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Das Wagner-Jahr, ein Denkanstoss?

Von François Lilienfeld – Wohl kaum eine Persönlichkeit der Musikgeschichte wur­de so fana­tisch ver­göt­tert und so innig gehasst wie Richard Wagner (1813–1883). Gelassen oder gar gleich­gül­tig steht ihm wohl Niemand gegen­über. Die Gründe dafür lie­gen in sei­ner Kunst, vor allem aber in sei­ner Person, wobei die Frage schon immer die Gemüter erregt hat, wie sehr die eine von der andern beein­flusst, durch­drun­gen sei.

Der 200. Geburtstag des Komponisten bringt natür­lich eine inten­si­ve Beschäftigung mit dem Phänomen Wagner mit sich. Ich mei­ne damit nicht die kom­mer­zi­el­len und reprä­sen­ta­ti­ven Ereignisse: unzäh­li­ge CD-Wiederveröffentlichungen von teils sehr mit­tel­mä­ßi­gen Aufnahmen und pre­sti­ge­be­ding­te Aufführungen zwei­fel­haf­ter Qualität an unzu­läng­li­chen Orten. Auch über das die­ses Jahr wohl noch über­ris­se­ne­re Bayreuther Ritual schwei­gen wir dezen­ter­wei­se: Berichte dar­über wer­den im Sommer noch früh und zahl­reich genug erschei­nen. Und was für unsin­ni­ge Projekte in den Köpfen gewis­ser ori­gi­nel­ler Opernregisseure auf uns zukom­men, dar­an wol­len wir lie­ber gar nicht den­ken.

Jedoch, eine Beschäftigung mit Wagner, eine künst­le­ri­sche, sozia­le, poli­ti­sche kurz, eine mensch­li­che: Die tut not! Anstelle von Vergötterung und Hass brau­chen wir Analyse und Kritik, die aller­dings oft sehr scharf sein wird, sein muß …

Wagners Charakter war geprägt von einer gera­de­zu krank­haf­ten Egozentrik, einer Ich-Bezogenheit, der sich die gan­ze Umgebung zu unter­wer­fen hat­te. Von die­ser Umgebung war er stets bereit zu pro­fi­tie­ren, nicht zuletzt wann immer er einer sei­ner Lieblingsbeschäftigungen beson­ders inten­siv gefrönt hat­te: dem Schuldenmachen. Gleichzeitg war Undank eine sei­ner stärk­sten Charaktereigenschaften. Sein patho­lo­gi­scher Judenhass rich­te­te sich nicht zuletzt gegen Kollegen, denen er sehr viel zu ver­dan­ken hat­te: Mendelssohn, Meyerbeer…

Wagner bezeich­ne­te sich als der Erbe Beethovens (!), leug­ne­te aber gleich­zei­tig die wei­te­re Lebensfähigkeit der Instrumentalmusik. Als Beweis führ­te er die Tatsache an, daß Beethoven in der Neunten die Singstimme ein­ge­führt hät­te – ein fata­ler Trugschluß Wagners: Beethoven hat­te ein­fach, wie so oft in sei­ner Laufbahn, ver­sucht, inner­halb der klas­si­schen Formen einen Schritt wei­ter­zu­ge­hen, ohne die­se Formen zu ver­leug­nen – man den­ke auch an die spä­ten Klaviersonaten und Streichquartette.

Wagner ver­lässt also Symphonie und Oper und schafft das Musikdrama. Die Mittel zu die­ser neu­en Form – sie wird in sei­nem Werk nach dem «Lohengrin» die Romantische Oper ablö­sen – sind die ewi­ge Melodie und ein dra­ma­ti­sches Geschehen, das zwar gesun­gen wird, aber erst durch das Orchester sei­ne psy­cho­lo­gi­sche Tiefe erfah­ren kann. Abgeschlossene Arien und Szenen (Nummern) sind tabu. All dies soll neu, im wahr­sten Sinne uner­hört auf den eben­so neu­en Hörer tref­fen.

Dazu wäre sehr viel zu schrei­ben – ich wer­de ver­su­chen, den Rahmen von Zeitschriftenartikeln nicht zu spren­gen und trotz­dem eini­ge Denkanstöße zu geben…

Da wäre erst ein­mal die abso­lu­te Neuheit, das Revolutionäre: Eine etwas genaue­re Analyse der Wagnerschen Werke läßt sehr vie­le Anleihen an Altbewährtes ent­decken. Nun lernt jeder Künstler von sei­nen Vorgängern, Einflüsse von frü­her gehö­ren zu jedem musik­ge­schicht­li­chen Schritt (Schönberg nann­te man den kon­ser­va­ti­ven Revolutionär …). Was schockiert, ist Wagners Leugnung die­ser Evolution, sei­ne Angriffe gera­de auf die Leute, die ihn am mei­sten geprägt haben. Natürlich gibt es auch Ausnahmen: Wagner hat von sei­ner Bewunderung für Carl Maria von Weber kein Hehl gemacht, inso­fern ist das erste Auftauchen des Schwertmotivs am Ende des «Rheingoldes» nicht nur ein direk­tes Zitat, son­dern auch eine Hommage an den Schöpfer der Ozean-Arie der Rezia in der Oper «Oberon». Schwieriger wird die Lage beim viel­ge­rühm­ten Beginn des­sel­ben «Rheingoldes»: Schon nach ein paar Es-dur-Takten hören wir Mendelssohns Ouvertüre zum Märchen von der schö­nen Melusine. Geradezu kom­plex aber wird die Situation beim Feuerzauber aus dem Ende der «Walküre»: Das Flammenthema stammt aus dem Finale des 3. Aktes aus «La Juive» (Die Jüdin) von Jacques Fromenthal Halévy, einer Oper, die Wagner trotz ihres Themas und der Religionszugehörigkeit ihres Autoren zeit­le­bens bewun­der­te. Auch wenn Wagner hass­te, war er nicht kon­se­quent …

Was das Libretto der «Meistersinger» betrifft, sind die Anregungen durch die Oper «Hans Sachs», von Albert Lortzing auf einen Text von Philipp Reger kom­po­niert und 1840 in Leipzig urauf­ge­führt, nicht zu über­se­hen. Auch gegen­über Lortzing, der Wagner oft unter­stützt hat­te, war Undank Wagners Lohn.

Wagners Schriften, allen vor­an das unsäg­li­che Pamphlet «Über das Judentum in der Musik», waren für die Nazis natür­lich ein gefun­de­nes Fressen. Nun konn­te der Bayreuther nicht vor­aus­se­hen, was ein hal­bes Jahrhundert nach sei­nem Tode gesche­hen wür­de. Daß aber sei­ne Ideen, stark unter­stüzt von einer Clique sei­ner glü­hen­den Anhänger (Wolzogen, Chamberlain und nicht zuletzt die fana­ti­sche Cosima…) unse­li­ge Konsequenzen haben wür­den, muß er geahnt (gehofft?) haben: Er hat­te vie­le Fehler, aber dumm war er bestimmt nicht.

Dazu zwei Kuriositäten:
1871 schrieb ein 32-jäh­ri­ger Kapellmeister, Sohn des Oberrabbiners von Gießen, an Wagner, um eini­ge Fragen zur Aufführungspraxis zu klä­ren. Sein Name war Hermann Levi; er wird am 28. Juli 1882 in Bayreuth die Uraufführung des «Parsifal» diri­gie­ren. Ein Dilemma für Alle: Levi war wie so vie­le Juden – vor­nehm­lich jüdi­sche Musiker! – in den Bann der Wagnerschen Musik gera­ten, ohne sich über den Charakter des Komponisten und über sei­ne Anhänger Illusionen zu machen («…daß ich jede ent­fern­te­ste Gemeinschaft mit der Zukunftsbande scheue und von ihr bestens gehasst bin, mag Dir zu über­le­gen geben», schreibt er 1875 an sei­nen Freund Brahms). Cosima Wagner trägt am 28. April 1880 in ihr Tagebuch ein: Ungetauft darf er (Levi) den «Parsifal» nicht diri­gie­ren. Wagner selbst wünsch­te wohl auch eine Taufe; jedoch hät­te sie sei­ne anti­se­mi­ti­schen Gefühle nicht zu ver­min­dern ver­mocht – auch Mendelssohns Taufe schütz­te ihn nicht vor sei­nen Angriffen!

Denn etwas darf man nicht außer Acht las­sen: Wagners Antisemitismus war ras­si­stisch, war mit der Überzeugung der Überlegenheit der Germanen ver­bun­den. Das mach­te sei­ne Schriften wie «Das Judentum in der Musik» so gefähr­lich im Hinblick auf die zukünf­ti­ge Instrumentalisierung durch die Nazis. Nebenbei bemerkt: Auch Franz Liszt, Vater von Cosima Wagner, hat ähn­li­che Scheußlichkeiten über die Juden geschrie­ben wie sein Schwiegersohn…

Levis «Parsifal»-Dirigat war ein vol­ler (musi­ka­li­scher) Erfolg. 1888, fünf Jahre also nach Wagners Tod, muss­te er jedoch aus gesund­heit­li­chen Gründen auf die Reise nach Bayreuth ver­zich­ten. Felix Mottl über­nahm die Leitung sehr zur Freude Cosimas.
Das zwei­te Paradoxon beginnt auch mit einem Brief; er ist vom 7.März 1872 datiert und an Wagner in Tribschen adres­siert. Der Absender ist ein Charkower Jude aus wohl­ha­ben­der Familie Namens Joseph Rubinstein (1847–1884). Er bezeich­net das Studium von Wagners Werken als die glück­lich­ste Zeit sei­nes Lebens und bie­tet dem Meister sei­ne Mithilfe bei der Vorbereitung zu der Uraufführung des «Rings» an.

Bald wird Rubinstein stän­di­ger Gast bei den Wagners, erst im Luzernischen, dann in Bayreuth. Er ist ein vor­züg­li­cher Pianist und spielt Wagner sei­ne Werke vor, aber auch Stücke ande­rer Komponisten, vor­nehm­lich Bach. Besonders nütz­lich für Wagner ist Rubinsteins Tätigkeit als Korrepetitor.

Die hei­le Welt, an die man glau­ben könn­te, täuscht: Antisemitische Bemerkungen von Wagner und Cosima gehö­ren zum täg­li­chen Leben, der iro­ni­sche Ausdruck vom «Hausisraeliten» ist dabei noch das Harmloseste.

Viel schlim­mer ist eine Dankesrede, die Wagner für Rubinstein hält, eine Rede gespickt mit ras­si­sti­schen Theorien … Es kommt zum Zerwürfnis, dann wie­der zur Versöhnung. Im fer­nen Charkow macht sich Rubinsteins Vater Isaac, der um die Labilität sei­nes Sohnes weiß, gro­ße Sorgen. Zu recht, wie sich bald her­aus­stel­len wird: Am 23. August 1884, andert­halb Jahre nach Wagners Tod, erschießt sich Joseph Rubinstein in der Nähe von Tribschen. Er hat­te gera­de eine sehr erfolg­rei­che Tournee als Klaviervirtuose been­det. Sein Grab fin­det er in Bayreuth; die Überführung und die Errichtung des Grabmahls wird von Cosima ver­an­lasst, nach­dem sie von Isaac Rubinstein über das tra­gi­sche Ereignis unter­rich­tet wor­den ist … Die Welt ist vol­ler Rätsel, auch und gera­de in der Villa Wahnfried .

In der näch­sten Ensuite-Ausgabe wird die­ser Artikel fort­ge­setzt, mit einer Betrachtung Wagners als Dichter und Komponist. Insbesondere wird von sei­nem Verhältnis zu den Sänger(inne)n und zum Orchester die Rede sein. Eine Auswahl- Biblio- und Diskographie schließt sich an.

 


HINWEISE: Das Standardwerk zu Hermann Levi, «Zwischen Brahms und Wagner», von Frithjof Haas (Atlantis Musikbuch-Verlag, Zürich/Mainz 1995) kann über Antiquariate bezo­gen wer­den.

Viel Wissenswertes über Levi und Rubinstein steht in dem sehr infor­ma­ti­ven Werk «Jüdisches Bayreuth» (diver­se Autoren, her­aus­ge­ge­ben von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Bayreuth, Ellwanger-Verlag, Bayreuth, 2010). Dieser reich illu­strier­te Band ent­hält, neben den erwähn­ten Beiträgen, einen voll­stän­di­gen und inter­es­sant geschrie­be­nen Überblick über die Geschichte der Juden in der Stadt, die ab 1876 durch Wagners Tätigkeit welt­be­rühmt wur­de. Der Inhalt reicht vom Mittelalter bis in die Zeit nach 1945.

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2013