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Dallas Bu yers Club

Von Sonja Wenger – Der Kampf gegen HIV und Aids ist noch lan­ge nicht gewon­nen, heisst es im Abspann von «Dallas Buyers Club» – zu recht. Mit einem bes­se­ren Zugang zu Medikamenten könn­ten auch heu­te noch sehr vie­le Leben geret­tet wer­den. Zwar ist die Krankheit aus dem Alltagsbild west­li­cher Länder weit­ge­hend ver­schwun­den, Präventionskampagnen sind seit län­ge­rem auf ein Mindestmass redu­ziert, und Medienberichte über die Opfer sel­ten gewor­den. Doch gera­de in Asien sowie den Ländern des Südens und des ehe­ma­li­gen Ostblocks stecken sich jähr­lich noch immer Zehntausende neu an. Nur wer Zugang etwa zu einer anti­re­tro­vi­ra­len Therapie – und vor allem eine aus­rei­chen­de Krankenkassendeckung – hat, ver­fügt über eine rea­le Chance auf eine lan­ges und eini­ger­mas­sen nor­ma­les Leben.

Das war nicht immer so. Um zu ver­ste­hen, welch kata­stro­pha­le Folgen die Krankheit haben kann, wenn sie nicht oder falsch behan­delt wird, kann man sich die Anfangszeit von HIV und Aids vor Augen hal­ten und zurück­blicken in die Zeit Mitte der acht­zi­ger Jahre. Damals star­ben die von Aids Betroffenen «wie die Fliegen», um es mit den Worten des deut­schen Schwulencomiczeichners Ralf König zu sagen. Es war die Zeit, in der die Krankheit durch den Aids-Tod des Hollywoodstars Rock Hudson erst­mals ins Bewusstsein der Menschen kroch und dort Angst und Schrecken ver­brei­te­te. Eine Zeit auch, in der die mei­sten Opfer noch zur Hochrisikogruppe der Schwulen, Drogenabhängigen und Prostituierten gehör­ten und sich des­halb nur lang­sam die wah­re Dimension die­ser Krankheit ins Denken schlich.

Genau die­sen Denkschritt tut «Dallas Buyers Club». Dieser äus­serst berüh­ren­de – und auch inspi­rie­ren­de – Film basiert weit­ge­hend auf der wah­ren Geschichte von Ron Woodroof aus Texas, bei dem 1985 Aids dia­gno­sti­ziert wur­de und dem sein Arzt damals noch dreis­sig Tage zu leben gab. Woodroof, der als Elektriker arbei­te­te, in sei­ner Freizeit Drogen, Alkohol und unge­schütz­ten Sex im Exzess kon­su­miert hat­te, und eine hef­ti­ge Homophobie vor sich hin­trug, ver­such­te nach der Diagnose erfolg­los, an einer kli­ni­schen Studie des neu­en Medikaments AZT teil­zu­neh­men. Schnell rea­li­sier­te er, dass nicht nur Schwule von der Krankheit betrof­fen waren, und dass die Interessen der Pharmakonzerne und der US-Arzneimittelbehörde FDA sehr wenig mit den Bedürfnissen der PatientInnen zu tun haben.

Mit Hilfe von Rayon, einer aids­kran­ken trans­gen­der Frau, und eines ehe­ma­li­gen Arztes, der ihn in einer mexi­ka­ni­schen Klinik mit einer alter­na­ti­ven Therapie wie­der auf­päp­pel­te, begann Woodroof ein hal­bes Jahr nach sei­ner Diagnose mit dem Aufbau des «Dallas Buyers Club» und einem inten­si­ven Medikamentenschmuggel aus der hal­ben Welt. Dabei ver­sorg­te er für eine gün­sti­ge Clubmitgliedschaft HIV- und Aids-Betroffene mit den nöti­gen Medikamenten, die sie sich anders nicht lei­sten konn­ten, oder die in den USA nicht zuge­las­sen waren. Gerade weil Woodroofs Methoden wesent­lich effi­zi­en­ter waren als das, was die ÄrztInnen damals anzu­bie­ten hat­ten, zog er neben der Drogenpolizei auch die Aufmerksamkeit der mäch­ti­gen FDA auf sich. Woodroofs Kampf gegen dog­ma­ti­sche Ärzte, eng­stir­ni­ge FDA-Regulierungen und lang­wie­ri­ge Zulassungsprozesse führ­ten ihn bis vor ein hohes Bundesgericht. Doch da hat­te er dem Leben schon ein paar Jahre mehr abge­run­gen, als es irgend­je­mand für mög­lich gehal­ten hät­te.

Der Film «Dallas Buyers Club» ist in vie­len Bereichen bemer­kens­wert. So fängt das Drehbuch die Atmosphäre und die Umbruchstimmung jener Zeit gekonnt ein und spricht geschickt eine Menge mora­li­scher, ethi­scher aber auch gesell­schaft­li­cher Fragen an. Der ver­sier­te kana­di­sche Regisseur Jean-Marc Vallée («Cafe de Flore», «Young Victoria») erzählt Woodroofs Geschichte ohne Moralfinger und frei von stö­ren­dem Pathos. Es gelang ihm zudem, eine Serie aus­ser­ge­wöhn­li­cher schau­spie­le­ri­scher Leistungen aus sei­nen AkteurInnen her­aus­zu­kit­zeln, allen vor­an Matthew McConaughey als Woodroof und Jared Leto als Rayon, die schlicht atem­be­rau­bend sind. Nicht nur, weil bei­de für ihre Rollen bis auf die Knochen abma­ger­ten, son­dern weil sie den Kampf ums Überleben, für etwas Würde und Eigenständigkeit sowie für ihre ambi­va­len­te Beziehung zuein­an­der mit einer Authentizität ver­mit­teln, die fes­selnd ist.

Bei der dies­jäh­ri­gen Oscarverleihung Anfang März – sowie einer Reihe ande­rer Auszeichnungen – gehört «Dallas Buyers Club» bereits jetzt zu den gros­sen Favoriten in allen wich­ti­gen Kategorien. Für Matthew McConaughey, der über lan­ge Jahre vor allem in seich­ten Liebeskomödie besetzt wur­de, ist es die wohl beste Darstellung sei­nes Lebens, und der defi­ni­ti­ve Start einer neu­en Karriere mit dra­ma­ti­schen Rollen.

«Dallas Buyers Club», USA 2013. Regie: Jean-Marc Vallée. Länge: 116 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, Februar 2014