Von Simone Weber – Es zeigte sich der Sommer kurz von seiner schönsten Seite, und entschied sich sogleich, eilig weiterzuziehen. Etwas schmerzhaft ist das schon, als ob dir jemand einen riesigen Korb voller Schleckzeug entgegenhält, du suchst dir den besten und schönsten Lolli aus, und wenn du einmal genüsslich von seiner fruchtigen Süsse gekostet hast, nimmt man ihn wieder zurück und sagt: «Ich komme nächstes Jahr wieder vorbei, dann kannst du weiterschlecken.» Aber wir kennen ihn ja nicht anders, diesen sarkastischen Fiesling. Und ja, er kann sich‘s erlauben, denn wir lieben ihn, egal wie er sich benimmt.
Einen kleinen Trost gibt es, der dem pochend bohrenden Abschiedsschmerz etwas Linderung verleiht. Wenn die Temperaturen sinken, ein kühler, herbstlicher Wind um die zarte, noch sonnenverwöhnte Haut streicht, die sich sogleich in eine harte, pustelige Schale verwandelt, dann können wir den Poncho aus dem Kleiderschrank holen, und zum treuen Begleiter der kommenden Wochen auserwählen. Den regennassen Herbststürmen und der peitschenden Kälte des Winters kann ein leichter Poncho nicht immer standhalten, seinen grossen Auftritt hat er, wenn die lauen Sommernächte etwas abkühlen, die wärmende Sonnendecke milder wird, und wir danach verlangen, in eine wollig weiche Decke gehüllt auf dem Liegenstuhl im Garten ein gutes Buch zu lesen. Denn wenn ein Kleidungstück wohlige Wärme und Geborgenheit, Gemütlichkeit und Schutz vermitteln kann, dann ist es der Poncho. Und als ob das nicht schon genug wäre, lässt er uns auch noch umwerfend gut aussehen.
Der traditionelle Poncho kommt ursprünglich von den indigenen Völkern Südamerikas. Seinen Namen hat der Umhang von dem Mapuche, einer Volksgruppe aus Argentinien und Chile erhalten. Das Kleidungsstück wird schon in alten Schriften aus dem 17. Jahrhundert erwähnt, als Kolonialisten es gegen Branntwein und Waffen eintauschten. Damals bestand der Poncho aus einem schweren, rechteckigen oder runden Stück Stoff, mit einem Loch in der Mitte, durch das man den Kopf in die Aussenwelt stecken konnte. Ärmel hatte der Poncho nie und hat sie sicherlich auch niemals vermisst. Denn noch heute macht die Ärmellosigkeit dieses Kleidungsstück aus. Am Körper anliegend, unter einer Decke aus wärmender Wolle ist es doch auch viel gemütlicher als einsam in der Kälte baumelnd. Für Leute denen dies zu unheimlich ist, die gern mit den Händen wild gestikulieren und alles befingern, das ihnen in die Quere kommt, gibt es kurze und besonders leichte Modelle, es gibt sogar solche mit zwei Schlitzen auf der Seite, durch die man seine Arme in die Aussenwelt strecken kann.
In Südamerika ist der Poncho meist aus schwerer dicker Wolle gefertigt und eignet sich daher auch als Wintermantel. Kräftige Farben und unzählige, unterschiedliche Muster geben ihm seinen typischen Ethno-Look. Die edelsten südamerikanischen Ponchos werden aus feinster Alpakawolle hergestellt, die wegen ihrer Leichtigkeit, Weichheit und der optimalen Wärmeregulierung verehrt wird, und auch bei uns sehr beliebt ist. In seinen Ursprungsländern hat sich im Lauf der Zeit an Form und Farbigkeit des Ponchos kaum etwas geändert. Sein simpler Schnitt könnte einfacher nicht sein! Gerade deshalb finden sich heute in unzähligen Frauenmagazinen unterschiedliche Strick- und Nähanleitungen zur Herstellung eines persönlichen Lieblingstücks. Und da so ein Viereck mit einem Loch in der Mitte selbst der grösste Strick- und Nählaie hinbekommen sollte, können sich auch Anfänger drauf stürzen!
Wie schaffte es der Poncho aber, in unseren Breitengraden ein solch geliebtes Anziehding zu werden? In der modernen westlichen Welt war der südamerikanische Mantel besonders bei den Hippies der 60er Jahre sehr beliebt. Damals natürlich in seinem ursprünglichen Indio-Style, so farbig und wollig wie möglich. Später geriet er fälschlicherweise etwas in Vergessenheit. Bis ihn die Modeliga vor ein paar Jahren wieder entdeckte und er in einen gefeierten Star verwandelt wurde. Die grossen Designer wie Prada, Chanel oder Dior haben ihm neues Leben eingehaucht, mit etwas weniger Farbe, dafür mehr Eleganz und Raffinesse. Die Materialien und Formen wurden vielfältig gewählt. So gibt es die Ponchos heute geschlossen, mit Schlitz, zum Übereinanderschlagen oder Zuknöpfen. Besonders beliebt sind Modelle aus leichtem Strick oder Fliess, am besten einfarbig, dann wirkt er schlicht, elegant und passt zu allem. Besonders mit Röhrenjeans und ein paar hohen Hacken lässt er sich perfekt kombinieren. Übrigens kann der Umhang zu fast jedem Anlass getragen werden, das richtige Modell macht aus jedem Outfit ein beneidenswertes Kunstwerk. Ganz egal ob im Ehtno- oder Hippie-Style, ob elegant oder gar mondän, wenn der Sommer sich verabschiedet und der Herbst uns herzlich grüsst, dann sollten wir den Rest dem Poncho überlassen. Er ist gemacht für frühherbstliche Spaziergänge und das letzte Mittagessen unter freiem Himmel. Soll der Sommer mit seinen Schleckereien doch nächstes Jahr wieder kommen.
Foto: zVg.
ensuite, September 2010





