Chris Taylor

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Von Hanspeter Künzler – Brooklyn ist heut­zu­ta­ge so ziem­lich das zen­tra­le Musikantenquartier von New York. Das sti­li­sti­sche Spektrum der hier ansäs­si­gen Bohemiens und Künstler reicht von Urgesteinen Lou Reed, Ramblin› Jack Elliott und Barry Manilow über pio­nier­haf­ten Hip Hop (Swizz Beats, Talib Kweli), Reggae und Jazz bis zum äus­ser­sten, lin­ken Flügel des heu­ti­gen Indie-Tuns. Gerade die­se Diversität ist es denn auch, die den Ton von Brooklyn prägt, und aus der ein stän­di­ges Hin und Her von Inspiration erwächst. Wenn es über­haupt einen «Quartierstil» geben soll, dann könn­te er allen­falls im Schnittgebiet zwi­schen Grizzly Bear, Department of Eagles, Dirty Projectors und TV on the Radio ange­sie­delt sein: Smarte Musik, die Laptop mit ana­lo­gen Instrumenten zusam­men­bringt und je nach Band in Richtung CSN&Y (Dept of Eagles), Art Rock (Dirty Projectors), Kammer-Prog.-Rock (Grizzly Bear), Funk (TV on the Radio) oder eigen­wil­li­ges Sänger/Songschreibertum (Miles Benjamin Anthony Robinson) aus­schert. Und was all die­se «typi­schen» Brooklyn-Bands gemein­sam haben, ist Chris Taylor. Als Vollmitglied spielt er bei den Grizzlies Bass, singt und wal­tet als Produzent. Für TV on the Radio hat er in die Klarinette und das Jagdhorn gebla­sen. Bei Department of Eagles spiel­te er Bass, Flöte und Holzblasinstrumente, und bei Dirty Projectors wirk­te er eben­falls als Produzent. Nun ist Taylor zum ersten Mal unter eige­ner Regie unter­wegs. Unter dem Namen Cant hat er ein atmo­sphä­risch dich­tes Debut-Album auf­ge­nom­men, das fei­ne ana­lo­ge Klänge via Laptop in still schil­lern­de Klanglandschaften ver­frem­det, und auch vor trocke­nen Beats und Feedback-Gitarren nicht zurück­schreckt.

Wie fügt sich Cant ins unglaub­lich gros­se Puzzle Ihrer viel­fäl­ti­gen Arbeit?

Es stellt wohl ein­fach die per­sön­lich­ste Art dar, mei­ne Zeit zu gebra­chen. Tun was ich will, nie­man­dem Red und Antwort ste­hen müs­sen.

Wie schwer fällt die Qualitätskontrolle, wenn man nach jah­re­lan­ger Team-Arbeit plötz­lich allein im Studio steht?

Genau die­ses Problem hat­te ich vor­aus­ge­se­hen und mich dar­um mit George Lewis Jr. zusam­men­ge­tan. Ich hat­te kurz vor­her sein Debutalbum unter dem Namen Twin Shadow pro­du­ziert. Aber nach 1½ Wochen muss­te er sei­ne eige­ne Tournee antre­ten. Zu dem Zeitpunkt hat­ten wir ein Dutzend Songs zu Faden geschla­gen. Nachher war ich allein. Wenn ich eine ande­re Meinung brauch­te, hielt ich mich an Ethan Silverman, mei­nen besten Freund und Partner in unse­rem Plattenlabel Terrible Records. Ich habe Musiker immer bewun­dert, die ihr Ding machen, ohne sich um jemand ande­res zu küm­mern. Aber manch­mal merkt man sol­cher Musik das Fehlen einer zwei­ten Perspektive an. Das ver­such­te ich zu ver­mei­den.

Was moti­vier­te Sie gera­de jetzt zum Solo-Flug?

Sieben Jahre lang habe ich pau­sen­los mit ande­ren Musikern befasst. Ich muss­te mal auf­hö­ren mit der Arbeit und her­aus­fin­den, wie es mir sel­ber denn so geht.

Das Album zählt für Sie nicht als Arbeit?

Nein. Das war eher eine Therapie. Es war manch­mal eine ziem­li­che Herausforderung, all die Dinge in mei­nem Kopf aus­zu­packen und breit­zu­schla­gen.

Heisst das, dass Sie nach all den Jahren, wo Sie sich in Bands und Kollektiven ver­stecken konn­ten, einen Sprung über Ihren Schatten wag­ten?

Das stimmt aller­dings! Ich kam zum Schluss, dass ich in gewis­ser Weise mit so vie­len Leuten gear­bei­tet hat­te, um zu ver­mei­den, dass ich die Verantwortung für mich sel­ber über­neh­men muss­te. Es war an der Zeit, mich mit die­ser Situation zu kon­fron­tie­ren.

Können Sie schon sagen, was Sie nun aus der Erfahrung gelernt haben?

Ich habe Herausforderungen immer geschätzt. Je grös­ser die Herausforderung, desto grös­ser die Verlockung, sie anzu­neh­men. Dieses Album ist das schwie­rig­ste Projekt, das ich je ange­gan­gen habe, dar­um ist die Befriedigung umso grös­ser. Ich glau­be, in Zukunft wer­de ich weni­ger Angst davor haben, mei­nen Weg zu gehen. Ich habe den Wert erkannt dar­in, in den Spiegel zu schau­en – und nicht immer nur dar­über hin­aus. Wenn man älter wird, fällt man nicht mehr auf die Nase, man schürft sich sel­ten das Knie auf. Man rich­tet sich ein gesi­cher­tes und vor­aus­schau­ba­res Leben ein. Aber ein Sommer ohne auf­ge­schürf­te Knie ist ein ver­lo­re­ner Sommer. Das Album hat mir gezeigt, wie ich mein Leben etwas unbe­que­mer machen kann, um gleich­zei­tig die Furcht vor den Narben des Sommers abzu­bau­en.

Was haben Sie auf die­sem Album gemacht, was Sie vom Klang her noch mit kei­ner ande­ren Band gemacht haben?

Gute Frage – und ich weiss dar­auf kei­ne Antwort. Sowas habe ich mir nie über­legt. Es ging bei jedem Song von Neuem und ein­zig und allein dar­um, das Klangbild zu ver­wirk­li­chen, das ich dafür im Kopf hat­te.

Aus den mei­sten Aufnahmen, an denen Sie betei­ligt sind, hört man Ihre Mitwirkung rasch her­aus. Es gibt in Ihrer Musik gewis­se Grundelemente: ein gros­ser Sound aus Laptop und ana­lo­gen Instrumenten, aus wel­chem auch aku­sti­sche Folk-Einflüsse her­aus­zu­spü­ren sind. Hätten Sie mit 17 Jahren eine sol­che per­sön­li­che Entwicklung vor­aus­sa­gen kön­nen?

Überhaupt nicht. Ich beschäf­tig­te mich damals – was war das, vor drei­zehn Jahren? – inten­siv mit Jazz. Ich hör­te viel Soul, Funk und Dub. Aber Jazz war mei­ne Musik, von 12 Jahren an bis ich 22 Jahre alt war. Da hör­te ich auf damit. Ich wuss­te aber nicht, was ein Saxophonist aus­ser Jazz hät­te spie­len kön­nen. Ich war an die Universität New York gekom­men, um Jazz Performance zu stu­die­ren. Nun stieg ich auf Audio-Engineering um, weil ich davon kei­ne Ahnung hat­te. Und dann ver­lieb­te ich mich in die Studioarbeit. Sie fiel mir qua­si in den Schoss.

Und je mehr Sie sich mit dem Laptop befass­ten, desto stär­ker bil­de­te sich der eige­ne Stil her­aus?
Bestimmt. Allerdings brau­che ich den Computer nicht all­zu oft zur Erzeugung von Klängen. Ich brau­che ihn mei­stens nur dazu, die Klänge fest­zu­hal­ten. Ich bevor­zu­ge es, mit­tels ana­lo­gem Aussenbord-Equipment das Taktile im Musikmachen wei­ter zu pfle­gen. Ich mag es, Knöpfe zu dre­hen, Schalter umzu­klap­pen und Saiten zu zup­fen. Die eigent­li­che Erzeugung mei­ner Musik hat wenig mit dem Computer zu tun – viel­leicht erklärt das ein biss­chen den Charakter von mei­nem Sound.

Nach wel­chen Gesichtspunkten wäh­len Sie die Künstler aus, mit denen Sie zusam­men­ar­bei­ten?

Ich muss die Menschen und ihre Musik mehr als nur respek­tie­ren kön­nen. Ausserdem muss ich einen Weg sehen, der es mir erlaubt, etwas zur Musik bei­zu­steu­ern. Wenn ich Demo-Aufnahmen toll fin­de, jedoch kei­ne Möglichkeit erken­ne, eige­ne Ideen ein­zu­brin­gen, mache ich nicht mit.

Sie sind bei meh­re­ren Alben vom legen­dä­ren Arthur Russell als Editor und Mixer auf­ge­li­stet. Russell starb, als Sie zehn Jahre alt waren. Wie kam es zur post­hu­men Zusammenarbeit?

Ich war seit 2000 und «Calling Out of Context» ein rie­si­ger Fan. Dann lern­te ich Steve Knudson ken­nen, der Audika Records und damit das künst­le­ri­sche Erbe von Russell ver­wal­tet. Wir wur­den dicke Freunde, ich ver­brach­te viel Zeit bei ihm zuhau­se, er hat eine Menge Russell-Aufnahmen auf Tonband und die spiel­te er mir vor. Einige die­ser Aufnahmen brauch­ten ein biss­chen Pflege, ehe sie ver­öf­fent­licht wur­den, und die Arbeit über­nahm ich als eine Art Liebesdienst.

Worin beruht für Sie die Faszination von Russell?

Er war unglaub­lich pro­duk­tiv und in vie­ler Hinsicht sei­ner Zeit vor­aus. Es erbot sich ihm man­che Möglichkeit, ein grös­se­res Publikum zu errei­chen, aber immer wie­der schoss er sich sel­ber in den Fuss indem er Proben ver­schlamp­te oder Deadlines igno­rier­te. Auf die­se Weise woll­ten die Leute ein­fach nicht mehr arbei­ten mit ihm. Und trotz­dem hat er pau­sen­los Musik geschaf­fen, mei­stens ohne jede Absicht, sie zu ver­öf­fent­li­chen. Man wür­de hof­fen, dass die Menschen für einen so viel­sei­ti­gen, talen­tier­ten und rei­nen Künstler Zeit hät­ten. Zu sei­nen Lebzeiten hat­ten sie es nicht – und glück­li­cher­wei­se haben sie es heu­te.

Wie kam es, dass Sie all die­se ver­schie­de­nen Instrumente zu spie­len lern­ten? Von Sax bis Handorgel ist es ein wei­ter Sprung.

Das kann man wohl sagen! Also. Ehe ich Sax ler­nen durf­te, ver­lang­te der Lehrer, dass ich Klarinette spiel­te. Das tat ich denn jah­re­lang auch im schu­li­schen Symphonieorchester. Daneben war ich in der Jazz-Big Band Leader der Sax-Abteilung, und in die­ser Position wur­de erwar­tet, dass man auch Flöte und Alto-Saxo konn­te. Daneben befass­te ich mich immer auch ein biss­chen mit dem Klavier, im Sinne von «das gehört ein­fach dazu». Später, als ich kei­nen Weg sah, mein Sax irgend­wo ein­zu­set­zen, tat ich einer No Wave-Punk-Band bei und spiel­te als Lockerungsübung Bass. Parallel dazu gehör­te ich einem Noise‑, sprich Improvisations-Trio mit Bläsern und Pedalen an, das hat mir gezeigt, wie man mit Klangmustern und Tonfarben umgeht. Daraus habe ich sehr viel Erfahrungen gezo­gen, die für mei­ne heu­ti­ge Arbeit über­aus wich­tig sind.

Ihr bis­he­ri­ges Leben muss 110% Musik gewe­sen sein!

Nein! Nein, nein, nein, nein! Ich neh­me mich immer sehr zusam­men, dass mein Leben nicht nur aus Musik besteht. Ich lie­be das Kochen. Wahrscheinlich sehe ich mehr Filme an als ich neue Platten höre. Ich brau­che häu­fi­ge Museums- und Galerienbesuche. Ich kann kei­ne Platten über Platten, kei­ne Musik über Musik machen. Meine Musik muss einen Bezug zur Welt über die Musik hin­aus haben.

Mit Ihrem Plattenlabel Terrible Records ver­öf­fent­li­chen Sie nicht zuletzt eine Serie von 7″-Vinyl-Singles. Warum Vinyl? Warum 7″-Singles?

Wir stre­ben Vorbildern wie Nonesuch Records oder Warp Records nach, wo das Publikum bei jeder Platte weiss, dass sie min­de­stens inter­es­sant ist. 7inch-Singles, weil das bei mir daheim das bevor­zug­te Format ist. Ab Platte klingt die Musik am besten, man kann die Singles berüh­ren, sie haben eine inter­es­san­te Grösse – und mei­stens kriegt man heu­te beim Kauf auch noch einen Download dazu, sodass man bei­des hat, ein schö­nes Objekt für daheim und die digi­ta­le Musik für unter­wegs.

Sie haben Seattle erst ver­las­sen, als Sie nach New York an die Uni gin­gen. Hat man Sie als Jazz-Fan dort nicht als Spinner behan­delt, wo doch rund­um alles auf Gitarren stand?
Im Gegenteil. In Seattle flo­riert eine unge­mein vita­le Jazz-Szene, vor allem unter jun­gen Musikern. Etliche Schulen füh­ren äus­serst kom­pe­ti­ti­ve Jazz-Programme durch. Ich war damals in einer Jazz-Band, deren Mitglieder aus den Schulen von ganz Seattle zusam­men­ge­zo­gen wur­den. Auf mei­nem Album spielt der Pianist Aaron Parks mit, ein alter Freund, mit dem ich in Seattle auf­wuchs und der eine Zeitlang bei Blue Note unter Vertrag stand. Vielleicht hängt es mit dem Wetter zusam­men. Weil es so oft reg­net, hat man man­che Tage fünf, sechs Stunden Zeit zum Üben.

Cant, «Dreams Come True» (Warp)

Foto: zVg.
ensuite, September 2011

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