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Das kosche­re Lamm

Acht Israelis und ein Schweizer gin­gen auf einen Fuenftagestrek in Peru. Was wie ein Witz anfaengt, ist kei­ner, denn wenn man in Peru und Bolivien reist, trifft man zwangs­laeu­fig auf unzaeh­li­ge Backpackers aus dem gelob­ten Land. Und so kam es, dass ich mich, beglei­tet von der hal­ben israe­li­schen Armee, in die perua­ni­schen Anden auf­mach­te.

Wir beschlos­sen, ein Lamm zu kau­fen, zu schlach­ten, zu gril­lie­ren und anschlies­send zu ver­spei­sen. Ein perua­ni­scher Alpakahirte nahm ein Messer und durch­trenn­te die Kehle des Lamms. Dabei fiel den Israelis auf, dass die Art und Weise der Toetung einer kosche­ren Toetung sehr aehn­lich ist (slebst­ver­staend­lich brauchts dazu den Rabbi). Und schon befand ich mich inmit­ten einer hit­zi­gen Diskussion ueber Schaechten.

Art. 15 Abs. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung garan­tiert die Kultusfreiheit: «Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre welt­an­schau­li­che Überzeugung
frei zu wäh­len und allein oder in Gemeinschaft mit ande­ren zu beken­nen.» Das beinhal­tet auch die Ausuebung von reli­gioe­sen Ritualen. Art. 21 Abs. 1 des Tierschutzgesetzes jedoch ver­bie­tet das Schaechten aus­drueck­lich mit fol­gen­dem Wortlaut: «Säugetiere dür­fen nur geschlach­tet wer­den, wenn sie vor Beginn des Blutentzugs betäubt wor­den sind.» Das Tierschutzgesetz schraenkt die Religionsfreiheit also ein. Grundrechte duer­fen dann ein­ge­schraenkt wer­den, wenn Art. 36 Der Schweizerischen Bundesverfassung erfuellt ist: «Einschränkungen von Grundrechten bedür­fen einer gesetz­li­chen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müs­sen im Gesetz selbst vor­ge­se­hen sein. Ausgenommen sind Fälle ern­ster, unmit­tel­ba­rer und nicht anders abwend­ba­rer Gefahr. Einschränkungen von Grundrechten müs­sen durch ein öffent­li­ches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerecht­fer­tigt sein. Einschränkungen von Grundrechten müs­sen ver­hält­nis­mäs­sig sein. Der Kerngehalt der Grundrechte ist unan­tast­bar.» Die gesetz­li­che Grundlage ist offen­sicht­lich unpro­ble­ma­tisch; das Tierschutzgesetz ist selbst­ver­staend­lich Gesetz im for­mel­len Sinne, d.h. demo­kra­tisch durch den Gesetzgebungsprozess legi­ti­miert. Fraglich bleibt fuer mich aller­dings das oef­fent­li­che Interesse sowie die Verhaeltnismaessigkeit, wes­halb fuer mich zwei­fel­haft ist, ob die aner­kann­te Einschraenkung der Religionsfreiheit in Art. 21 des Tierschutzgesetzes sinn­voll ist. Immerhin bleibt der jue­di­schen Bevoelkerung in der Schweiz die Moeglichkeit des Fleischimports, wel­cher durch Art. 14 Abs. 1 des Tierschutzgesetzes garan­tiert wird: «Der Bundesrat kann aus Gründen des Tierschutzes und des Artenschutzes die Ein‑, Durch- und Ausfuhr von Tieren und Tierprodukten an Bedingungen knüp­fen, ein­schrän­ken oder ver­bie­ten. Vorbehalten bleibt die Einfuhr von Koscher- und von Halalfleisch, um eine aus­rei­chen­de Versorgung der jüdi­schen und der isla­mi­schen Gemeinschaft mit sol­chem Fleisch sicher­zu­stel­len. Die Einfuhr- und die Bezugsberechtigung sind Angehörigen die­ser Gemeinschaften und ihnen zuge­hö­ri­gen juri­sti­schen Personen und Personengesellschaften vor­be­hal­ten.» Dies ver­teu­ert aller­dings das kosche­re Fleisch, wes­halb man auch dar­in eine Benachteiligung der jue­di­schen Bevoelkerung sehen koenn­te.

Ich per­soen­lich habe die Toetung des Lamms als sehr sanft und schnell erlebt. Das Tier schien ueber­haupt nicht zu lei­den und war sofort tot. kosche­res Toeten erscheint mir daher nicht so blut­ruen­stig, wie ich mir das vor­ge­stellt habe, wes­halb mir das schwei­ze­ri­sche Schaechtverbot doch sehr frag­lich erscheint.

Doch wie auch immer man zu dem Thema steht, Art. 190 der Bundesverfassung macht immer­hin die Rechtslage deut­lich: «Bundesgesetze und Völkerrecht sind für das Bundesgericht und die ande­ren rechts­an­wen­den­den Behörden mass­ge­bend.» Auf Nicht-juri­stisch bedeu­tet das, dass ein Bundesgesetz auch dann ange­wen­det wer­den muss, wenn es gegen die Verfassung, also bei­spiels­wei­se gegen die Religionsfeiheit, ver­stoesst. Rechtlich ist der Fall damit klar, aber mehr nicht.