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Das emo­tio­nal Konkrete

Von Rebeca Panian – Wie passt eigent­lich etwas Unerklärliches wie das Bauchgefühl in unse­re Computergesellschaft? Ich habe «Bauchgefühl» gegoo­gelt um zu sehen, was das World Wide Web zu die­sem viel zitier­ten Begriff zu bie­ten hat. Ungefähr 239’000 Einträge wer­den auf­ge­führt. Die Überraschung: Der erste Link führt mich auf eine Public Relations-Agentur… Eine wirk­li­che Überraschung.

Das Leben ist ent­schei­den. Im Grunde geht es im Leben prak­tisch immer dar­um, sich für oder gegen etwas zu ent­schei­den: Welches Shampoo soll ich kau­fen, auf wel­chen Mann soll ich mich ein­las­sen, wel­che Wohnung soll ich bezie­hen und so wei­ter. Die Liste ist unend­lich. Nur, was oder wer hilft uns, all die­se Entscheidungen zu tref­fen? Es ist zum Verrücktwerden. Wir sind tag­ein tag­aus von Eindrücken jeg­li­cher Art umge­ben. Sie ersticken uns fast. Wie sol­len wir in die­sem Wirrwarr von Informationen, Emotionen und Entscheidungen über­haupt noch erken­nen kön­nen, was rich­tig ist? Je mehr ich dar­über nach­den­ke, desto unsi­che­rer wer­de ich in Bezug auf mein Einschätzungsvermögen in Sachen «Richtigkeit», und die­se Unsicherheit wie­der­um hemmt mei­ne Entscheidungsfreudigkeit enorm.

Sicher, das Internet, Bekannte oder die all­ge­gen­wär­ti­gen Medien tra­gen ihren Teil dazu bei, dass wir nicht ganz ori­en­tie­rungs- und ent­schei­dungs­los in der Gegend her­um­tor­keln. ABER, und das Aber ist extra-gross, eigent­lich tra­gen wir doch seit Urzeiten ein 1A-System mit uns her­um, das uns beim Entscheiden hel­fen soll­te: Unser Bauchgefühl. Tataaaaa!

Die wei­sen Wesen Seit ich auf der Welt bin, raten mir mei­ne Mitmenschen, mich ein­fach (ein­fach!) auf mein Bauchgefühl zu ver­las­sen. Frauen sowie­so. Wir sind ja bekannt­lich intui­ti­ve Wesen. Intuitiv: instink­tiv, unbe­wusst, (ugs.): aus dem Bauch; (Psych.): unter­be­wusst – Dank an den Duden. Die Frauen sind also unter­be­wusst gesteu­ert, respek­ti­ve, sie haben einen bes­se­ren Zugriff auf die unbe­wuss­te Steuerung? Also wie jetzt. Ist es nun unter­be­wusst, ergo, nicht zu steu­ern, weil nicht beein­fluss­bar? Eigentlich ja ein Widerspruch: Wie kön­nen wir Frauen einen Zugriff auf etwas Unterbewusstes haben? Könnte mir mal jemand die Betriebsanleitung für mei­nen Körper und Geist mai­len? Das wäre höchst auf­merk­sam. Danke. Verzeihung, ich bin abge­schweift. Wir (Frauen) soll­ten uns also auf unser Gefühl, das BAUCHgefühl ver­las­sen, um das Richtige zu tun. Haut lei­der nicht hin, wenn ich mich dies­be­züg­lich auf mei­nen hart erar­bei­te­ten Erfahrungsschatz bezie­hen darf. Und das aus einem ganz ein­fa­chen Grund: Wir (Frauen) hören zwar ger­ne auf das, was in uns vor­geht. Nur lei­der zer­schmet­tert unser ewi­ges Nachdenken, das Abwägen und das Hinterfragen jeg­li­che Art von Aktivität aus der Magengegend.

Die Theorie Nehmen wir also an, dass der Mensch gene­rell (ab hier sind auch die Männer wie­der ange­spro­chen) über hoch­emp­find­li­che Sensoren ver­fügt. Wie, so fra­ge ich mich, las­sen sich die­se bit­te schön trai­nie­ren? Hört denn über­haupt jemand als erstes auf den Bauch oder bes­ser, NUR auf sein Bauchgefühl? Selten höre ich: «Ach, bin ich froh dass ich auf mei­nen Bauch gehört habe. Sonst wär das mäch­tig in die Hose gegan­gen.» Dann schon eher Sätze wie: «Oh Mann, schon wie­der auf den Typen rein­ge­fal­len und dabei hat­te ich von Anfang an ein ungu­tes Gefühl bei ihm…» Tja. Es stellt sich mir schon die Frage, ob es im Zeitalter der Supertechnik, der Computerwelten und des Internets über­haupt erlaubt ist, sich auf eine so unzu­ver­läs­si­ge Informationsquelle wie ein Bauchgefühl zu ver­las­sen. Dann doch lie­ber Google oder gleich Wikipedia kon­sul­tie­ren. Ist auch wesent­lich ein­fa­cher, zwecks Lösungsfindung auf ein paar Tasten und Knöpfe zu drücken, als sich ein­mal ruhig hin­zu­set­zen und in sich hin­ein­zu­hö­ren.

Das Gefühl, ein frem­des Signal Meiner Meinung nach fängt die über­ge­ord­ne­te Problematik aber ganz woan­ders an: Bei unse­ren Gefühlen. Warum tun wir uns so schwer, unse­re Gefühle zu zei­gen, sprich, zu ihnen zu ste­hen? Schliesslich kom­men sie aus uns, sind also Teil von uns!

Unsere Gefühle müs­sen ernst genom­men wer­den. Versperren wir uns den Signalen, die sie uns meist mehr als deut­lich sen­den, so kön­nen sie bös­ar­ti­ge Auswirkungen nach sich zie­hen. Als unwich­ti­ges Rumoren abge­tan, lagern sie sich unbe­merkt ab. Sie blei­ben und war­ten und quä­len im Verborgenen. Erst wenn sie bereits zu einem unüber­seh­ba­ren Geschwür her­an-
gewach­sen sind, kön­nen sie nicht mehr igno­riert wer­den. Entweder plat­zen sie in einem ungün­stig­sten Moment her­aus oder aber sie machen uns krank.

Es ist purer Wahnsinn, was wir mit uns selbst trei­ben. Während wir in unse­rem Alltag schon sehr vie­len stres­si­gen und ner­ven­auf­rei­ben­den Dingen aus­ge­setzt sind, füh­ren wir gleich­zei­tig eine unmög­lich zu gewin­nen­de Schlacht gegen uns selbst: Das krampf­haf­te Unterdrücken unse­rer wun­der­ba­ren Gefühlswelt. Können Sie mir sagen, wel­ches ande­re Erdenwesen nur im Entferntesten so han­delt?

Die Gesellschaft dul­det kei­ne Emotionen und wenn, dann nur wohl dosiert. Nur, wenn wir an die­sen auf­ge­stau­ten Emotionen erkran­ken und nicht mehr wei­ter wis­sen, ist es da die Gesellschaft, die uns hilft? Eher nicht.

Ich will hier nicht pre­di­gen. Ich selbst hand­le all­zu oft vom Verstand gelenkt und igno­rie­re dabei «erfolg­reich» mein Bauchgefühl. Ich weiss, wie ich es machen soll­te und wäh­le dann doch einen ande­ren Weg. Seltsam. Manchmal unver­meid­lich. Traurig eigent­lich. Und doch bleibt da die Hoffnung, dass unse­re Gefühle irgend­wann an Wichtigkeit gewin­nen wer­den und so nor­mal im Gebrauch wer­den, wie heut­zu­ta­ge das Googeln ist.

ensuite, August 2009