Der Alltag fin­det am Bartresen unse­res Lebens statt

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By Fabienne Schmuki

Dagmar Schönleber arbei­tet in einer Punkrockkneipe, sie trinkt gern und mag es, mit dem Rad durch die Stadt zu fah­ren. Sie hat einen Freund, der nachts von Autos träumt. Mit ihm und sei­nen zwei Kindern lebt sie in Köln. In einem Jahr hat ihr Alter ihre Schuhgrösse ein­ge­holt, und wäre ihr Kindertraum in Erfüllung gegan­gen, wür­de sie ihre Wohnung heu­te mit E.T. und drei Einhörnern tei­len. Nein, Dagmar Schönleber ist kei­ne enge Bekannte. Aber nach guten 90 Minuten mit ihr in einem Raum wünsch­te man sich ein biss­chen, sie wäre es.

Das Gute im Schlechten

Wahnsinnig gut sin­gen kann Dagmar Schönleber nicht – sie tut es trotz­dem. Sie hat auch kein aus­ser­or­dent­li­ches Talent fürs Vorlesen – und tut es trotz­dem. Ihr Bühnenoutfit könn­te vor­teil­haf­ter sein, oder zumin­dest durch­dach­ter. Aber Dagmar Schönleber lebt ihren Hang zum Depressiven, auch wenn sie uns glau­ben machen will: In allem ist etwas Gutes zu fin­den. Sogar im Amoklauf. Passend und natür­lich ange­lehnt an ihren Nachnamen lau­tet der Titel ihres Programms: «Schöner leben».

Und der Abend mit Dagmar Schönleber beweist: Sie kann beob­ach­ten, reflek­tie­ren. Sie kann sub­til wit­zig sein oder ganz banal, plump jedoch ist sie nie. Sie kann uns anpran­gern und gleich­zei­tig das Gefühl geben, wir sei­en etwas ganz Besonderes. Sie ver­ab­scheut den Mainstream, das Programm im Privatfernsehen und Pauschaltourismus, hat aber schon über­all mal mit­ge­macht. Wird sie dumm ange­macht, blei­ben ihr die Worte im Hals stecken. Doch die Hasstiraden, die sie dann spä­ter zu Papier bringt, die haben’s in sich. Kurz: Dagmar Schönleber ist gar nicht so anders, wie vie­le von uns. Nur nimmt sie es mit einer kräf­ti­gen Portion Humor.

Bartenderin für einen Abend

Die Kabarettistin, Sängerin und «Slammerin» ist eine will­kom­me­ne Bartenderin an die­sem Abend. Sie bewir­tet uns mit Wort und Witz, und dabei geht es um Beruf und Verwirklichung, um Freizeit, Erfolg, Alkohol, Sexualität und gros­se Gefühle. Um das Leben halt.
Die gebür­ti­ge Ostwestfalin trägt Bluejeans, ein Shirt, eine Weste in Schwarz und rot gefärb­tes Haar. Ihr Nasenring fun­kelt mit ihrem bösen Witz um die Wette, und selbst das zu einem gros­sen Teil grau­haa­ri­ge Publikum im Saal im Migros Hochhaus am Limmatplatz wickelt sie schnell um den Finger. Insbesondere die erste Reihe und Sabine, ihr «Lucky Girl des Abends».

Trinkfeste Lösungen für Alltagssatiren

«Schöner leben» ist auch des­halb kurz­wei­lig, weil die Protagonistin zwi­schen Gesang, Kabarett und Lesung chan­giert. Die Melodien Schönlebers Lieder sind sim­pel oder geklaut – sie nennt das «Melodysharing» –, die Texte aber klug und wit­zig. So singt sie über Horst und Connie, zwei Einzelgänger aus Köln-Bickendorf, wo Schönleber sel­ber wohnt. Und über Castingshows und damit ver­bun­de­ne Peinlichkeiten. Sie prä­sen­tiert ihren ganz­jäh­ri­gen Sommerhit. Sie erzählt vom All Inclusive-Urlaub mit einer Freundin auf Rhodos, wo sie sich der­mas­sen betrinkt, bis sie die Polonaise anführt – und das, obwohl sie die­sen Tourismus am Anfang noch ver­ab­scheu­te, genau­so wie die Touristin, deren Körperumfang «auf lebens­lan­ges All Inclusive schlies­sen liess».

Dagmar Schönleber macht kei­nen Hehl dar­aus, dass sie ger­ne eins über den Durst trinkt. Und als sie von einem besof­fe­nen Kneipengast dar­auf auf­merk­sam gemacht wird, dass ihr «Bindegewebe am Arm nicht sehr fest ist», gibt sie sich gleich sel­ber die Kante. Immer wie­der lässt sie die schwar­ze Seite ihrer Seele etwas durch­blicken, etwa, wenn «das ein­zi­ge Licht am Ende des Tunnels der ICE» sei oder wenn sie die Leute, die ihr auf den Wecker gehen, mit einer Uzi nie­der­streckt. Aber im sel­ben Atemzug gelingt es ihr, selbst in sol­chen Situationen eine Lösung aus dem Ärmel zau­bern. Ja, mit Dagmar Schönleber wür­de man ger­ne ein Bier trin­ken. Oder auch zwei. Denn an Alltagssatiren fin­den sich am Bartresen unse­res Lebens immer noch die besten.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/dagmar-schonleber-schoner-leben/

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