Der Journalist als Dandy. Der Massanzugsartikel (Teil 1)

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(Constantin Seibt) –

Fakten sind nur die Hälfte der Botschaft. Die ande­re ist der Stil. Wobei der Stil meist – mehr oder weni­ger ele­gant – zum seriö­sen Transport des Inhalts dient. Wie jeder Vertreter trägt der Text also einen Business-Anzug von der Stange.  Was aber pas­siert, wenn man den Fakten einen ech­ten Massanzug ver­passt?

Immer dann, wenn Aufbau und Stil zu kei­nen ande­ren Fakten hät­ten geschrie­ben wer­den kön­nen, ent­steht der Dandy unter allen Artikeln. Ein Stück Irritation.

Ein Massanzugsartikel ist das cool­ste, was ein Journalist aufs Papier brin­gen kann. Zum ersten zeigt er, dass jemand in der Form den­ken kann, nicht nur im Inhalt. Zum zwei­ten ist er eine gross­zü­gi­ge Geste der Verschwendung: Er ist, weil ein­zig­ar­tig, nur ein ein­zi­ges Mal zu gebrau­chen, so wie ein Hochzeitskleid.

1. In der Form über die Form

Die erste Methode, wie man zu einem Massanzugsartikel – mei­stens als Konfekt – kommt, ist, die Form sei­nes Gegenstandes als Form selbst zu nut­zen. Was kom­pli­ziert klingt, wird durch fol­gen­des Beispiel klar – viel­leicht den per­fek­te­sten Massanzugsartikel der Pressegeschichte. Es ist ein Essay von Heinrich Heine, das knap­per und ele­gan­ter nicht denk­bar ist. Hier die gekürz­te Fassung:

Die deut­schen Zensoren – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — –– — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – Dummköpfe — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — – — –

Die Chance, einen Massanzugsartikel zu schrei­ben, bie­tet sich immer, wenn eine lite­ra­ri­sche oder son­sti­ge Form direkt oder indi­rekt das Thema ist. Also Haikus, Telegramme, Sonette, Memos, Reden, Listen, Fragen, Twitter, Dialekt, Kreuzworträtsel, Memoranden, was immer.

Dann soll­te man sei­ne Chance wit­tern. Und voll auf die Form set­zen. Etwa in fol­gen­dem Beitrag, dem Contra in einem Pro-Contra zur süd­afri­ka­ni­schen Tröte, der Vuvuzela, wäh­rend der WM in Südafrika:

In die­sem Blog schon zitiert wur­de Robert Gernhardts Sonett über Sonette; Annette Müller schrieb ein sehr schö­nes Feature über die ame­ri­ka­ni­sche Mode der Sechs-Wort-Sätze in Sechs-Wort-Sätzen. Und einer mei­ner uner­füll­ten Pläne ist ein Beitrag zur Homöopathie-Debatte. Dort lies­se sich sehr effekt­voll die Frage stel­len: “Gewinnt eine Substanz durch Verdünnung an Wirksamkeit?” Und zwar dadurch, dass man nach die­sem Satz den Rest des Artikels weiss lässt.

2. Die Kritik im Stil der Kritisierten

«Wo steht das? Wo steht das?», frag­te mein Deutschlehrer, der es lieb­te, bei Ärger jeden Satz zu ver­dop­peln. Dabei zeig­te er auf den Satz «Ein Gedicht lässt sich nur durch ein Gedicht beant­wor­ten», den ich an den Anfang mei­nes Schulaufsatzes über irgend­ein Goethe-Gedicht geschrie­ben hat­te. Und dar­un­ter ein Gedicht hin­ge­hau­en hat­te. «Wo? Wo?», frag­te mein Deutschlehrer. Ich zuck­te die Schultern. Und er schrie: «Die Aufgabe ist nicht erfüllt! Nicht erfüllt! Ungenügend! Ungenügend!».

Jahre spä­ter, als ich selbst Germanistik stu­dier­te, hät­te ich es ihm sagen kön­nen: Bei den Romantikern war das Mode. (Aber die hat­te Goethe auch gehasst.)

Und da man im Erwachsenenalter selt­sa­mer­wei­se alle ver­lo­re­nen Kämpfe sei­ner Jugend erneut kämpft (und des­halb ist glück­lich, wer vie­le Kämpfe ver­liert, denn die Sehnsucht ist es, die einen antreibt, nicht die Siege), bin ich ein Anhänger die­ser Methode geblie­ben.

Also: Bei der Kritik von Kunstwerken mit einem auf­fäl­lig star­ken Stil oder Aufbau ist es kei­ne schlech­te Idee, Form und Ton des Originals zu über­neh­men. Mal, um die Sache direkt zu zei­gen, mal als Parodie, mal um das Thema wei­ter­zu­den­ken.

Meistens erge­ben sich dadurch ziem­lich schil­lern­de, kon­tro­ver­se, also inter­es­san­te Mischformen. Hier ein paar Beispiele:

  • Die Rezension zum (lei­der ziem­lich schwa­chen) Raumschiff-Enterprise-Film «Generations». Hier begeg­nen sich laut Filmplakat «die bei­den gröss­ten Kapitäne des Universums»: Kirk und Picard. Interessanter, als sich über den schwa­chen Film zu bekla­gen, war, ihn wei­ter­zu­den­ken. Also das Drehbuch zum Treffen der bei­den wirk­lich gröss­ten Kapitäne des Universums zu schrei­ben: Kirk und Gott. Das sah nach einer kur­zen Einleitung dann so aus:

Captains Logbuch. Sternzeit 666.6. USS-Enterprise auf Mission zum Spiralnebel Armaggedon 17. Leichte Erschütterungen im Warp-Antrieb.

Lt. Uhura: «Die Erschütterungen im Warp-Antrieb ver­stär­ken sich.»

Kpt. Kirk: «Warp-Wobble-Faktor?»

Lt. Uhura: «Warp-Wobble-Faktor Sieben!»

Kirk: «Warp-Wobble-Faktor Sieben! Spocky, was ist los?»

Lt. Spock: «Sir, wir haben heu­te wie­der den Tag des ver­lo­re­nen Commanders. An die­sen Tagen steigt die irra­tio­na­le Fluktuation im gan­zen Universum auf Heidegger 5. Das bringt den Warp-Antrieb durch­ein­an­der.»

Kirk: «Spocky, das Dossier!»

Lt. Spock (bedient den Dossier-Computer): «Der ver­lo­re­ne Commander, B. Jehova – Klingone und Konstrukteur von Planeten im Adam-Smith-System. Genial, aber gei­stes­ge­stört. Baute das Murphy-Syndrom ins Universum ein: die Katastrophen-Konstante.»

Uhura: «Warp-Wobble-Faktor Neun!»

Lt. Spock: «Der-Warp-Antrieb! Er geht zurück! Warp 12. Warp 11. Warp 10,2.»

Kirk: «Der Status, Mr. Spock!»

Spock: «Irrational-Faktor Heidegger 17! Laut Dossier-Computer befin­det sich der Warp-Antrieb in einer nega­ti­ven Schleife! Bei Warp-Wobble-Faktor 12 wird der Warp-Antrieb in den nega­ti­ven Bereich kip­pen!»

Kirk: «Negativ? Roter Alarm! Mr. Spock, was bedeu­tet ein nega­ti­ver Warp-Faktor?»

Spock (kühl): «Ein nega­ti­ver Warp-Faktor bedeu­tet, dass sich das Raum-Zeit-Kontinuum in Negativ-Energie stülpt und sich die Enterprise in Anti-Materie ver­wan­delt und per Kettenreaktion das gan­ze Universum. Kurz: Ein nega­ti­ver Warp bedeu­tet das Ende des bekann­ten Universums.»

Uhura: «Warp-Wobble-Faktor elf!»

Spock: «Irrational-Detektor mel­det Heidegger 19!»

Uhura: «Warp 4. Warp 1. Warp Wurzel 3.»

Kirk: «Warp Wurzel 3? O Gott!»

Explosion. Bei Warp – 0,000025 ver­wan­delt sich erst die Enterprise, dann das gan­ze Universum mit Klingonen, Paramount-Pictures und sämt­li­chen Drehbuchschreibern in Antimaterie. Die Leinwand wird schwarz; Stille. Dann fliegt Käptain James T. Kirk auf sei­nem Kommandantensessel vor­bei.

Kirk: «Irgendwie muss das Raum-Zeit-Kontinuum mei­nes Sessels den nega­ti­ven Warp über­stan­den haben.»

Stimme: «Nichts über­steht Warp-Wobble-Faktor 23! Das Eintauchen hin­ter die irra­tio­na­le Raum-Zeit-Barriere hat Sie geret­tet.»

Kirk: «Wer sind Sie?»

Stimme: «Mein Name ist Walter B. Jehova – der ver­lo­re­ne Commander. Zur Strafe für die ein­ge­bau­te Katastrophen-Konstante im Universum muss­te ich Jahrmilliarden hin­ter der Raum-Zeit-Barriere in kon­zen­trier­ter Irrealität auf Schlegel 38 ver­brin­gen. Jetzt end­lich ist das Universum in Antimaterie zer­fal­len – und damit die Katastrophen-Konstante… und Schlegel 38.»

Kirk: «Und ich?»

Walter B. Jehova: «Du wirst es bes­ser machen. Ein bes­se­res Universum. Ohne Klingonen. Ohne 2.-Klass-Planeten. Ohne Krieg und Leid.»

Kirk: «Und ohne Warp-Wobble!»

Musik.

Einblendung:

Am ersten Tag schuf James T. Kirk, vor­mals Captain der Enterprise, Himmel und Erde.

  • Oder hier die Kritik am Steeruwitz-Roman «Lisa’s Liebe». Dieser war im Bastei-Lübbe-Heftchen-Stil geschrie­ben, nur trost­los und femi­ni­stisch. Die Rezension «Das Leben ist melan­cho­li­sche Scheisse» arbei­te­te in Stil und Haltung gleich.
  • Oder die Besprechung von Art Spiegelmans Holocaust-Comic-Ausstellung. Die «Maus»-Comics bezo­gen ihre Direktheit para­do­xer­wei­se dar­in, dass Spiegelmann meh­re­re Ebenen misch­te: Die Konzentrationslager, dann Spiegelmanns Vater, der sie über­lebt hat­te, und Spiegelman selbst, der vor dem Schreibtisch mit dem gan­zen Wahnsinn klar­kom­men muss. Um die­se Direktheit auch in der Kritik aufs Papier zu brin­gen, lag die Idee nahe, die Komplexität noch zu erwei­tern. Um den Kritiker. Und sei­ne Familiengeschichte: aus dem Lager der Täter.

Die Übernahme von Sprache und Bauprinzip aus einer Vorlage ist auch des­halb fas­zi­nie­rend, weil man in frem­dem Stil qua­si mit frem­dem Kopf denkt; oft über­rascht einen das Resultat selbst.
Was mir an den letz­ten zwei Beispielen – zwei ziem­lich alten Texte – gefällt, ist gera­de das Schmutzige dar­an: der Mix zwi­schen Kapern des Stils, Reflexion dar­über und der Peinlichkeit, Privates als Material hin­ein­zu­mi­schen. Es ist kei­ne distan­zier­te Besprechung. Sondern eine, in der sich sich der Kritiker mit vol­lem Einsatz ins bespro­che­ne Werk wirft. Eine Technik, mit der, fürch­te ich, mehr über die Sache her­aus­kommt, als bei vie­len kon­trol­lier­ten Kritiken, die ich spä­ter schrieb.

So weit für heu­te. Den zwei­ten Teil die­ses Artikels begin­nen wir mit etwas Sauberem: einem Skelett. Dann, wenn die Woche noch frisch ist, und Sie und Ihre Hemden gestärkt sind. Bis Montag, also.

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Dieser Beitag wur­de auto­ma­tisch per RSS auf unse­re Webseite gestellt. Der Originaltext ist über den Tagesanzeiger, dem Blog von Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline – zu fin­den.

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