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Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.

Von Fabienne Naegeli – Mit Schauplatz International auf dem Spielplatz – Es ist dun­kel und in der Ferne dis­ku­tie­ren drei Schattengestalten, dass sie ihr erstes Kindertheaterstück machen möch­ten. Aber kei­nes­falls eines mit roten Nasen, wen­det einer der drei­en ein. Der pas­send­ste Ort dafür wäre ein Spielplatz, fin­det der ande­re, am lieb­sten in der Finsternis, denn die sei so unheim­lich, angst­ein­flös­send, gleich­zei­tig anzie­hend, und man kön­ne in der Dunkelheit aller­lei Fantasiefiguren sehen. „Der Rattenfänger von Hameln“ der Gebrüder Grimm, das ist doch die geeig­ne­te Geschichte, meint die drit­te der Gestalten. Darin wird erzählt, wie es einem Musiker durch sein Spiel gelingt, die Ratten aus der Stadt Hameln zu ver­trei­ben. Als die Bürger dem Rattenfänger sei­nen Lohn ver­wei­gern, rächt sich die­ser. Während die Erwachsenen sich in der Kirche ver­sam­meln, lockt er mit sei­ner Flöte die Kinder aus der Stadt. Er führt sie in eine Höhle, wo alle für immer ver­schwin­den.

Mit ver­bun­de­nen Augen wie beim Blindekuhspiel wird das mit­spie­len­de Publikum durch einen Gang geführt und muss sich auf allen Vieren durch einen Tunnel tasten. Sandkasten, Schaukel, Wippe, Rutsche, Schaukelpferd und ein paar Sitzbänke für die Erwachsenen – als einem die Augenbinde abge­nom­men wird, befin­det man sich auf einem Spielplatz, in der Höhle des Rattenfängers. Begleitet von Musik und mit der Warnung, den Weg wegen den Felsen nicht zu ver­las­sen, wird man von einem Mann im Overall mit Helm und Stirnlampe zu einem Mülleimer geführt. Er nimmt dar­aus eine Puppe, eine Springer-Figur eines Schachspiels, Nagellack, eine klei­ne Marienstatue sowie einen Spielzeugsoldaten und erzählt, wie er frü­her allei­ne in sei­nem Zimmer spiel­te, was er nun eben­falls tun will. Die MitspielerInnen dür­fen ihm nur ant­wor­ten, wenn er sie in echt anspricht, anson­sten sol­len sie ihn ganz sei­nem selbst­ver­ges­se­nen Spiel über­las­sen.

„Der Spielplatz“ ver­sucht ver­schie­de­ne Perspektiven unter­schied­li­cher Generationen auf das­sel­be Geschehen zu wer­fen und sie an die­sem Ort vol­ler Sehnsüchte und Fantasie zusam­men­zu­füh­ren. Kinder und Erwachsene wer­den in zwei Gruppen unter­teilt, um vor­der­grün­dig fest­zu­le­gen, was für wen bestimmt ist. Spielregeln wer­den ein­ge­führt, zwi­schen Spiel und Nicht-Spiel zu unter­schei­den ver­sucht und sich Gedanken zu gen­der­spe­zi­fi­schem Spielzeug gemacht. Im Sandkasten mit Bagger, Steinen, Hammer und Knochen wird Farbe für eine Höhlenmalerei her­ge­stellt, um die kul­tur­ge­schicht­li­che Entwicklung des Homo ludens, des spie­len­den Menschen, sinn­lich wahr­nehm­bar dar­zu­stel­len, und auf der Rutsche erprobt man ängst­lich und unter gros­ser kör­per­li­cher Anstrengung sei­nen Mut, bis die­ses Spielgerät plötz­lich anfängt zu spre­chen und sich zu bewe­gen.

In den Briefen „Über die ästhe­ti­sche Erziehung“ hob Friedrich Schiller die Wichtigkeit des Spielens für die Entwickelt der indi­vi­du­el­len Fähigkeiten des ganz­heit­li­chen Menschen her­vor. Räumlich mani­fe­stie­ren sich die Funktionen von Spiel auf Spielplätzen. Zwischen Disziplinierung und Freiraum machen die­se Orte Spielvorschläge wie auch ‑vor­schrif­ten, bie­ten einen geschütz­ten Rahmen, um fik­tio­na­le Räume zu öff­nen, schrän­ken die­se Freiheit aber gleich­zei­tig ein und set­zen kla­re Grenzen. In der Hoffnung, etwas Vergessenes wie­der­zu­fin­den, keh­ren Menschen unter­schied­li­cher Lebensalter dort­hin zurück.

Das Mehrgenerationenstück „Der Spielplatz“ von Schauplatz International ent­wickelt sich für Erwachsene zu einer Art begeh­ba­rer Installation mit ein­zel­nen pla­stisch amü­san­ten Szenen, zu denen jeweils ein Live-Beitrag über Spieltheorie, Geschichte der Spielplätze oder phi­lo­so­phisch-sozio­lo­gi­schem Spieldiskurs ange­hört wer­den kann. Für die klei­nen MitspielerInnen wären hin­ge­gen strin­gen­te­re Erzählungen, mehr leben­de Rutschbahnen, sich wie von Geisterhand bewe­gen­de Schaukeln, hop­peln­de Kaninchen und wei­te­re wun­der­ba­re Verlockungen des Rattenfängers zu wün­schen.

 

DER SPIELPLATZ
(ab ca. 6 Jahren)
Mit: Schauplatz International und Gästen.

www.schauplatzinternational.net

Konzept/Idee: Schauplatz International (Bi¬eri/Ellend/Liebl/Studer). Musik: Trummer. Ausstattung: Diana Ammann. Raum: Diana Ammann/Alexander Jaquemet. Technik: Max Stelzl/Matthias Keller. Assistenz: Isabelle Jakob. Pro¬duktionsleitung: Eva-Maria Bertschy. Foto: Franziska Frutiger/Alexander Jaquemet. Grafik: Jiri Chmelik. Vermittlung: Katja Grawinkel.

IM SCHLACHTHAUS THEATER (BERN):
18. März 2012, 16h / 21. März 2012, 20.30h
Rathausgasse 20/22, 3011 Bern
www.schlachthaus.ch

IM FABRIKTHEATER ROTE FABRIK (ZÜRICH):
27. März 2012, 18h / 29. und 30. März 2012, jeweils 18h / 31. März 2012, 16h / 1. April 2012, 14h
Seestrasse 395, 8038 Zürich
www.rotefabrik.ch/de/fabriktheater

WESTWIND FESTIVAL (THEATER PADERBORN):
25. Mai 2012, 15h und 19h
www.westwind-festival.de