- ensuite | kulturagenda | enBlog - https://ensuite.we-are.gmbh -

Bukowski. Der Schriftsteller am Ende der Docks

Von Stephan Fuchs - Das war’s! Marina Luise Bukowski woll­te nicht, Michael Montfort konn­te nicht. So sah es eini­ge Tage vor Redaktionsschluss aus und ich war nicht glück­lich. Zu ger­ne hät­te ich Stimmen gehört, die Henry Charles Bukowski näher gestan­den sind und ein sub­ti­le­res Verhältnis mit dem Autor gepflegt haben. Menschen, die Dinge erzäh­len konn­ten, die man von Bukowski eben nicht erwar­tet. Der ame­ri­ka­ni­sche Poet und Schriftsteller, Sohn deut­scher Einwanderer, schrieb eine ein­drück­li­che Menge an Gedichten, Kurzgeschichten und Romane. Seine Arbeit war, seit sei­nem ersten Gedichtband “Flower, Fist and Bestial Wail” aus dem Jahre 1960, ein Gräuel für die Wächter des lite­ra­ri­schen Elfenbeinturms und der auf­wärts­stre­ben­den Konsumgesellschaft: Bukowski das Scheusal, der “dir­ty old man”, der Alkoholiker, Autor und Antiheld ame­ri­ka­ni­scher moder­ner Literatur… das prü­geln­de, Frauenverachtende und auf das Leben flu­chen­de Monster schlecht­hin. Schlagende Worte die, wenn man Bukowski gele­sen hat, auch schnell so asso­zi­iert wer­den kön­nen. In einem kur­zen Moment des Augenschließens… sind wir ehr­lich, da wer­den alle zu einem klei­nen, wenn viel­leicht auch nur träu­men­den Bukowski. Irgendwie, irgend­wann. Und das ist sehr­wahr­schein­lich auch schon das gan­ze Geheimnis um den Erfolg des “dir­ty old man”. Er schrieb, was Menschen lie­ber ver­drän­gen.

Die ein­zi­ge Tochter von Bukowski, Marina Luise Bukowski, lebt heu­te als Computer Programmiererin, Ehefrau und Mutter in San Rafael, Kalifornien. Auf die Frage, ob sie Lust hät­te über ihren Vater ein paar Zeilen für ensuite zu schrei­ben, hat sie dan­kend und schmun­zelnd abge­lehnt. “I am too busy run­ning around” mein­te sie. Über ihren Vater sagt sie: “Nein, ich habe ihn nie betrun­ken gese­hen, er ist nicht anders als ande­re Väter. Wenn wir gestrit­ten haben, dann über Jazz. Ich lieb­te Jazz, er hass­te ihn. Mein Vater war, auch wenn man ihn anhand sei­ner Arbeit anders inter­pre­tiert, ein groß­ar­ti­ger, lie­bens­wer­ter Mann und ein guter Vater.” Offensichtlich lieb­te Marina ihren Vater. Großgezogen wur­de Marina aller­dings von ihrer Mutter, der Poetin Frances Dean Smith. 25jährig, ehe­lich­te Marina ihren lang­jäh­ri­gen Freund Jeffrey Stone. An derer Hochzeit blies ein grei­ser Musiker Debussy, Papa Hank kam in nagel­neu­en Schuhen, fei­nem Zwirn und blü­ten­wei­ßem Hemd und stand strah­lend da. Nüchtern.

Bukowskis Lieblingsfotograf Michael Montfort, mit dem sich eine 20jährige Freundschaft ver­band liegt, nach­dem ich ihn end­lich loka­li­siert hat­te, wegen eines schwe­ren Schlaganfalls in einer Prager Klinik. Er kann nicht, sehr wahr­schein­lich nie mehr, erzäh­len wie Hank wirk­lich war. Er war mit Bukowski unter­wegs, hat ihn in sei­nen Höhen und Tiefen erlebt, flog mit ihm nach Deutschland und stand mit ihm an den Pferderennbahnen. Tausende von Fotos sind das Resultat. Am Tag vor Charles Bukowskis letz­tem Geburtstag führ­te Montfort’s Kollege, der Journalist Gundolf S. Freyermuth, mit Bukowski ein sie­ben­stün­di­ges Gespräch. Über des­sen unge­wöhn­li­che Karriere die ihn aus dem Pennerleben unter die Hollywoodstars führ­te, über das Handwerk des Schreibens, über Schriftstellerkollegen wie William S. Burroughs und Norman Mailer, über Ruhm und Geld und natür­lich über den Tod… Es soll­te das letz­te Interview des „dir­ty old man“ wer­den. Michael Montfort nahm wäh­rend die­ses sie­ben­stün­di­gen Marathon Gespräches die letz­ten Bilder des Schriftstellers auf. Montfort zeigt ein­fühl­sa­me Fotos. Bilder eines Mannes, der die Abgründe sei­nes Selbst und die Abgründe ver­schie­de­ner Milieus lebt und gelebt hat. Beide waren Boxkampf Fans. War ein Kampf, bei­de sind sie hin gerannt. War ein Pferderennen, bei­de waren sie da und haben gewet­tet, manch­mal hor­ren­de Beträge. Beide haben getrun­ken… Jungs eben.

Unbedingt: Bukowskis lite­ra­ri­sche Werke sind aggres­siv, grau­sam und obszön, aber gleich­zei­tig auch außer­or­dent­lich wit­zig, ehr­lich und zärt­lich. Geschichten vom Suff und von der Lust. Protokolle der all­täg­li­chen Hölle, Hinterhofballaden, Liebesversuche in einer grau­sa­men Welt, in Absteigen, Bars, Hurenhäusern und Schlachthöfen. Und das ist es; Leben zuvor­derst, Leben an der Front. Da, wo die Kanten noch rau sind, unge­schlif­fen vom ran­zi­gen Fett der Gesellschaft. Bukowskis Erzählungen sind nicht die Seifenopern in dif­fu­sen rosa Nuancen unter dem pein­li­chen Abgang jeg­li­cher Realität. Bukowski erzählt aus der Welt des wirk­li­chen Lebens vie­ler Leute die am Ende der Docks, am fili­gra­nen Abgrund zwi­schen Wahn und Witz ste­hen. Ohnmacht, Wut, Depression, Verlorenheit, Gier und Leidenschaft in all ihrer Wucht.

Bukowski ein Scheusal? Nein. Vielleicht nur ein Mann, der einer Welt ange­hört hat die den mei­sten fremd ist. Die Welt der Zigarren, der Drinks, des Schweißes, des Spiels, der Explosivität, des Instinktes… eines Raubtieres gleich hin und her tigernd. In der Tat eine raue Welt, aber auch eine sinn­li­che Welt. Eine Welt, die mensch­li­cher und gegen­sätz­li­cher wohl nicht sein kann. Ganz klar: der Schriftsteller berührt und bewegt und das reich­lich tief. Tief geschaut hat er auch als Trinker. Als über­aus men­schen­scheue Person, waren ihm Lesungen ein Gräuel. Bei Lesungen trank er unbe­greif­lich viel, betrun­ken haben ihn sei­ne Zuhörer gese­hen, vom trin­ken hat er geschrie­ben und als Trinker kann­te man ihn. Am letz­ten Tag im Spital, als Bukowski wuss­te, dass er ster­ben wür­de, kam der Diensthabende Arzt, hock­te sich auf des­sen Bett und stell­te sei­nen Pager aus. Er ver­gaß dar­über die Nacht. Sie dis­ku­tier­ten über Poesie.

Henry Charles Bukowski, starb vor zehn Jahren in der Nacht auf den 4. März 1994 in Los Angeles an Blutkrebs.

Bild: Michael Montfort
ensuite, März 2004