Der herr­li­che Brandstifter

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Von Helen Lagger - Monstershow im Centre Pompidou, Wiederbelebung des Cabaret Voltaire und nun im Zürcher Kunsthaus eine Ausstellung über André Breton: Dada ist wie­der en vogue! Was ist von Dada geblie­ben und was passt noch in unse­re Zeit? Die Ausstellung im Zürcher Kunsthaus geht von der These aus, dass Dadas Beitrag zur Kunstgeschichte vor allem in sei­nem inno­va­ti­ven Umgang mit den Medien lag. Der Besucher wird mit etwas bil­dungs­bür­ger­lich arran­gier­ten Zeitungsartikeln, Zitaten und einem Film über André Breton kon­fron­tiert. Wer sich aber die Geduld zum Lesen nimmt, wird Zeuge einer inter­es­san­ten und hoch­ak­tu­el­len Nutzung der Medien durch die Dadaisten.

Dabei ist doch unse­re Zeit so ganz anders wie damals, als Dada aus dem Geist der Rebellion in Folge des ersten Weltkrieges, ent­stand. Dada war eine inter­na­tio­na­le, anti­bür­ger­li­che Bewegung die an ihrem eige­nen Radikalismus schei­ter­te und sich schliess­lich im Tumult auf­lö­ste. Geblieben sind vor allem ver­rück­te Manifeste, Zeitungsartikel und eini­ge die Kunstgeschichte prä­gen­de Werke. Man den­ke an Duchamps Pissoir, Man Rays Fotografien oder Picabias Malerei.

1916 tauch­te der Name Dada, ein in einem deutsch-fran­zö­si­schen Wörterbuch zufäl­lig gefun­de­nes Wort, erst­mals auf. Im Slawischen bedeu­tet Dada «ja, ja» im Französischen Holzoder Steckenpferd und Tristan Tzara brach­te es mit schwarz­afri­ka­ni­schen Lauten in Zusammenhang.

Die Dadaisten woll­ten sich über sämt­li­che Konventionen hin­weg­set­zen, erfreu­ten sich am Nonsens und bewuss­ter Hässlichkeit. Viele Ideen der Dadaisten wir­ken heu­te über­spannt und in ihrer Vehemenz gegen alles Etablierte sogar kunst­feind­lich und wirr. Dadaismus muss in sei­nem zeit­li­chen Kontext betrach­tet wer­den. Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren geprägt von einem sinn­lo­sen Krieg wäh­rend in der Kunst eine Reform die ande­re jag­te. Vom Expressionismus zum Kubismus, vom Futurismus zur Abstraktion und zur rus­si­schen Avantgarde. Der Dadaismus und sei­ne Vertreter waren von die­sen Reformen ent­täuscht.

Ein Zitat aus dem dada­isti­schen Manifest (Tristan Tzara, Marcel Janco, Richard Huelsenbeck, Hugo Ball, Hans Arp): «Haben die Expressionisten unse­re Erwartungen auf eine Kunst erfüllt, die uns die Essenz des Lebens ins Fleisch brennt? Nein! Nein! Nein!»

Die anar­chi­stisch gepräg­te Bewegung lehn­te alle ästhe­ti­schen Systeme radi­kal ab. Schon die Abstraktion war eine Reaktion auf eine vom Krieg gepräg­te Gesellschaft gewe­sen. Das klas­si­sche Menschenbild in der Kunst hat­te sich durch die erleb­te Zerstörung aller Werte, geän­dert oder sogar auf­ge­löst. Die Begriffe Ehre, Vaterland, Moral und Familie wur­den in Frage gestellt. Der Dadaismus ging aller­dings noch einen Schritt wei­ter, indem er sich zur ästhe­ti­schen Guerilla sti­li­sier­te. Darin, sowie in der Vermischung von Leben und Kunst, liegt das eigent­lich Avantgardistische der Bewegung. André Breton (1896–1966), Zentralfigur von Dada Paris und spä­te­rer Kopf der sur­rea­li­sti­schen Bewegung, mach­te sich die Medien gekonnt zu Nutzen. Seine Provokationen betrach­te­te er erst als reüs­siert, wenn die Presse ent­rü­stet dar­über berich­te­te. Die Ausstellung im Kunsthaus Zürich rich­tet den Fokus auf die­sen Aspekt und zeigt auf, mit wel­cher Systematik der Künstler es ver­stand, sein Tun in den Medien zu spie­geln. Die Pressereaktionen auf dada­isti­sche Werke wur­den zu einem inte­gra­len Teil des Kunstwerkes und nah­men so vie­les vor­weg, was sich spä­ter in der Aktionskunst oder den Happenings abspiel­te. In einem Album sam­mel­te Breton von 1916–1924 Artikel, Einladungskarten, Flugblätter, Plakate, Zeitschriften und Briefe, die dada­isti­sche Aktivitäten betra­fen oder kom­men­tier­ten. Der KunsthausKurator Tobia Bezzola ent­schloss sich, das Werk, das man als Meta-Dada-Collage bezeich­nen könn­te, aus­zu­brei­ten. Der Besucher kann in eine annä­hernd kom­plet­te Chronik von Dada Paris ein­tau­chen und erfährt eini­ges über die Zürcher Jahre, den absur­den «Prozess Barrès» und die Entzweiung zwi­schen Breton und Tzara. Zitate von Zeitgenossen und bio­gra­fi­sche Eckpunkte ergän­zen die Ausstellung. Philippe Soupault über Andre Breton: «Der herr­lich­ste Brandstifter die­ses Jahrhunderts». Erstaunliche Ansichten wer­den offen gelegt. André Gide ver­däch­tig­te den Dadaismus, nichts ande­res als ein heim­tücki­sches Subversionsmittel der ver­hass­ten Deutschen zu sein.

Die nihi­li­sti­sche Bewegung ver­ach­te­te alles in ihren Augen als reak­tio­när gel­ten­de. Anatole France und sogar Picasso waren ver­pönt. Die Mischung zwi­schen Dichterlesung, gelehr­tem Vortrag und Kabarett war das bevor­zug­te Ausdrucksmittel. Man inter­es­sier­te sich für Opium, spi­ri­ti­sti­sche Séancen, Gesellschaftsspiele und spä­ter von den Surrealisten wei­ter­kul­ti­vier­te Umfragen. Das Cabaret Voltaire in Zürich, wo die Bewegung einst ihren Anfang nahm, ist heu­te ein histo­ri­scher Ort, an dem ver­sucht wird, das Haus im Esprit der Dadaisten neu zu nut­zen. Doch Dada war ein Strohfeuer, das längst erlo­schen ist. Die Brandstifter haben sich noch zu Lebzeiten von den Ideen distan­ziert. Deshalb stellt sich die Frage: Ist heu­ti­ges Dada nur noch Gaga? Mit Sicherheit genü­gen unsin­ni­ge Gedichte, blos­se Geräusche in der Musik oder das Hässliche in der bil­den­den Kunst nicht mehr, um Provokation zu erzeu­gen.

Mit der Entrüstung der Bürger und Politiker zu spie­len, indem der Künstler sein Werk in den Medien spie­gelt, ist aller­dings eine wei­ter­hin gut funk­tio­nie­ren­de Strategie. Man den­ke an Hirschhorn, Gianni Motti oder Schlingensief. Vive la rébellion!

Bild: «von oben» von Hannah Höch, 1926, zVg.
ensuite, Januar 2006

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