DAS ACH! MIT DEM ICH – „Amphitryon und sein Doppelgänger“ am Schauspielhaus Zürich, Pfauen

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Foto: Matthias Horn

Von Vojko Hochstätter - Am 27. September 2013 fei­er­te „Amphitryon und sein Doppelgänger“ am Schauspielhaus Zürich Premiere. Karin Henkels Inszenierung besticht durch eine Strategie der Verwirrung: Kein Schauspieler ist auf eine ein­zi­ge Rolle fest­ge­legt, son­dern jeder spielt alles. Und so kommt es unaus­weich­lich zum gros­sen Chaos zwi­schen Sein und Schein.

Nichts erschüt­tert das eige­ne Selbstverständnis so sehr wie der Zweifel. Eine Eigenart des Menschen in schwa­chen Stunden. Sein Bild von sich ver­schwimmt, sei­ne Identität bröckelt. Wer bin ich eigent­lich? Diese Frage stellt das Leben – und lie­fert dadurch herr­li­chen Dramenstoff. Mit Heinrich von Kleists „Amphitryon“ als Sprungbrett treibt Regisseurin Karin Henkel den psy­cho­ana­ly­ti­schen Wahnsinn auf die Spitze.

In der Inszenierung am Zürcher Schauspielhaus weht die Gewalt des Krieges den Diener Sosias in den Palast sei­nes Herrn Amphitryon, und zwar in fünf­fa­cher Ausfertigung. Mit Hut und Trenchcoat steht er vier Abbildern von sich gegen­über und ver­zwei­felt an ihnen. Ratlos und mit blu­ti­ger Nase geht der ver­wirr­te Sosias in sich: „Ob ich es bin?“ Seine Botschaft an Alkmene, die Gattin des sieg­rei­chen Feldherrn, emp­fängt die Adressatin nicht. Dafür den gött­li­chen Jupiter in Gestalt ihres gelieb­ten Amphitryon. Mit sei­ner Spiegelposse hat­te Merkur ihm den Weg zu die­sem Schäferstündchen geeb­net. Als tags drauf der leib­haf­ti­ge Amphitryon sein Haus betritt ste­hen die Zeichen auf Sturm. Doch wer ist wer?

Weltschmerz des eige­nen Ichs
Henkel schafft sich in ihrer Inszenierung, „nach Kleist“ wohl­ge­merkt, reich­lich Freiraum für eige­ne Interpretationen. Sie folgt dem Prinzip: Kostüme wech­seln Schauspieler wie Schauspieler Figuren wech­seln. Diese Idee trägt das Stück eine Weile, wirkt mit­un­ter sogar durch­aus komisch, wenn sich der mas­ku­li­ne Michael Neuenschwander mit schwar­zer Pagenschnitt-Perücke in das eng­an­lie­gen­de Kleid von Sosias‘ Gemahlin Charis zwängt. Paralleldialoge zwi­schen Amphitryon/Jupiter und Sosias/Merkur auf ver­schie­de­nen Bühnenebenen ver­dich­ten die sich anbah­nen­de Konfusion. Jedoch ver­läuft sich das Konzept irgend­wann in Redundanz. Selbst die spür­ba­re Spielfreude der Schauspieler kann die­ses Manko nicht über­tün­chen.

Erst mit der Spaltung der Figurenebene gelingt es Henkel, den Schwung vom Anfang wie­der auf­zu­neh­men. Nachdem sich die Kleistschen Charaktere in ihrem eige­nen Netz hilf­los ver­fan­gen haben, begin­nen nun die Schauspieler als eigen­stän­di­ge Figuren die Knoten zu lösen. „Ich war schon Amphitryon, Jupiter und Sosias. Aber Alkmene war ich noch nie“, ruft Fritz Fenne. Namensschilder sol­len Ordnung schaf­fen. Doch letzt­lich schei­tern auch hier alle Versuche, weil sie ein­fach schei­tern müs­sen. Verwirrung 2.0!

Heinrich von Kleist schrieb mit „Amphitryon“ eine tra­gi­ko­mi­sche Fassung des klas­si­schen Stoffes. Seine Vorlage stammt von Molière, Kleist pass­te sie gewagt an den zer­rüt­te­ten, deut­schen Zeitgeist in der Napoleonischen Ära an. Henkels Inszenierung nimmt die­sen Mut auf und führt das Drama in die heu­ti­ge Gegenwart. Kleist hät­te dies sicher gefal­len. Schliesslich stell­te sich die Identitätsfrage für vie­le Menschen, damals wie heu­te.

Und so stösst Lena Schwarz als Alkmene im Schlussvers, allein und ver­las­sen, einen Seufzer aus, in dem sich unver­stell­te Resignation breit macht: „Ach!“ Mehr Worte braucht es für den Weltschmerz des eige­nen Ichs nicht.

 

Foto: Matthias Horn

 

 

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