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Das etwas ande­re Theatererlebnis

Von Belinda Meier – Schauplatz International hat mit «Wunschmaschine / Service Center» am 9. September im Schlachthaus Theater die Spielzeit 2011/2012 eröff­net. Das Stück leb­te von allen anwe­sen­den Personen und allen zur Verfügung ste­hen­den Räumlichkeiten. Ein leben­di­ger, publi­kums­na­her und damit sehr schön arran­gier­ter Saisonauftakt. Für ensuite war ich mit dabei.

Am 9. September traf ich auf ein ande­res Schlachthaus. Nachdem ich das Billet an der Kasse abge­holt hat­te, stand Martin Bieri, Akteur von Schauplatz International, da, über­reich­te mir eine Nummer zum Aufkleben, und wies mich an, um 19.00 Uhr im Keller zu erschei­nen. Ich kleb­te mir die Nummer 6 auf die Jacke und ging zur Bar. «Ach, und über­leg dir schon mal dei­nen gröss­ten Wunsch!», rief er mir hin­ter­her. «Hmm, mein gröss­ter Wunsch? Das kann ja hei­ter wer­den», dach­te ich. Dass all das bereits Teil des Stücks «Wunschmaschine / Service Center» war, hät­te ich wis­sen müs­sen. Ist die freie Theatergruppe Schauplatz International ja gera­de­zu bekannt dafür, dass sie das klas­si­sche Zuschauer-Bühnen-Verhältnis auf­löst, und damit die vier­te Wand aus­löscht.

Service Center Um 19.00 Uhr stieg ich – wie alle ande­ren Gäste auch – in den Keller hin­un­ter und setz­te mich auf einen der vor­han­de­nen Stühle. Der Raum war stark abge­dun­kelt. Im Hintergrund hör­te man auf­ge­zeich­ne­te Gesprächsrunden zum Thema Wünsche. Über dem Eingang hing eine digi­ta­le Anzeigetafel mit Live-Streamings. Ununterbrochen lie­fen Sprachmitteilungen über die­sen Stream, die sich direkt an uns rich­te­ten. Wie in einem Service Center war­te­ten wir dar­auf, dass unse­re Nummer auf­blin­ken wür­de. Nach einer Weile las ich «Nr. 6, bit­te in den Raum K1». Mit einem mul­mi­gen Gefühl mach­te ich mich allei­ne auf den Weg. Zahlreiche Wegweiser erleich­ter­ten mir die Suche. Ich kam vor­bei an einem klei­nen Technikraum, stieg in einen Gewölbekeller hin­un­ter, am ande­ren Ende die Treppe hoch, ging den Flur ent­lang und wie­der meh­re­re Stockwerke hin­auf. Die neue Welt des Schlachthauses gefiel mir.

Mein gröss­ter Wunsch? Endlich, da war sie, die Tür K1. Ich klopf­te an. Schauspielerin Grazia Pergoletti öff­ne­te mir die Tür und bat mich freund­lich her­ein. Ich trat ein in die­ses klei­ne Zimmer, das sowohl Küche als auch Büro war. «Sehr gemüt­lich hier», sag­te ich. Am Esstisch nahm ich Platz. Während Grazia sich eben­falls hin­set­ze und ihren Laptop betä­tig­te, hat­te ich Zeit, die Theatervorschauen, die auf dem Tisch lagen, genau­er anzu­schau­en. Es waren bei­des Stücke, bei denen Grazia selbst mit­spie­len und die bei­de in der aktu­el­len Saison am Schlachthaus Theater zur Aufführung kom­men wür­den. «Gut zu wis­sen», dach­te ich und schau­te mich wei­ter im Raum um. Nach ein paar aus­ge­tau-sch­ten Sätzen woll­te Grazia dann aber doch etwas ganz Bestimmtes von mir wis­sen: «Was ist dein gröss­ter Wunsch?», frag­te sie. «Also doch!», dach­te ich. «Hmm, mein gröss­ter Wunsch?», wie­der­hol­te ich nach­denk­lich. «Schwierige Frage.» – «Ja, ganz ein­fach ist sie nicht», gab sie zu. «Muss es denn wirk­lich DER gröss­te Wunsch sein? Das klingt nach einem unüber­treff­ba­ren und ganz spe­zi­el­len Wunsch. Mit so einem kann ich nicht die­nen.» – «Du fin­dest es also schwie­rig, einen gröss­ten Wunsch zu haben?» – «Ja. Mir geht es gut und es fehlt mir im Grunde an nichts. Viele ande­re Menschen kön­nen das nicht von sich behaup­ten, und hät­ten daher bestimmt vie­le gros­se Wünsche offen.» – «Das ver­ste­he ich sehr gut. Anders gefragt: hast du Wünsche, die du ver­wirk­li­chen möch­test?» – «Ja, eini­ge.» – «Erzähl mir mehr dar­über!» – «Etwa eine län­ge­re Reise unter­neh­men, Wale in frei­er Wildbahn erle­ben, aber vor allem: wei­ter­hin gesund und glück­lich durchs Leben zu gehen.» – «Du sagst ‚wei­ter­hin‘. Was braucht es dem­nach, damit du glück­lich bist?» – «Ach mann, wie­so habe ich mich nur auf die­ses Stück ein­ge­las­sen!», dach­te ich. Dennoch, ich fühl­te mich wohl in die­ser Zweierrunde, woll­te mir des­halb Mühe geben und die­se wie alle wei­te­ren Fragen beant­wor­ten. Grazia hielt alles schrift­lich, aber anonym fest. Exakt nach 10 Minuten been­de­te sie das Gespräch und wies mich an, das Zimmer R auf­zu­su­chen.

Das Schlachthaus von sei­ner ande­ren Seite
Es waren vier Räume und damit vier ver­schie­de­ne Personen, die ich an die­sem Abend im Schlachthaus auf­such­te, um über ein und das­sel­be Thema zu spre­chen: mei­nen gröss­ten Wunsch. Was mit all mei­nen schrift­lich fest­ge­hal­te­nen Aussagen gesche­hen wür­de, wuss­te ich nicht. Ich müss­te ein­fach um 22.00 Uhr im Theatersaal für das «Grande Finale» erschei­nen, hiess es.

Nach dem ein­stün­di­gen Rundgang traf ich wie­der im Eingangsbereich ein, wo tröpf­chen­wei­se auch die ande­ren Gäste auf­tauch­ten. Auch sie tra­fen bei ihrem Rundgang auf vier Personen, mit denen sie über ihren gröss­ten Wunsch spra­chen. Wie bei den mei­nen han­del­te es sich auch bei ihren Gesprächspartnern um Akteure, deren Produktionen wäh­rend der kom­men­den Spielsaison im Schlachthaus Theater auf­ge­führt wer­den wür­den.

Das «Grande Finale» Alle Akteure, die zuvor als Interviewpartner im Einsatz gewe­sen waren, stan­den mit ihrem Laptop auf der Bühne. Vor jedem Akteur stand ein Stuhl, auf jedem Stuhl ein Drucker, und vor jedem Stuhl ein Mikrophon, das auf den Drucker gerich­tet war. Auf ein Handzeichen hin lösten sie den Druckauftrag aus. Die Maschinen setz­ten zeit­gleich ein und druck­ten die zahl­rei­chen Seiten mit den nie­der­ge­schrie­be­nen Wünschen. Anstelle von Wörtern oder Bewegungen rat­ter­te, quietsch­te und piep­ste es auf der Bühne. Die Blätter fie­len auf den Boden, wur­den anschlies­send gesam­melt und im Papierschredder ent­sorgt. «So viel sind unse­re Wünsche also Wert», amü­sier­te ich mich in Gedanken. Der Plastiksack mit all dem Schredderabfall wur­de schliess­lich zusam­men­ge­bun­den, an einen Haken gehängt und mit einem Zugsystem ins Bühnendach gehievt. Dort nah­men ihn zwei Männer in Empfang. Sie öff­ne­ten ihn und streu­ten den Inhalt durch ein Gebläse. Auf der Bühne begann es zu schnei­en. All die Wünsche, wel­che wir im Laufe des Abends geäus­sert hat­ten, füll­ten nun in Form von Schneeflöckchen den Theatersaal – ein schö­nes Bild. Mitten drin Myriam Prongué und Maike Lex, die Leiterinnen des Schlachthaus Theaters, die eine gros­se Papierrolle öff­ne­ten: «Wir wün­schen uns eine erfolg­rei­che Theatersaison» … und die Rolle wen­de­ten: «Das Buffet ist eröff­net!»

 www.schlachthaus.ch

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2011