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David Hamilton – ewi­ger Träumer

Von Anna Vogelsang – «Have you stu­di­ed pho­to­gra­phy?» – frag­te der Man mit dem gel­ben Hut. «No» – war die Antwort von einem zur Pressekonferenz gekom­me­nen Journalisten. «So, then we can’t talk about it.» – war die reso­lu­te Antwort des Hutträgers, und er schick­te den ver­dat­ter­ten Kollegen in die Wüste.

Ich war an der Reihe mei­ne Fragen zu stel­len: «Haben Sie Fotografie stu­diert?» – «Nein. Haben Sie?» – «Oh, nein.» – «Aber wir kön­nen trotz­dem dar­über spre­chen, oder?» David Hamilton sah etwas über­rascht über die Brille: «Von wel­chem Magazin sind Sie, haben Sie gesagt?»

Die mür­ri­sche Stimmung der «leben­den Legende» habe ich dem TGV zuge­schrie­ben: Der Zug von Paris kam in Bern mit 2 Stunden Verspätung an, und der fast 81-jäh­ri­ge Kultfotograf muss­te sich gleich nach der Ankunft im Hotel Bellevue Palace unse­ren Fragen stel­len.

Mister Hamilton, in wel­che Richtung wird sich Ihrer Meinung nach die Fotografie ent­wickeln?

Ich kann nur für mich spre­chen. Die Entwicklung der Fotografie wur­de für mich schon zur Zeit mei­ner Jugend been­det. Sie ent­wickelt sich nicht wei­ter, sie steht am glei­chen Punkt. Stellen Sie sich vor, ein Flugzeug star­tet, fährt über die Flugbahn bis zum Ende und hebt dann ab, und fliegt in eine Richtung. Ich muss­te schon vor 40 Jahren in die­se vor­ge­ge­be­ne Richtung mit­ge­hen. Ich wähl­te mei­nen Stil inner­halb der gege­be­nen Rahmen und blieb ihm bis heu­te treu. Die Welt hat sich inzwi­schen ver­än­dert, aber nicht mei­ne foto­gra­fi­sche Präferenzen. Seit je gehe ich immer in die glei­che Richtung. Aber jeder kann sei­ne eige­ne Richtung wäh­len.

Wir leben in den Zeiten abso­lut schar­fer Bilder: Je schär­fer desto bes­ser. Der Betrachter wird nicht gefor­dert etwas hin­ein­zu­in­ter­pre­tie­ren – er sieht ja jede Pore. Andererseits wird alles mit Photoshop geglät­tet und bear­bei­tet, damit alles per­fekt aus­sieht. Das ist doch ein Selbstbetrug, mei­nen Sie nicht?

Nur damit das klar ist, ich ver­wen­de kein Photoshop. Ich weiss nicht ein­mal, wie man das anwen­det. Ich ver­wen­de nur natür­li­ches Tageslicht und kei­nen Blitz. Keine Tricks – kein Betrug. Alle Perfektion wird heu­te nur mit Technik erreicht, aber die Technik ersetzt nicht das Talent. Talent kommt von etwas ande­rem her, von Emotionen, nicht von der Technik. Der beste Fotograf der Welt, Miroslav Tichý (*1926 – †2011, Red.), bastel­te sich sei­ne eige­nen Kameras aus Brillengläsern, Flaschenböden und Pappe zusam­men, und mach­te damit genia­le Arbeiten, deren Professionalität und Talent aus­ser Frage steht – trotz feh­len­der per­fek­ter Technik.

Die Digitalisierung der Visuellen Künste hat zu deren Demokratisierung und zur Vereinfachung des Verfahrens geführt. Hat die Digitalisierung der Photographie ihre Magie beraubt?

Dieses unend­li­che Knipsen zer­stört die gan­ze Sache. Die Fotografie hat­te ihren Höhepunkt 1920. Ende. Seither kann ich – egal wohin gehen, ich kann zum Mond flie­gen, ich kann alles machen, aber ich kann kei­ne Bilder machen. Ich ver­ste­he die­se moder­nen tech­ni­schen Möglichkeiten nicht. Ich gehö­re zur Vergangenheit. Und was ich sehe ist viel Technik und kei­ne Talente. Die Alten Meister, Miroslav Tichý, August Sander (*1876 – †1964, Red.), Jacques-Henri Lartigue (*1894 – †1986, Red.), Richard Averdon (*1923 – †2004, Red.) sind schon gegan­gen, und ich kann Ihnen kei­ne neu­en Namen sagen, die ich als Nachfolger sehe. Heutige Street-Fotografen lie­ben Skandale, Demos, Zerstörung und Krieg – den gan­zen Hardcore. Vielleicht bin ich so erfolg­reich, weil ich ein abso­lu­ter Aussenseiter bin. Ich bin ein Amateurfotograf, das ist die Wahrheit. Ich habe kei­ne Ahnung vom Print, vom Kunstlicht, ich drücke nur den Knopf.

Die 60er und 70er Jahre waren für deren Kulturgruppierungen, Bohème-Kreise berüch­tigt und berühmt. Die Ausstrahlung der dama­li­gen Hauptprotagonisten ist bis zur Gegenwart wahr­zu­neh­men. Wo sind die heu­ti­gen Epizentren der Kunst? Wo spielt die Musik heu­te?

Es gibt sie ganz bestimmt, aber wir wer­den sie erst in etwa 10 Jahren erken­nen, post fac­tum.

Sie wur­den mit ihren Foto- und Filmarbeiten in den 70 Jahren berühmt. Was ist mit Ihnen seit den 70er pas­siert?

I stay out to lunch. Ich ste­he aus­ser­halb.

Wie wich­tig ist für Sie was in der Kunstszene pas­siert? Wie beein­flusst Sie die Aussenwelt?

Gar nicht mehr. Die gros­se dunk­le Welt da draus­sen inter­es­siert mich nicht mehr. Sie ist hart, skan­da­lös, bru­tal, schockie­rend und vul­gär. Ich lebe in mei­ner eige­nen Welt der Schönheit.

Aber wie ist es mög­lich sich kom­plett abschot­ten und dabei doch in der heu­ti­gen Kunstszene prä­sent zu sein?

Das ist mög­lich, wenn Sie wie ein Eremit, ein Mönch leben. Tichý mach­te das Gleiche, aber auf sei­ne Art: Er war ein Clochard. Ich habe mich für mei­ne son­ni­ge Welt der Schönheit ent­schie­den.

Interessieren Sie noch immer die Motive der jun­gen Mädchen?

Der genia­le Vladimir Nabokov schrieb über ein jun­ges Mädchen (gemeint ist der Roman «Lolita», Red.), Baltus (Balthasar Kłossowski de Rola, Red.) mal­te und ich foto­gra­fie­re jun­ge Mädchen. Wir drei set­zen die­ses Tabu-Objekt – so ist die heu­ti­ge Moral – in Szene. Andere Künstler, Fotografen ver­su­chen die­se Jugendlichkeit zu imi­tie­ren, indem sie mit 20-jäh­ri­gen arbei­ten, aber sie insze­nie­ren sie als 12-jäh­ri­ge. Und das funk­tio­niert nicht. Notabene, in den 70er Jahren war das über­haupt kein Tabuthema. Heute wäre, was wir in den 70ern kre­ierten, gar nicht mehr mach­bar.

Hat sich Ihre Definition der Schönheit seit den 70er Jahren ver­än­dert? Hat sich Ihre Ästhetik ver­än­dert?

Nein. Deswegen bin ich auch glück­lich. Ich suche jun­ge Mädchen. Ich hetz­te nicht dem Kitsch nach, ich ren­ne mein gan­zes Leben wie der Esel hin­ter der glei­chen Karotte her. Ich arbei­te nicht mit pro­fes­sio­nel­len Models. Die Models per­for­men. Ich fin­de mei­ne Mädchen in Schweden und Dänemark. Sie brau­chen kein Makeup, sind schüch­tern und natür­lich.

Warum ist es für die Leute so schwie­rig zu unter­schei­den zwi­schen dem Obszönen und dem Kunstvollen? Warum wen­det sich die gesell­schaft­li­che Moral und Wahrnehmung in die­sen Fragen so radi­kal?

Diese mora­li­sche Sicht ist typisch ame­ri­ka­nisch und angel­säch­sisch. Von da über­sie­del­te das auf Europa. Zwei Wörter tren­nen Frauen von Männern: Frau – Passion, Mann – Obsession. Wir leben in einer Männerwelt, und die Obsession domi­niert alle unse­re Lebensbereiche. Die Wahrnehmung des Gesehenen hängt von den Augen des Betrachters ab. Der zuver­läs­si­ge Richter der Kunst ist die Zeit: Ist etwas für fünf Minuten, für fünf Jahre oder für die Ewigkeit? Nur die Zeit wird zei­gen, was Kunst ist. Die wah­re Kunst lan­det frü­her oder spä­ter in Museen. Das, was heu­te aner­kannt ist, wird mor­gen ver­ges­sen sein. Die Arbeiten von Matisse, Gauguin, Picasso, waren zu deren Lebzeiten skan­da­lös. Heute stellt nie­mand sie in Frage.

Die Zeit ist um. Nicht die Öffentlichkeit, Journalisten, Kunstkritiker und Co. stecken Hamilton in das enge Korsett «Soft-Mädchen-Fotografie». Nein, er engt sich selbst in die­ses Schema ein, dort­hin wo er sich wohl­fühlt und sei­nen Traum unbe­irrt wei­ter träu­men kann. Ob man ihn dafür ver­ur­tei­len soll sei jedem selbst über­las­sen. Seine Ehrlichkeit aber, und sei­ne kon­se­quen­te Position mögen gleich­wohl erstau­nen. Er wehrt sich nicht dage­gen, dass die Kritiker sei­ne Arbeiten auf eine Charakteristik redu­zie­ren, er folgt ihnen da wider­stands­los. Ob das so stimmt? …

www.galerierigassi.ch

Foto: zVg.
ensuite, April 2014