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Der Fluch mit dem Puch

Von Luca Zacchei – Meine Eltern stam­men aus den Abruzzen. Wo das ist? In Italien, unge­fähr auf der Höhe von Rom, aber auf der ande­ren Seite, der soge­nann­ten Rückseite des Stiefels. Ja, genau: auf der Adria-Seite, süd­lich von Rimini. Wenn ich mich mit mei­nen Schweizer Freunden aus­tau­sche, dann muss ich mich in der Regel jedes­mal so umständ­lich aus­drücken, damit die­se Region geo­gra­phisch loka­li­siert wer­den kann. Aufgewachsen bin ich im Liebefeld, in der Nähe von Bern. Oder wie ich auch mei­nen ita­lie­ni­schen Verwandten jeweils über­setzt habe «Campo dell’Amore in Svizzera». Und dann muss­te ich erklä­ren, dass die Ortschaft nichts mit die­sem komi­schen FKK-Zeugs zu tun habe.

Gross gewor­den bin ich in der Schizophrenie zwi­schen der hel­ve­ti­schen und ita­lie­ni­schen Kultur. Ich bin stolz dar­auf, Italiener zu sein – und gleich­zei­tig schä­me ich mich dafür. Dieses Schamgefühl hat sei­nen Ursprung wohl auch dar­in, dass ich als Italiener eine ande­re Realität ken­ne, näm­lich die schwei­ze­ri­sche. Beispiele für mei­ne zwie­späl­ti­gen Gefühle fin­den sich über­all, so auch im Sport: Alberto Tomba war ein tol­ler Hecht, aber so unschwei­ze­risch arro­gant. Roger Federer hin­ge­gen ist unglaub­lich erfolg­reich, aber ein biss­chen lang­wei­lig. Was ist mir nun lie­ber? Ein Sportler, der mit Trophäen nach Journalisten wirft, oder eine Mirka als Mamma-Ersatz? Was bin ich? Ein unvoll­ende­ter Italiener oder ein Quasi-Schweizer?

«Secondo un Secondo» (im Italienischen: «Aus der Sicht eines Secondos») wider­gibt mei­ne ganz per­sön­li­che Sichtweise auf die­se Gratwanderung. Als net­ter Nebeneffekt wirkt es zudem the­ra­peu­tisch auf mei­ne unent­schlos­se­ne Seele. Die Gründe für mei­ne zwei­deu­ti­ge Prägung sind wahr­schein­lich in mei­ner Kindheit und Jugend zu suchen. Als Kind wech­sel­te ich näm­lich stän­dig zwi­schen Calimero und Pingu, Parmigiano und Sbrinz, Baci Perugina und Toblerone. Meine Eltern haben es wirk­lich gut gemeint. Sie woll­ten, dass ich mich inte­grie­ren und gleich­zei­tig mei­ne Wurzeln nicht ver­lie­ren wür­de. Das war nicht immer ein­fach.

Zu mei­nem 14. Geburtstag hat mir mein Vater ein Occasions-Puch geschenkt. Das Moped war auch als Integrations-Schritt gedacht. Die Marke stammt ursprüng­lich aus Österreich, die Mofas wur­den aber in der Schweiz oft ver­kauft. Sie reprä­sen­tier­ten bewähr­te Schweizer Werte wie Zuverlässigkeit und Beständigkeit. Wenn man die Bremsen betä­tigt hat, dann hat mein Puch gebremst; wenn das Licht ein­ge­schal­tet wur­de, dann hat die Glühbirne tat­säch­lich geleuch­tet. Eine Besonderheit gab es aber: das Moped war oran­ge. In die­sem Alter ist es völ­lig egal, ob dein Töffli funk­tio­niert oder nicht, es muss ein­fach cool sein. Mein Puch ver­kör­per­te das pure Gegenteil. Als ich damit das erste Mal in der Schule ankam, fühl­te ich mich wie ein Don Quijote auf einem stin­ken­den Esel. Als puber­tie­ren­der Jugendlicher waren die Mädchen die Windmühlen, wel­che es zu bän­di­gen galt. Aber mein Puch war dafür nicht gut genug. Wahrscheinlich trug ich auch nicht gera­de die ange­sag­te­ste Frisur (sie ähnel­te der­je­ni­gen des jun­gen Benediktiners im Film «Der Name der Rose»). Ich weiss nicht, ob es am Puch oder am Haarschnitt lag, Tatsache war: mit mir haben die Mädchen gelacht, geknutscht haben sie mit ande­ren Jungs.

Um zur aus­er­wähl­ten Runde der coo­len Ritter zu gehö­ren, muss­te man(n) ein Fantic Issimo oder ein Piaggio Ciao besit­zen. Porca mise­ria, papà! Das sind ita­lie­ni­sche Marken! Wenn wir auf etwas stolz sein kön­nen, dann auf ita­lie­ni­sches Design! Dies hat­ten mei­ne Schweizer Schulfreunde schon früh erkannt. Die Besitzer der Issimo und Ciao waren näm­lich zu glei­chen Teilen Schweizer und Nicht-Schweizer. Die Italiener grenz­ten sich aber durch eine Kleinigkeit ab: Unter der Lenkstange (in Bern auch Guidon genannt) wur­den Schilder mit Abkürzungen ita­lie­ni­scher Provinzen ange­bracht: «PZ» stand für die Provinz Potenza, «LE» für Lecce und «TE» für Teramo. So kom­mu­ni­zier­ten die Secondos aus Italien ihre Abstammung in aller Deutlichkeit. Ein Quäntchen Trennung muss­te sein.

Das Töffli war Synonym für Freiheit. Der Bewegungsradius wur­de magisch um meh­re­re Kilometer erwei­tert. Die Discos, die bis­lang zu Fuss nicht zu errei­chen waren, konn­ten wir jetzt pro­blem­los ansteu­ern. Wir waren eben­falls nicht mehr auf öffent­li­che Verkehrsmittel ange­wie­sen und konn­ten, sofern es die Eltern erlaub­ten, bis nach Mitternacht fei­ern. Aber zurück zum Puch. Mein Freund Emiliano, stol­zer Besitzer eines fri­sier­ten Fantic Issimo, hat­te Mitleid mit mir. Eines Tages schlug er mir vor, mein Puch umzu­sprit­zen. Wir kauf­ten Spraydosen und ver­wan­del­ten an einem herbst­li­chen Nachmittag mei­nen oran­ge­nen Metallesel in ein schwar­zes Pferd. Aber auch mit die­ser Farbe konn­te ich mei­ne Mitschülerinnen nicht beein­drucken. In einem Wutanfall ent­schloss ich mich, das zuver­läs­si­ge aber unaus­steh­li­che Puch zu ver­kau­fen. Als Ersatz erwarb ich ein schwar­zes Fantic Issimo – nota bene in einem deso­la­ten Zustand – für die lächer­li­che Summe von fünf­zig Schweizer Franken. Wert war es noch weni­ger. Das Issimo als unzähm­ba­res Maultier: es stell­te ab, wann es woll­te, brem­ste gera­de genug stark, dass ich mich wäh­rend mei­ner Jugend nicht umbrin­gen konn­te, und auf­grund eines elek­tri­schen Defekts liess es eine Glühbirne nach der ande­ren explo­die­ren. Um nachts fah­ren zu kön­nen muss­te ich eine Taschenlampe anbrin­gen. Ästhetisch nicht schön anzu­se­hen. Und Mädchen waren immer noch kei­ne in Sicht. Vielleicht hät­te ich doch die Frisur ändern sol­len.

Foto: zVg.
ensuite, November 2012