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Der Ritter des Wortgefechts

Von Lukas Vogelsang - Nun, die Reaktionen auf die letz­te Kolumne im August hat Wellen geschla­gen. Die Reaktionen waren span­nend und die Einwürfe viel­sei­tig. Grund, noch ein biss­chen in die­ser Grauzone des Journalismus her­um­zu­stö­bern. In einem NZZ-Artikel bin ich dann fün­dig gewor­den: Spin-Doctors.

Am 18. August schrieb die NZZ kri­tisch über die bri­ti­sche Presse und stell­te deren Journalisten an den Pranger. Unter dem Begriff Spin-Doctors wer­den bei den Briten PR-Experten bloss­ge­stellt. Darunter gel­ten die Wortverdreher und Bieger, wel­che einer Geschichte, die für die Medien vor­be­rei­tet wird, im Auftrag «den rich­ti­gen Schliff» geben.

Nun, die NZZ mokier­te sich dar­über, dass die Journalisten sel­ber oft in Versuchung kom­men, als Spin-Doctors zu ope­rie­ren. Und dabei wur­de bei der NZZ eine Studie von Stephan Bax von der Canterbury Christ Church University zitiert – der eigent­li­che Aufhänger des Artikels. Darin zeich­net der Forscher, wel­cher lan­ge im ara­bi­schen Raum – unter ande­rem auch im Irak (1985 – 1988) – gelebt hat, Episoden aus dem Irak-Krieg nach. Meldungen wer­den von der Boulevardpresse und sogar von seri­ös gel­ten­den Zeitungen fan­ta­sie­voll wei­ter­ge­spon­nen oder ein­fach unkri­tisch von Pressestellen über­nom­men, ohne deren Richtigkeit zu über­prü­fen. Vor allem das «Übersetzen» der Nachrichten und das Umschreiben in ganz neue Geschichten hat sich als Kavaliersdelikt im Journalismus schon lan­ge eta­bliert. Die NZZ erwähnt das Beispiel eines fehl­ge­schla­ge­nen Raketenangriffs auf Saddam Hussein, wobei die «CIA zu 99.9 Prozent sicher gewe­sen sei, dass sich der ira­ki­sche Diktator auf einem Landsitz sei­ner Tochter auf­hal­te». Die zwei­ein­halb­stün­di­ge Aktion koste­te 29 Millionen und die Presse sprach von einem «beschleu­nig­ten chir­ur­gi­schen Eingriff» oder einem «töd­li­chen Akt der Kriegsführung, flink und feder­leicht». Was für ein Blödsinn.

Nicht dass mich dies erstau­nen wür­de, wir ken­nen es in der Schweiz auch. Mit unwirk­li­chen, reis­se­ri­schen Titeln hat sich der «Blick» schon immer einen Namen gemacht. Auch «Facts» und «Weltwoche» sind davon nicht ver­schont – geschwei­ge denn die gesam­te Klatschpresse. Aber eben, auch Texte wer­den ver­än­dert: Thomas Burkhard, ein bekann­ter Berner Journalist, wel­cher zusam­men mit Anna Trechsel in Beirut weil­te, sen­de­te Ende Juli an Schweizer Zeitungen einen Live-Bericht der Geschehnisse im Libanon. Wir haben sei­nen Artikel in der August-Ausgabe im Originaltext abge­druckt. Er ver­sen­de­te den Artikel mit der Bemerkung, dass die Redaktionen damit machen dür­fen, was sie wol­len, dass er kosten­los abge­druckt wer­den darf und, dass er möch­te, dass die Geschichte unter die Leute kommt. Da ich Thomas ver­traue, habe ich den Artikel ange­nom­men, auch ohne zu prü­fen. In der Mail erwähn­te Thomas, dass «Der Bund» eine Version davon ein paar Tage zuvor gedruckt hät­te. Nun gut, was ich dort aber zu lesen krieg­te, erstaun­te mich: Im Artikel bei der «Qualitätszeitung» wur­de aus einem Kriesengebiet eine Todeszone, aus Kriegsflugzeugen Bomber, und da stand im Lead «Privilegiert ist, wer flüch­ten kann» – was im Text nicht erwähnt war. Sicher, bei der Überarbeitung, im Titel, im Lead und im Text wird tag­täg­lich kor­ri­giert. Aber muss des­we­gen der Inhalt so pla­ka­ti­viert wer­den? Und viel schlim­mer: Was stimmt denn schluss­end­lich noch? Thomas Burkhards Originaltitel war: «Eben Beirut ver­las­sen. Mein Herz blu­tet.» Es gibt bes­se­re Titel, ich habe auch mei­nen eige­nen dar­aus kre­iert, jedoch ver­sucht, auf die Stimmung im Text ein­zu­ge­hen. Beim Bund hiess es: «Rana asso­zi­iert Musik mit Krieg».

Leider alles halb so wild und jour­na­li­sti­scher Alltag. Was mich per­sön­lich am mei­sten stört bei sol­chen Streichaktionen, ist, dass die per­sön­li­chen Emotionen der BerichterstatterInnen jeweils ent­we­der reis­se­risch «ver­kauf­bar» gemacht und damit die Leserschaft zu eige­nen – meist empö­ren­den – Emotionen geführt oder aber Emotionen ganz weg­ge­stri­chen wer­den. Was zurück­bleibt, ist Unterhaltung. Das welt­li­che Chaos wird zu einem Actionfilm, in dem wir unbe­tei­ligt unser natür­li­ches Empfinden und das ehr­li­che Mitgefühl ver­ler­nen. Damit wird ein Krieg zum neu­en Stadttheater und das Publikum applau­diert und ver­gisst, dass es um rea­le Werte geht.

Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, September 2006