Crowdfunding und Videospiele: «Broken Age»

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Von Andreas Meier – Das grin­sen­de, dop­pel­köp­fi­ge Cartoon-Baby als Logo sagt schon viel; Double Fine Productions ist ein eigen­wil­li­ges Studio. Seit der Gründung im Jahr 2000 ent­wickel­ten sie ein eklek­ti­sches Portfolio ver­schie­den­ster Genres: Unter ande­ren «Psychonauts» (2005), ein Hüpfspiel im Unterbewusstsein; «Brütal Legend» (2009), ein skur­ri­ler Genrehybrid aus Prügel- und Strategiespiel in einer Welt wie aus einem Heavy Metal-Plattencover; und «Stacking» (2011), ein Puzzlespiel mit Stummfilmästhetik und leben­di­gen Matrjoschka-Puppen. Was die­se Spiele zusam­men­hält ist Humor und über­bor­den­de Fantasie.

Ein Genre war bis vor kur­zem aber abwe­send: Das Adventure-Genre; Spiele mit nar­ra­ti­vem Fokus, deren Geschichten vor allem durch das Lösen von Rätseln vor­an­ge­trie­ben wer­den. Tim Schafer, Gründer von Double Fine, wur­de wäh­rend sei­ner Zeit mit LucasArts mit Adventure-Spielen wie «Monkey Island» (1990), «Day of the Tentacle» (1993), «Full Throttle» (1995) und «Grim Fandango» (1998) zu einer Ikone der Spielindustrie.

Heute ist das Genre ein Nischenmarkt und nur klei­ne Indiestudios wagen sich noch dar­an. Doch eine neue Entwicklung, an der nicht zuletzt Double Fine selbst mass­geb­lich betei­ligt war, brach die Regel: Crowdfunding. In 2012 bat Double Fine auf Kickstarter.com um 400’000 $ für die Entwicklung eines klas­si­schen Adventure-Spieles, das dann schliess­lich «Broken Age» getauft wur­de. In weni­ger als 24 Stunden kam eine Million zusam­men. Am Ende der Aktion waren es fast 3.5 Millionen von über 87‘000 Personen. Der Erfolg wur­de bis weit aus­ser­halb der Spielindustrie wahr­ge­nom­men und lei­te­te einen gewal­ti­gen Boom ein: In den ersten 2 Jahren sei­ner Existenz (2009–2011) brach­te Kickstarter für Videospiele gera­de ein­mal 1.7 Millionen zusam­men. Nach Double Fines Projekt waren es fast 65 Millionen im Jahr 2013 allein. Eine Flut von Neulingen sowie von lang­jäh­ri­gen und erfah­re­nen Spieleentwicklern finan­ziert ihre Spiele nun über Kickstarter und ande­re Crowdfunding-Plattformen und macht so Spiele mög­lich, die im tra­di­tio­nel­len Publisher-Modell als zu expe­ri­men­tell oder zu alt­mo­disch ein­ge­stuft und zurück­ge­wie­sen wür­den.

Seit 2012 finan­ziert Double Fine all ihre Projekte mit einer Mischung aus Eigenfinanzierung und ver­schie­de­nen Crowdfunding-Methoden. Das erlaubt es ihnen auch, eines der trans­pa­ren­te­sten Spielestudios über­haupt zu sein: Der Fortschritt von vie­len ihrer Projekte wird minu­ti­ös doku­men­tiert, sowohl schrift­lich als auch in Dokumentarfilm-Serien, und Double Fine lässt ihr Publikum gar dar­über abstim­men, wel­che Spielideen sie in Zukunft ent­wickeln sol­len.

Das neue Modell birgt aber auch Gefahren. Trotz des enor­men Kickstarter-Erfolgs für «Broken Age» ging Double Fine das Geld früh­zei­tig aus, und das Unternehmen muss­te sich nach neu­en Geldquellen umse­hen. So ver­öf­fent­lich­te es die erste Hälfte von «Broken Age», um durch deren Verkauf die zwei­te Hälfte abschlies­sen zu kön­nen. Wer nun die erste Hälfte des Spiels kauft, wird in eini­gen Monaten die zwei­te Hälfte auch erhal­ten.

«Broken Age» ist viel­leicht erst die Hälfte eines Spieles, aber es ist kei­ne Verstümmelung. Im Gegenteil; was man momen­tan spie­len kann ist der erste Akt einer bezau­bern­den Geschichte, oder bes­ser gesagt zwei­er Parallelgeschichten. Auf der einen Seite haben wir Vella, die zusam­men mit ande­ren Mädchen aus ihrem Dorf einem vor­bei­zie­hen­den Monster geop­fert wer­den soll. Das soll eine gros­se Ehre sein, doch Vella sieht das anders; sie lehnt sich gegen das Ritual auf und ver­sucht, das Monster zu töten. Auf der ande­ren Seite ist Shay (bril­lant gespro­chen von Elijah Wood), der in einem Raumschiff durchs All treibt, beschützt und ver­hät­schelt von einem Mutter-Computer. Als er eines Tages genug von der Bevormundung hat, ent­schliesst er sich, die Kontrolle über das Schiff zu über­neh­men.

Die Geschichten kreu­zen sich zunächst nicht und wer­den statt­des­sen durch das gemein­sa­me Thema zusam­men­ge­hal­ten: jugend­li­che Auflehnung gegen ein ein­engen­des System, im Falle Vellas gegen blin­de Opferbereitschaft, im Falle Shays gegen bevor­mun­den­de Behütung. Erzählt und ver­mit­telt wird das Ganze durch geist­reich und wit­zig geschrie­be­ne Dialoge und Charaktere, einen ver­träum­ten, melan­cho­li­schen Soundtrack, talen­tier­te Schauspieler, und vor allem ande­ren durch ein atem­be­rau­bend ästhe­ti­sches Design, das an ein Bilderbuch erin­nert. Das Spiel ist nach klas­si­schem Vorbild in 2D, was den Eindruck eines inter­ak­ti­ven Bilderbuchs noch ver­stärkt, benutzt aber sub­til 3D-Technik, um Tiefe zu erzeu­gen. Das Geld, der Aufwand und das Talent, die in das Spiel geflos­sen sind, sind in jedem Moment ersicht­lich.

Beim Rätseldesign erkann­te Double Fine die Wichtigkeit des Rhythmus bei Spielen mit nar­ra­ti­vem Fokus: Die Rätsel erge­ben sich natür­lich aus der Handlung und der Umgebung und hal­ten den Spieler sel­ten lan­ge auf, so dass der Fluss der Handlung auf­recht­erhal­ten wird. Manchen mögen die Rätsel zu leicht sein, doch das ist den häu­fig obsku­ren, hane­bü­che­nen Rätseln älte­rer Adventure-Spiele vor­zu­zie­hen.

«Broken Age» steht zugleich für Double Fines krea­ti­ves Genie sowie für die Versprechen und Tücken von Crowdfunding. Der zwei­te Akt wird wohl ent­schei­den, wor­an man sich bes­ser erin­nern wird, doch Akt 1 ist bereits enorm viel­ver­spre­chend und wert, erlebt zu wer­den.

«Broken Age» ist auf www.store.steampowered.com als Download (PC, Mac, Linux) für 23 € erhält­lich. Deutsche Untertitel ver­füg­bar. Eine Kopie des Spiels wur­de mir von Double Fine zur Verfügung gestellt.

Foto: zVg.
ensuite, März 2014

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