Dampfzentrale: Zukunft ohne Vergangenheit

Von

|

Drucken Drucken

Lukas Vogelsang – Nach den vie­len Turbulenzen um die Dampfzentrale, lud der Vorstand der Dampfzentrale am 9. Februar zu einem klä­ren­den Pressegespräch ein. Klar wur­de aber nichts, was nicht schon klar war: Die Dampfzentrale scheint ein schwim­men­des Objekt ohne Segel und ohne Kiel. Der Vorstand moch­te mit den Ausführungen und Plänen nicht über­zeu­gen. (Bild: v.l. Klaus Rohrer (Organisationsberatung), Nicola von Greyerz, Vorstand Dampfzentrale)

Ausgangslage: Roger Merguin hat­te sich auf die aus­ge­schrie­be­ne Stelle in der Gessnerallee in Zürich bewor­ben und teil­te dem Vorstand im Mai 2011 mit, dass er im Sommer 2012 die Dampfzentrale ver­las­sen wer­de. Die Stellenausschreibung erfolg­te dar­auf erst am 21.September 2011. Das erstaunt, denn am 29. August wur­de bei der Dampfzentrale bereits eine Stelle für die Administration / Programmassistenz, 50% (im Bereich zeit­ge­nös­si­sche Musik) aus­ge­schrie­ben. Mit den Prioritäten klapp­te das schon mal nicht so ganz. Leider konn­te die desi­gnier­te Leiterin, wel­che man noch vor Weihnachten bekannt­ge­ben woll­te, die Stelle aus fami­liä­ren Gründen nicht antre­ten. Die Recherche vom «BUND», dass die­se beim rest­li­chen Team nicht gut auf­ge­nom­men wor­den wäre, konn­te sich bis heu­te nicht bestä­ti­gen oder erhär­ten. Im Anschluss kam Christian Pauli Anfang Februar 2012 und kün­dig­te sei­nen, noch bis Ende Juli befri­ste­ten Vertrag, vor­zei­tig, weil er – trotz feh­len­dem Hochschul- oder Uni-Abschluss – einen Direktionssitz in der HKB (Hochschule der Künste Bern) als Leiter Kommunikation erhal­ten hat. Dieser Chance woll­te nie­mand im Wege ste­hen. Zum Schluss sein noch erwähnt, dass auch Ende 2012 das Restaurant neu besetzt wer­den muss – auch dem Pächter hat man gekün­digt. Insofern wird die Dampfzentrale im Jahr 2012 auf Null gesetzt.

Entschieden: Der Vorstand hält am bis­he­ri­gen Konzept der Dampfzentrale und an der künst­le­ri­schen Ausrichtung fest. Diese ist aller­dings so offen, dass damit nichts fest­ge­legt wird: «zeit­ge­nös­si­sche Kunst» ist ein dehn­ba­rer Begriff. Im Begleittext zum Pressegespräch steht: «Er (der Leistungsvertrag / Redaktion) bie­tet eine inno­va­ti­ve zukunfts­ori­en­tier­te Basis für den Bertrieb einer kul­tu­rel­len Institution mit natio­na­ler und inter­na­tio­na­ler Ausstrahlung, wie sie die Dampfzentale inzwi­schen dar­stellt. Die Dampfzentrale ist das Zentrum für die zeit­ge­nös­si­schen Formen der bei­den Sparten Tanz mit Performance und Musik.» Der Beweis für die­se natio­na­le und inter­na­tio­na­le Ausstrahlung, für das inno­va­ti­ve Zentrum, bleibt der Vorstand uns aber schul­dig. Es genügt nicht, wenn man dies als Vorsatz immer wie­der repe­tiert – das muss beleg­bar sein. Als Ziel darf dies natür­lich for­mu­liert wer­den.

Dieser Leitungswechsel ist ein guter Zeitpunkt, um eine Organisationsanalyse durch­zu­füh­ren. Klaus Rohrer, Organisationsberater, hat die­ses Amt durch die Stadt Bern, Abteilung Kulturelles ver­mit­telt erhal­ten. Er wird zusam­men mit dem Team und dem Vorstand die Strukturen und Abläufe durch­leuch­ten. Dieser Entscheid ist spät, aber immer­hin doch noch ein­be­ru­fen wor­den. Ob es aller­dings wirk­lich zu einer Besserung und Festigung der Dampfzentrale hel­fen wird, wird sich zei­gen müs­sen. Nicht ein­fach macht es auf jeden Fall den Start für eine neue Leitung, wel­che per sofort jetzt durch die Findungkommission gesucht wird.

Die bis­he­ri­gen Kooperationen mit allen Institutionen, Partnerfestivals, etc., blei­ben bestehen. Ändern tut sich eigent­lich nur, dass das Tanzfestival «Tanz in. Bern» im Jahr 2012 nicht statt­fin­den wird. Man wird an vier Wochenenden vom 19. Oktober bis 11. November «inter­na­tio­na­le Highlights» der zeit­ge­nös­si­schen Tanzszene zei­gen. Das sind viel­leicht 4 bis 5 Gastspieltruppen. Glück hat die Dampfzentrale, dass die ver­schie­de­nen Budgets für Tanz und Musik in ein Gesamtbudget zusam­men­ge­flos­sen sind. Damit ist die Finanzierung aller Projekte im 2012 auf Samt gebet­tet: Man spart die Leistungslöhne, spart sich das Tanz-Festival und muss nicht auf städ­ti­sches Subventionsgeld ver­zich­ten.

Wer tut jetzt was? Die Leitung der Dampfzentrale wird vor­über­ge­hend vom bestehen­den Team gelei­tet. Die neue Leitung muss aber tanz­spe­zia­li­siert sein (Tanz und Performance) und ist auch für das neue Tanz in. Bern ‑Festival ver­ant­wort­lich. Das Programm der zeit­ge­nös­si­schen Musik wird die Leitung mit dem Team erar­bei­ten.

Eine Findungskommission sucht jetzt eine neue Leitung und wäh­rend­des­sen wird die Organisation ana­ly­siert und je nach­dem noch umge­baut. Die neue Leitfigur springt also auf ein Surfbrett, wel­ches in der Aare Flussabwärts schwimmt.

Kritik: Es braucht viel, ein sol­ches Kulturzentrum der­mas­sen in eine Wand zu fah­ren. In der Dampfzentrale wur­de sehr viel falsch gemacht. Am Auffälligsten ist, dass schon im Jahr 2005 und auch jetzt wie­der der glei­che Slogan auf das Transparent geschrie­ben wird: «Wir wol­len in die Zukunft schau­en, uns nach der Zukunft rich­ten und nicht das Vergangene wie­der­kau­en». Doch genau dies tun die Dampfzentrale-Verantwortlichen: Durch die Uneinsichtigkeit, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht wur­den – es wird eigent­lich alles abge­strit­ten und alles ist super – ver­sucht man die Dampfzentrale zu einem Ort zu model­lie­ren und zu mani­pu­lie­ren, wel­cher gar nicht mach­bar ist. Schlimmer ist aber, dass man mit die­sem Satz auch die Arbeit vom Pauli-Merguin-Leitungsteam seit 2005 weg­wirft. Ein Kulturort kann unmög­lich ohne Ort und Geschichte aus­kom­men – wenn dem so wäre, könn­ten wir ja jeden Gemeindesaal zum hoch­ste­hen­den Kulturzentrum umbau­en. Die Kirche hät­te ihre hel­le Freude dar­an.

Die Dampfzentrale war mal ein leben­di­ger Ort. Im Jahr 2001 wur­den 80’000 BesucherInnen gezählt, über 500 Veranstaltungen im Jahr wur­den durch­ge­führt. Die Durchmischung von hoch­ste­hen­den Kunstevents und nie­der­schwel­li­gen Kulturprogramm reich­ten sich die Türklinke. Natürlich gab es dabei auch Reibereien – aber die­se müs­sen in einem Kulturbetrieb unbe­dingt ent­ste­hen, denn man ist ganz nahe an der Zeit, am Weltgeschehen, bei den Menschen – und das macht, wenn man zusam­men­steht doch ganz warm. Ab 2005 wur­de der Dampfzentrale ein Korsett ange­zo­gen und wenn wir sechs Jahre spä­ter auf den Scherbenhaufen sehen, sind nur noch eine Handvoll Menschen hier kul­tu­rell zu Hause. Die Besucherzahl sank im Jahr 2011 auf unge­fähr 22’000 BesucherInnen (Hochrechnung gemäss den Controllingberichten). Das soll­te – im Anbetracht der Geschichte, der Grösse des Ortes und des Geldes – zu den­ken geben. In den letz­ten zehn Jahren sind die Subventionen um knap­pe 70 % ange­stie­gen.

Die Dampfzentrale lebt noch heu­te natio­nal, wie inter­na­tio­nal von Ruf von damals. Die Jazzkonzerte im Musikkeller sind legen­där, die vor­ma­li­gen «Berner Tanztage» kennt man in Kanada, die Be-Jazz-Parties (BlueNote) füll­ten die Hallen zum Bersten und am Wochenende stan­den immer wie­der vie­le bekann­te Gesichter an der Bar im Foyer und die DJs dort hat­ten vol­les Haus. Von dem eigent­li­chen Besetztergeist (die Dampfzentrale wur­de einst von Kulturschaffenden besetzt) und der Aufbruchsstimmung ist nichts mehr zu spü­ren. Die neue Leitung tut also gut dar­an, sich erst mal mit der Geschichte, als mit der Zukunft von die­sem Haus, zu beschäf­ti­gen.

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo