro­ni­scher Musik unter­leg­ten Geräuschen besteht. – Auch die eigen­wil­li­ge Mischung aus Krimi-Komödie und Superhelden-Parodie «Lo Chiamavano Jeeg Robot» des Italieners Gabriele Mainetti, wel­cher bis­her mit einer Reihe von Kurzfilmen in Erscheinung getre­ten ist, lässt nicht dar­auf schlies­sen, dass es sich dabei um den ersten Spielfilm des Regisseurs han­delt. Sozialer Kommentar, eine Hommage an den Giallo, japa­ni­sche Animes und ame­ri­ka­ni­sche Noir-Thriller ver­bin­den sich in einem moder­nen Märchen, wel­ches zwi­schen locke­rem Humor und expli­zi­ter Brutalität pen­delt, zu einem stim­mi­gen Ganzen. – Auch wei­te­re Referenzen an die 60er- und 70er-Jahre kamen nicht zu kurz, etwa in «Los Parecidos» von Isaac Ezban aus Mexiko, der aus den Bezügen zu ein­schlä­gi­gen B‑Pictures, dem Kino eines Hitchcock oder Carpenter, «The Invasion of the Body Snatchers» (1956 und 1978), und Episoden aus «Twilight Zone» kei­nen Hehl macht, um sei­ne zeit­los anmu­ten­de, schau­er­lich-wit­zi­ge Gesellschafts-Satire zu insze­nie­ren. – Einen Kommentar auf die Wirtschaftskrise lie­fert «Chonqing Hot Pot» von Yang Qing aus China, wel­cher eine Gruppe von Freunden, die um das Überleben ihres Restaurants kämp­fen, zwi­schen die Fronten von Bankräubern und der die­se bela­gern­den Polizei gera­ten lässt. – Eine ähn­li­che, für das asia­ti­sche Kino cha­rak­te­ri­sti­sche Verbindung von leich­ten, komö­di­an­ti­schen Untertönen und einer mit Gewaltdarstellungen nicht spa­ren­den Handlung bringt auch der ele­gan­te «Bitcoin Heist» von Ham Tran auf die Leinwand. Der viet­na­me­si­sche Thriller um die Jagd nach einem kri­mi­nel­len Hacker braucht einen Vergleich mit den Filmen um Danny Ocean nicht zu scheu­en. – Ebenfalls in den Cyberspace ent­führt «Creative Control» des Amerikaners Benjamin Dickinson aus New York. In gepfleg­ten Schwarzweissbildern erzählt der Autor, Regisseur und Hauptdarsteller die Geschichte der Testphase eines Augmented Reality-Projekts, in dem eine Brille in eine Parallelwelt ein­tau­chen lässt. – Auch alte Bekannte des Festivals waren an der dies­jäh­ri­gen Ausgabe ver­tre­ten, etwa Kevin Smith mit «Yoga Hosers», einer über­dreh­ten Klamotte mit sei­ner und der Tochter von Johnny Depp, der selbst als schrul­li­ger, schie­len­der Detektiv mit fran­zö­si­schem Akzent auf­tritt und kaum zu erken­nen ist. Dass es um den Fluch Menschen mor­den­der Killer-Nazi-Würste geht, deu­tet in etwa auf den Tiefgang hin, den Smith anstrebt. – Auch Álex de la Iglesia geht es in «Mi Gran Noche» vor allem um den Klamauk in sei­ner tem­po­rei­chen Medien-Satire. Während der chao­ti­schen Produktion einer nicht nur für Spanien typi­schen Live-TV-Show gera­ten Statisten, Techniker, Stars und Moderatoren anein­an­der, wäh­rend aus­ser­halb des Studios eine Revolte tobt. – Auch in «Scare Campaign» des austra­li­schen Regie-Gespanns von Colin und Cameron Cairnes geht es um eine Fernseh-Livesendung, die um Einschaltquoten kämpft, indem sie ver­meint­lich rea­len, mit ver­steck­ter Kamera gefilm­ten Horror auf den Bildschirm bringt. Was eine Kritik an moder­nen Sehgewohnheiten hät­te wer­den kön­nen, ist jedoch eine all­zu vor­her­seh­ba­re Slasher-Komödie, die zu sehr auf Gore-Effekte setzt, und so jeg­li­che Anklage an ein sen­sa­ti­ons­gei­les Publikum ins Leere lau­fen lässt. – Witziger und sub­ti­ler ist da der im Marschland der Küste Hollands ange­sie­del­te «Schneider vs. Bax» von Alex van Warmerdam, in dem ein hin­ter­häl­ti­ger Auftraggeber zwei Profi-Killer auf­ein­an­der ansetzt. In der mit raben­schwar­zem Humor gespick­ten Groteske wer­den die Absurditäten gleich turm­hoch auf­ein­an­der geschich­tet. – Kontrovers auf­ge­nom­men wur­de «The Alchemist Cookbook» des Amerikaners Joel Potrykus, in dem ein im Wrack eines Busses im tief­sten Wald leben­der Aussteiger in sei­ner Einsamkeit Experimente mit Voodoo-Beschwörungen betreibt. Manche konn­ten dem mit beschei­de­nen Mitteln pro­du­zier­ten, schon fast aske­ti­schen Werk sei­ne Langsamkeit nicht ver­zei­hen. Wer sich jedoch auf des­sen Rhythmus ein­las­sen kann, wird auch die gedank­li­che Freiheit und den dop­pel­ten Boden des mit lei­sem Witz auf­war­ten­den Streifens zu schät­zen wis­sen, der die Konventionen des Genres geschickt unter­wan­dert. – Krude und unver­blümt, im wahr­sten Sinne schlüpf­rig ist dage­gen «Hentai Kamen: Abnormal Crisis» von Yûichi Fukuda, ein wei­te­rer Beleg dafür, wie selt­sam der gleich­zei­tig äus­serst fri­vo­le und züch­ti­ge Humor ist, der (doch, nicht nur) in Japan für lustig befun­den wird. Schon der erste Teil der Geschichte um einen schüch­ter­nen jun­gen Mann, der zum Superhelden mutiert, sobald er sich einen gebrauch­ten Mädchenslip über das Gesicht zieht, ist 2013 vom gut gelaun­ten Publikum der Spätvorstellungen in Neuenburg regel­recht abge­fei­ert wor­den. – Es ist unter ande­rem die­se Art von höhe­rem Blödsinn, die im gut besetz­ten Kinosaal jeweils par­ti­zi­pa­ti­ve Höchstleistungen aus den Anwesenden her­aus­kit­zelt. Das ame­ri­ka­ni­sche Pendant dazu bot die­ses Jahr «The Greasy Strangler» von Jim Hosking. Der Titel gibt schon einen gros­sen Teil der Handlung Preis, und die Grenzen des guten Geschmacks wer­den der­art stra­pa­ziert, dass etwa ein John Waters direkt als stil­si­che­rer Ästhet erscheint. Die oft zitier­te Forderung nach «mehr Dreck» wäre hier jeden­falls Fehl am Platz.

Bei allen Geistern, den guten wie den bösen, den Vampiren, Zombies, Meerjungfrauen, Psychopathen, Superhelden, Gaunern, gar den vom Leibhaftigen Besessenen, wel­che die Leinwände Neuenburgs wäh­rend neun Tagen beherrsch­ten, der am mei­sten gesich­te­te war, selbst in den zeit­lo­sen Werken, der Zeitgeist. Themen wie Korruption, Xenophobie, Armut und Unterdrückung, Entfremdung, Gewalt an Stelle des Dialogs, Missbrauch von Macht und Kritik an den Medien schwan­gen in vie­len der Werke mit, in Dramen und Komödien mit oder ohne Horror-Elementen, und beleg­ten ein­mal mehr, dass Gesellschaftskritik im unab­hän­gi­gen Genre-Film eine weit­aus grös­se­re Stellung ein­nimmt als im Mainstream-Kino.

 

«Swiss Army Man» (USA 2016), Regie: Daniel Scheinert und Dan Kwan («Daniels»), mit Paul Dano und Daniel Radcliffe, läuft ab dem 27. Oktober in den Kinos der deut­schen Schweiz.

«Desierto» (Mexico 2015) von Jonás Cuarón und «The Transfiguration» (USA 2016) von Michael O’Shea haben in der Schweiz bereits einen Verleih, ein Startdatum ist jedoch noch nicht bekannt.