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Der Geheimagent

Von Ruth Kofmel – Jan Stehle und sein Studiomamma: Mit dem Hören ist das so eine Sache – wie eigent­lich mit allen Sinneseindrücken; es fin­den sich immer wie­der Freunde des Geschmacks, und es lässt sich auch treff­lich dar­über fach­sim­peln, was einen nun ins­be­son­de­re an einer bestimm­ten Kombination in Freude ver­setzt, aber schluss­end­lich ist es unmög­lich die Sache wirk­lich auf den Punkt zu brin­gen und mit einem abschlies­sen­den und all­ge­mein­gül­ti­gen Gütesiegel zu ver­se­hen.

Insofern kann ich also nur daher­kom­men und sagen, der Jan Stehle hat also ein paar Ohren – das ist nicht zu sagen! Und mei­ne Ohren haben grund­sätz­lich und immer mehr Freude dar­an, wenn er die Finger im Spiel hat.

Man treibt mit der Musik und macht sich erst ein­mal ein Bild von den sicht­ba­ren Figuren, den Sängerinnen und Sängern, den Musikern und Komponisten, und spä­ter ein­mal ent­deckt man, dass da noch viel mehr dazu gehört – man ent­deckt die Geheimagenten, die aus dem Hintergrund her­aus agie­ren. Das kön­nen Beat-Produzenten sein oder Produzenten im all­ge­mei­nen, die es, egal mit wel­chen Künstlern sie zusam­men arbei­ten, immer schaf­fen, einem Werk ihren Stempel auf­zu­drücken und die Geschichte rich­tig gut klin­gen zu las­sen. Oder das kön­nen eben, wie im Falle von Jan Stehle, Tontechniker sein, die, so fällt es frü­her oder spä­ter auch Laien wie mir auf, als Produzenten einen ganz beson­de­ren Sound hin­be­kom­men, der irgend­wie unver­kenn­bar ist.

Und ich hät­te ehr­lich gesagt nie­mals geglaubt, dass es einen so gros­sen Unterschied macht, ob Jan Stehle ein paar Fader rum­ge­scho­ben hat oder nicht. Nun war ich aber zu Besuch in sei­nem Studiomamma, das auf dem Land und unter dem Dach gele­gen ist, und bekam ein paar Hörbeispiele vor­ge­setzt. Das war auch ein wenig eine Geheimmission, weil, mei­ne Güte, das ist im Fall so was von krass, die­ses Vorher und Nachher. Mich hat das ziem­lich von den Socken gehau­en. Zu wis­sen, dass es einem gefällt, wenn er bei Konzerten an den Reglern steht, oder eine CD abge­mischt und pro­du­ziert hat, und dass mei­ne Ohren dann immer beson­ders offen­her­zig aufs Lauschen ein­ge­stellt sind, ist das Eine, aber zu wis­sen, dass Songs so viel mehr her­ge­ben kön­nen, je nach Mischverhältnis sozu­sa­gen, ist noch ein­mal eine ganz ande­re Sache. Es war nicht so, dass die Songs, die er mir vor­ge­spielt hat, vor dem Abmischen schlecht waren. Aber sie haben irgend­wie nicht so rich­tig funk­tio­niert – das bekann­te Gefühl von Watte auf den Ohren und das leich­te Unbehagen in den Hörgängen –, dann drückt er einen Knopf, die abge­misch­te Version klingt durch die Lautsprecher, und es gibt ein gefühl­tes «Plopp» in den Ohren, die zoo­men voll auf Empfang und sind ent­zückt.

Beigebracht hat er sich das alles selbst und im Austausch mit ande­ren Klangtüftlern. Angefangen mit dem Abmischen hat er im Dachstock, und da über Jahre Erfahrungen gesam­melt, sich immer mehr in die Materie ver­tieft und beschlos­sen, es zu ris­kie­ren, sein eige­nes Studio zu eröff­nen. Gleich mit dem ersten von ihm pro­du­zier­ten Album sorg­te er für Aufsehen in der Szene. Da sei­en schon vie­le Profis auf ihn zuge­kom­men und hät­ten ihm ihre Anerkennung aus­ge­spro­chen für die Ästhetik, die er die­sem Album ver­passt habe. Von da an habe er eigent­lich immer Aufträge gehabt und sich mei­stens frei ent­schei­den kön­nen, mit wem er ger­ne zusam­men­ar­bei­ten möch­te. Es sei für ihn immer noch wich­ti­ger, eine Produktion zu machen, die ihn wirk­lich begei­ste­re, als sich an die Geld-Jobs zu hal­ten.

Er arbei­tet sehr nach­voll­zieh­bar für eine Laiin wie mich, näm­lich ganz nach Gehör. Selbstverständlich gibt es auch in die­sem Gebiet Regeln und Vorgaben, Arbeitsweisen, die sich bewährt haben und all­ge­mein ange­wandt wer­den. Für Jan Stehle liegt der Reiz sei­ner Arbeit aber in der Eigenständigkeit, der Unabhängigkeit – und der gros­sen Verantwortung. Er sucht nach einem Klangbild, das immer auch ein wenig gebro­chen und kaputt daher kommt – zu per­fekt dür­fe es nicht wer­den.

Frage ich ihn, ob es ihn nicht manch­mal auch ver­är­ge­re, so viel zum Gelingen eines Konzerts oder eines Tonträgers bei­zu­tra­gen und dabei eigent­lich immer im Hintergrund zu blei­ben, nie oder nur sel­ten direk­tes Lob oder Applaus zu bekom­men, ver­neint er. Nein, das sei genau das, was ihn auch an die­sem Job rei­ze: Dass er zwar ein äus­serst wich­ti­ger Teil einer musi­ka­li­schen Darbietung sei, dabei aber mehr oder weni­ger unsicht­bar blei­be. Ein Geheimagent eben. Je län­ger ich mit ihm über sei­nen Job rede, und wie mehr ich mich da hin­ein den­ke, desto mehr wird mir die Tragweite die­ser Funktion bewusst. Ein Tontechniker ist eigent­lich nichts ande­res als ein wei­te­rer Musiker. Er ist genau so Teil der Band, er spielt sein Instrument – das Mischpult –, und wenn er einen Einsatz ver­passt, klingt das genau so dane­ben, wie es dies beim Drummer tut. Es ist genau genom­men eine äus­serst mäch­ti­ge Position, die er da inne­hält, und es braucht von den Musikern voll­stes Vertrauen in die­se Person, weil sie ja nicht hören, was er mit ihrem Spiel alles anstellt. Ein ver­sier­ter Tontechniker ent­schei­det, was das Publikum zu hören bekommt, wie die Dynamik rüber kommt, wer in den Vorder- und wer in den Hintergrund gehört. Er hat es in der Hand, Brillanz hör­bar zu machen und Ungenauigkeiten ver­schwin­den zu las­sen. Das tut er live eben­so wie bei Studio-Produktionen.

Wie es sich für einen Geheimagenten gehört, nennt Jan Stehle auch eine Geheimwaffe sein eigen. Bei ihm ist das ein Mischpult, das 1976 sei­ne Geburtsstunde hat­te. Wunderschön steht es in die­ser Dachkammer und trägt offen­bar mass­geb­lich dazu bei, dass die Musik, nach dem sie durch sei­ne Eingeweide geschlauft wur­de, wohl­klin­gend her­aus­kommt. Jan Stehle arbei­tet selbst­ver­ständ­lich auch mit dem Computer, wie das heut­zu­ta­ge der Normalfall ist, aber er sagt, dass es für ihn äus­serst wich­tig sei und auch etwas ganz ande­res dabei her­aus­kom­me, wenn er phy­sisch Hand anle­gen kön­ne. Und hört man genau­er hin, dann ist dem eigent­lich nichts mehr hin­zu­zu­fü­gen. Dieses Pult und Jan Stehle sind ziem­lich unschlag­bar und auf Mission, unse­ren Ohren das Beste zu bie­ten.

Foto: zVg.
ensuite, September 2011