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Denkwürdiges Kulturdiktat

Von Lukas Vogelsang - Die Bundesstadt Bern hat Anfang Dezember die Vierjahresplanung der Städtischen Kulturförderung 2020 bis 2023 vor­ge­stellt. Nach zwei Tagen war das Feuerwerk der Tagespresse ver­schos­sen und das Dossier ver­ges­sen. Am 28. Februar 2019 wird der Stadtrat über die Vorlage bestim­men, im Mai das Stimmvolk, der Berner Gemeinderat hat das Papier schon durch­ge­wun­ken.

Zufälligerweise fand ich in einem Notizbuch von mir ein paar Bemerkungen zur letz­ten Eingabe vor fünf Jahren:

- nur Anträge wer­den behan­delt und nach Gutdünken bewil­ligt, Schwubbel-Schwerpunkte
– die Trennung «Kultur» und «Kunst» ver­mis­se ich
– die Kultur bewegt sich nicht in Bern, alles bleibt starr
– kei­ne Kontrolle, weder admi­ni­stra­tiv noch inhalt­lich
– Warten auf eine Entwicklung, die man aber gleich­zei­tig ver­hin­dert
– Institutionalisierung – alles gehört dem Staat
– Kultur ist nicht frei
– kon­zept­los

Lustigerweise passt das alles auch dies­mal zu der Vertragsperiode. Geändert hat sich nichts wirk­lich. So rich­tig durch­dacht wirkt das alles nicht. Zwar hat man in der Vorlage end­lich mal wie­der eine bes­se­re Sprache gefun­den, was ein­deu­tig einer neu­en Mitarbeiterin zuge­ord­net wer­den kann – aber wer hat sich denn jemals spä­ter auf die­se Planungspapiere zurück­be­ru­fen? Etwas ist mir bereits in der Medienmitteilung auf­ge­fal­len und macht mir Sorgen: «Der gröss­te Teil der Kulturfördergelder, näm­lich rund 85 Prozent, geht an Kulturinstitutionen, die zum Teil gemein­sam mit dem Kanton und Regionsgemeinden sub­ven­tio­niert wer­den. Rund 15 Prozent der Gelder flies­sen in die direk­te Förderung. Dort setzt die Stadt ihre eige­nen Schwerpunkte.» So steht das in der Vorlage.

Fällt das nur mir auf? 85 Prozent der Kulturgelder wer­den ohne kon­zep­tu­el­le Schwerpunkte bezahlt. Dieses Geld fliesst sogar eigent­lich zurück an Stadt, Kanton und Regionsgemeinden – zumin­dest arbei­ten die­se Institutionen mit einem Leistungsauftrag, also im Auftrag der Stadt, sind gewis­ser­mas­sen «städ­te­ei­ge­ne» Institutionen. Die Politik kann über die Finanzierung abstim­men und das heisst auch, dass die Kultur im Inhalt nicht ganz frei ope­rie­ren kann. Das sieht man am ein­fach­sten bei der Reitschule, deren Mietvertrag eben noch nicht aus­ge­han­delt wur­de, weil die­ser an wei­te­re Bedingungen geknüpft ist. Wohlverstanden – bei der Reitschule geht es eigent­lich nur um den Mietpreis des Gebäudes. Doch genau über die­se Subvention will die Politik die Institution diri­gie­ren. Eigentlich scha­de, dass die inter­na­tio­nal renom­mier­te Reitschule von der Betreibergemeinschaft nie im Baurecht gekauft wer­den konn­te so wie einst das Künstlerschulhaus Progr. Das wür­de ein gros­ses Stück Freiheit brin­gen.

Der Löwenanteil des Kulturgeldes fliesst in den Sandstein, wie man in Bern ger­ne sagt. Denn die­se «städ­ti­schen» Institutionen brau­chen für die Erfüllung des aus­ge­han­del­ten Leistungsauftrags ent­spre­chend Personal und zah­len hohe Mieten an Bern zurück. Das eigent­li­che Fördergeld ist kon­trol­liert für spe­zi­el­le Budgetposten vor­ge­se­hen und ent­spricht unter Umständen nicht dem Bedürfnis der nöti­gen Betriebsführung und dem künst­le­ri­schen Inhalt. Personell haben sich die fest ange­stell­ten MitarbeiterInnen in den Institutionen in den letz­ten 15 Jahren zum Teil ver­fünf­facht, arbei­tet mit einem Ferienplan und Überstundenreglement. Das ist nicht falsch oder schlecht. Aber man spürt das zum Beispiel wäh­rend der Ferienzeiten oder an Festtagen: Die städ­ti­schen Institutionen machen Ferien, wäh­rend pri­va­te KulturveranstalterInnen ein spe­zi­el­les Programm bie­ten und dies zum Teil in den gemie­te­ten Räumen der feri­en­ab­we­sen­den Institutionen.

Es sind aber auch die Institutionen, wel­che Kulturschaffende und KünstlerInnen anstel­len, um ein Programm dem Publikum zu bie­ten. Sie machen – wenn man das genau defi­nie­ren möch­te – Kulturvermittlung. Sie stel­len ein Programm zusam­men, machen Werbung, orga­ni­sie­ren Bühnen und Administration – aber krea­tiv sind die VeranstalterInnen nicht selbst, aus­ser sie behei­ma­ten ein eige­nes Ensemble. Doch davon haben wir zu wenig. Das mei­ste Kulturgeld also geht an jene, die nicht künst­le­risch tätig sind, genau­er an 24 Kulturinstitutionen mit die­sem Vierjahresvertrag. Die Stadt Bern inve­stiert nur gera­de mal 15 Prozent in die direk­te Förderung an Kultur- und Kunstschaffende – also an die eini­ger­mas­sen loka­le Kreation. Das muss man ein­fach ver­ste­hen, damit man ein städ­ti­sches Förderprogramm auch ver­ste­hen kann.

Diese 15 Prozent wie­der­um müs­sen sich, gemäss Tätigkeitsbericht 2017, schät­zungs­wei­se 3317 Personen tei­len, die in 325 Gesuchen ver­tre­ten sind. Bei einem Betrag von 4,67 Millionen Franken direk­ter Fördergelder erhiel­te eine Person pro Projekt knapp 1408 Franken oder pro Projekt im Durchschnitt 5773 Franken. Das ist nicht wirk­lich viel Geld für Arbeit, Altersvorsorge, Arbeitsräume, Material … Die Rechnung auf den Personenbeitrag stimmt aber nicht wirk­lich, weil die aus­ser­or­dent­li­chen Gesuche kei­nen Personenanteil aus­wei­sen. Ausgerechnet: Laienchöre, Kinder- und Jugendkultur, Filmproduktionen und Projekte vom Fonds Stadtentwicklung. Die Personenrechnung wäre also real noch viel schlech­ter, ich ver­mu­te mal bei knap­pen 800 Franken pro Projekt. Das ist bei vie­len nicht mal ein Tagesansatz.

Rund 32 Millionen bezahlt die Stadt Bern ins­ge­samt für das städ­ti­sche Kulturangebot und für Produktionen. Schwerpunkte gibt es nicht, und wenn, dann kom­men die­se reich­lich spät. Dass man jetzt den Tanz in Bern wie­der för­dern möch­te, nach­dem man ihm das Genick gebro­chen hat, ist erstaun­lich. Irritierend ist, dass der Tanz in Bern noch fast aus­schliess­lich in der Berner Dampfzentrale statt­fin­det. Diese wird heu­te mit 2,5 Millionen Franken grund­sub­ven­tio­niert und erhält zusätz­li­che Produktionskredite – mei­stens für Tanzprojekte. Jetzt möch­te Bern die­se fast ver­schwun­de­ne Kunstgattung also wie­der­auf­le­ben las­sen – angeb­lich, weil Bern eine wich­ti­ge Tanzszene habe. Diese Aussage kommt aber aus der Dampfzentrale Bern, nicht aus den Redaktionsräumen der Medien. Diese wie­der­um hät­ten wohl eher Jazzmusik ins Rampenlicht gestellt – doch Jazz ist heu­te kein Thema mehr. Doch wir wer­den ver­su­chen, die­sen ab 2023 wie­der­zu­be­le­ben.

Immerhin will man jetzt die Digitalisierung anpacken. Nachdem in den 80er- und 90er-Jahren die­ses Thema auf den Bühnen in Theater oder Tanz gross insze­niert wor­den ist, heisst es im Dokument der Stadt Bern über die Schwerpunkte und Mittelverwendung: «In der Produktion sor­gen neue tech­no­lo­gi­sche Möglichkeiten für künst­le­ri­sche Innovation, sei es, indem klas­si­sche Produktionsweisen digi­ta­li­siert wer­den, sei es, indem die Digitalisierung neue Produktionsweisen über­haupt ermög­licht. Zum Beispiel ver­än­dert die digi­ta­le Klangerzeugung und ‑steue­rung die Musikproduktion. Multimediale Installationen ver­än­dern die Kunstproduktion auf Bühnen und in Kunsthäusern.» Natürlich sagt nie­mand, dass man die inno­va­tiv­sten Theaterpersonen, wel­che heu­te die Digitalbühne Zürich auf­ge­baut haben, aus Bern ver­jagt hat. Jetzt möch­te man doch etwas von die­ser Innovation haben.

In den letz­ten 20 Jahren hat man in Sachen Musik die CD-Produktion in den Mittelpunkt gestellt – das war, neben­bei, auch schon digi­tal. Und gera­de Bern hat in der Musik bezüg­lich digi­ta­ler Produktionen und Elektromusik die Nase in der Schweiz weit vor­ne. Nur die Kulturförderung scheint das nie bemerkt zu haben. Ganz neben­bei bemerkt: Ich habe gera­de für 200 Franken auf einer Auktionsplattform pri­vat einen Synthesizer in Bern erstei­gert, der 30 Jahre alt ist, damals maka­bre 13 000 Franken geko­stet hat und heu­te immer noch sen­sa­tio­nell klingt. Neu gekauft hat­te ihn damals ein Berner Musiker.

Und eben­so ver­wirr­lich: Wer meint, dass die Stadt ein Interesse dar­an hät­te, die Stadtentwicklung mit den BürgerInnen zu dis­ku­tie­ren und im Dialog zu ana­ly­sie­ren, sieht sich getäuscht. Kulturelle Teilhabe ja, aber nur so, dass man nicht bedrängt wird. In Bern gibt es im Kornhausforum eines der besten Architekturforen der Stadt und dazu Ausstellungen zur Stadtentwicklung, die sich natio­nal mes­sen kön­nen. Doch lässt sich die Stadt Bern hier lum­pen: Zwei Drittel der Subventionsgelder flies­sen in Form von Mietkosten zurück an die Stadt Bern – wobei man erwäh­nen muss, dass aus­ge­rech­net die­se Institution einen «markt­üb­li­chen Mietzins» bezah­len muss, was im Normalfall eigent­lich ganz unüb­lich ist.

Traurig ist aller­dings ein ganz spe­zi­el­ler Schwerpunkt, auf den die städ­ti­schen Beamten noch beson­ders stolz sind: Die Berner Altstadt mit dem legen­dä­ren Kellertheater soll mit einem neu­en Beitrag «Infrastrukturen der Altstadt für kul­tu­rel­le Nutzung» von 100 000 Franken geför­dert wer­den. Das klingt nach Plan und nütz­li­chem Engagement. Doch wer genau­er hin­sieht, merkt, dass die Idee dahin­ter das pure Gegenteil ist: Bisher hat­ten drei bis vier Theater je einen eige­nen Beitrag erhal­ten. Jetzt kürzt man die­sen Theatern die­se Beträge. Die Kommission will dem alt­backen anmu­ten­den Schaffen vom Narrenpack-Theater oder gar dem Puppentheater einen Riegel schie­ben: Die Kommissionen erach­ten die­se Theaterformen als nicht mehr unter­stüt­zungs­wür­dig. Das ist inso­fern unsin­nig, als dass man Kinderkultur im Grundkonzept über alle Sparten för­dern will, aber genau bei den Kindern im Puppentheater die gröss­te Einsparung zu machen gedenkt. Man erhofft sich sogar, Kinderkultur über das Bildungsbudget zu berap­pen. Gleiches gilt für das Narrenpack-Theater und das Theater Matte. Hier ist die Begründung, dass man Laientheater nicht för­dern wol­le – setzt aber par­al­lel dazu als schwe­rer Schwerpunkt im Förderungsplan auf kul­tu­rel­le Teilhabe – nur eben erfolg­reich nicht da, wo das Publikum wäre. Das ist inso­fern beäng­sti­gend, als dass das Konzert Theater Bern im Dezember 2018 mit der Aufführung «Beresina oder die letz­ten Tage der Schweiz» mit viel Geld und wenig künst­le­ri­schem Regiekönnen ein Laienspektakel im Stadttheater auf­führ­te, wel­ches dem Theater Matte nicht das Wasser rei­chen konn­te. Doch die «Laien» wer­den bestraft, Konzert Theater Bern erhält in den näch­sten vier Jahren zusätz­li­che 600 000 Franken jähr­lich. Soll jemand ver­ste­hen.

Der Vierjahresplan ist ein Sparprogramm, das nach mehr aus­se­hen will. Wer mehr Geld woll­te, dem hat man ein paar Almosen zuge­steckt – ein Schweigegeld. Beim Berner Puppentheater hat man sich aller­dings ver­rech­net: Die haben mit einer Petition inner­halb weni­ger Wochen 16 400 Unterschriften gesam­melt und machen guten Druck. Die Forderung: 150 000 Franken Subvention. Hätte jede gesam­mel­te Unterschrift 9.15 Franken bezahlt, wäre das Geld bereits zusam­men. Die Kulturbeamten wer­den dro­hen, dass man an einem ande­ren Ort spa­ren müs­se, und man wird Projekte gegen Projekte aus­spie­len. Das Geld fällt schliess­lich nicht vom Himmel.

Unter die­sen Voraussetzungen ver­mu­te ich stark, dass wir in den näch­sten vier Jahren einen mas­si­ven Besucherrückgang fest­stel­len wer­den. Es ist der Abteilung Kulturelles in den letz­ten 15 Jahren nicht gelun­gen, mehr Menschen für Kultur und Kunst zu begei­stern, weil sie sich nie für die Bevölkerung ein­ge­setzt hat. Die Besucherzahlen bewe­gen sich gesamt­haft immer im glei­chen Rahmen oder sin­ken, doch die Kosten sind gestie­gen. An einem Firmenanlass mit Apéro und Theaterbesuch im Konzert Theater Bern, wir sahen das Stück «Beresina», war die Hälfte der Anwesenden zum ersten Mal im Stadttheater – teils nach 50 Jahren. So was zeigt, wie wenig die­se Kulturhäuser die Gesellschaft errei­chen.

Die mei­sten Sponsoren aus der Wirtschaft haben sich unlängst aus der Förderung zurück­ge­zo­gen – Konzepte, die­se wie­der zurück­zu­ho­len, gibt es nicht. Eine inhalt­li­che Diskussion gibt es auch immer noch nicht, aber die Forderung, dass Kultur und Kunst mehr Geld brau­chen, wofür auch immer, ist zen­tral. Verordnete Kultur, Kulturdoktrin, ja, aber die Beamten und die Politik inter­es­sie­ren sich nicht für das Publikum und des­sen Meinung. Genau des­we­gen wird die Kluft zwi­schen Politik, Kultur und Bevölkerung immer grös­ser. Wir för­dern eine ein­sa­me Kultur.

Es gäbe Lösungen: In den letz­ten rund 20 Jahren hat sich das Kulturproduktionsfeld ver­än­dert. Die Kulturförderung nicht wirk­lich. Noch immer wer­fen wir Infrastruktur- und Administrationsgelder in den glei­chen Fördertopf mit den künst­le­ri­schen Inhalten. Das ist unsin­nig und gibt ein Gefühl von gross­ar­ti­ger Förderung – dabei bleibt das Geld im Sandstein hän­gen. In den mei­sten Fällen geht es sogar zurück an die Stadt. Man spricht von Millioneninvestitionen – doch im Grunde tun wir nichts, aus­ser Papier von einer Seite des Schreibtisches auf die ande­re zu legen. Die Berner Kulturkonferenz hat­te im Jahr 2014 den Anlauf unter­nom­men, die Strategie zu ändern. Die Politik würg­te das Unterfangen ab, indem ein Konzept-Auftrag an die Kulturabteilung ver­ge­ben wur­de, der die bis­he­ri­gen Strukturen wah­ren soll­te. Das Resultat: Alles bleibt bis ins Jahr 2028 unver­än­dert. Eine umwer­fen­de Leistung.

Wahrlich, der finan­zi­el­le Vierjahres-Marschplan der Bundesstadt wird Bern kul­tu­rell nicht beflü­geln und ist alles ande­re als inno­va­tiv und gesell­schaft­lich rele­vant. Im Gegenteil: Der ein­zi­ge kon­kre­te Wert, auf den man hier setzt, ist das unauf­ge­reg­te Mittelmass und die Unauffälligkeit. Einerseits pro­du­ziert Bern damit für sich selbst ein Wohlfühl-Unterhaltungsprogramm, das aus­ser­halb der Stadt kaum jeman­den anspre­chen wird. Andererseits wird sich Bern mit die­sem Plan kaum inter­na­tio­nal als Bundesstadt bemerk­bar machen oder selbst die Bevölkerung moti­vie­ren. Und noch ein­mal: Wer in der Bundesstadt kul­tu­rell ein Ziel hat, muss weg hier. Das ist der ein­zi­ge Sinn, von dem man als ehr­gei­zi­ger Kulturschaffender in die­ser klei­nen Bundesstadt pro­fi­tie­ren kann.