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Brückenbauer zwi­schen Kulturen

Von Bettina Hersberger – Manuel Bauer enga­giert sich für eine bes­se­re Welt. Mit sei­ner Arbeit beginnt er dort, wo ande­re auf­hö­ren. Seine Fotoreportage über eine Flucht aus Tibet erreg­te inter­na­tio­na­les Aufsehen.

Er macht es sich bequem auf dem abge­wetz­ten Ohrensessel in einer Ecke des Basler Literaturhaus-Cafés «Kafka am Strand». Das Bücherregal neben ihm erin­ne­re ihn an sein Elternhaus, bemerkt Manuel Bauer. Nur sei die­ses etwa zehn­mal grös­ser gewe­sen. Er bestellt einen Pfefferminztee, drückt sich tief in den Sessel und deu­tet scherz­haft an, die Füsse auf den Tisch zu legen. Bauer wirkt ent­spannt und gut gelaunt. Es ver­blei­ben gute vier Stunden, bis er auf der Bühne des Basler Stadtcasinos ste­hen wird. Basel ist die vor­letz­te Station auf sei­ner Schweizer Vortragstournee, auf der er von sei­ner Reise nach Mustang berich­ten wird, einem ver­bor­ge­nen ehe­ma­li­gen Königreich in Nepal.

Bauers Gesicht ist son­nen­ge­bräunt und glatt­ra­siert, sein Haar stop­pel­kurz. Der 46-jäh­ri­ge Winterthurer hat kan­ti­ge und doch sanf­te Gesichtszüge und glas­kla­re blaue Augen. Sein herz­haf­tes Lachen durch­bricht immer wie­der den nach­denk­li­chen Gesichtsausdruck.

Internationale Bekanntheit erlang­te Bauer 1995 mit einer ein­zig­ar­ti­gen Fotoreportage: Er beglei­te­te einen Tibeter mit sei­ner sechs-jäh­ri­gen Tochter auf der ris­kan­ten Flucht von Tibet nach Indien ins Exil. 22 Tage und Nächte dau­er­te die Reise, die über den 5’716 Meter hohen Nangpa Pass im Himalaya führ­te. Mit sei­ner Dokumentation setz­te er welt­weit ein Zeichen für Menschenrechte und für eine Kultur, wel­che seit einem hal­ben Jahrhundert von der chi­ne­si­schen Besatzung syste­ma­tisch aus­ge­rot­tet wird.

Aufgewachsen ist Bauer auf dem Land nahe Zürich. Irgendwann wichen Wiesen und Felder, auf denen sie als Kinder gespielt hat­ten, Einfamilienhäusern mit Pool und Garage. Das unauf­halt­sa­me Verschwinden der Landschaft und der länd­li­chen Kultur bleibt für Bauer eine schmerz­li­che Kindheitserinnerung.

Die Familie leb­te beschei­den. Bauer wuchs mit zwei Brüdern auf, der eine zwei Jahre älter, der ande­re elf Jahre jün­ger. Die Mutter lei­te­te die ört­li­che Gemeindebibliothek. Von ihr hat Bauer die Liebe zur Literatur mit­be­kom­men. «Bei uns war Bildung etwas Zentrales. Unser Wohnzimmer war vol­ler Bücherregale, gefüllt von unten bis oben», erin­nert er sich. Der Vater war beruf­lich stark enga­giert. Ein kom­pro­miss­los frei­schaf­fen­der Grafiker und Künstler, der nur Aufträge aus­führ­te, die er für ethisch ver­tret­bar hielt. Bauer woll­te in die Fussstapfen des Vaters tre­ten und gestal­te­risch arbei­ten. Da ihm, wie er sagt, das Zeichnen nicht lag, ent­schied er sich für die Fotografie. Das war Anfang der Achtziger. «Ich woll­te die Freiheit haben, selbst zu ent­schei­den, und mich nicht vom Kommerz ein­span­nen las­sen.» Freiheit – ein häu­fi­ges Thema am Familientisch. Fragen, ob bei­spiels­wei­se Aufträge für das Atomkraftwerk oder eine Grossbank ver­tret­bar sei­en, wur­den dis­ku­tiert. «Es impo­nier­te mir, dass mein Vater vor allem für Hilfswerke und Kulturinstitutionen arbei­te­te, auch wenn die Kasse nicht immer stimm­te.» Freiheit wird für Bauer zum Leitgedanken.

«Die Fotografie war nicht mei­ne Leidenschaft», gesteht er und hält einen Augenblick inne, als wol­le er sei­ne Aussage prü­fen. «Aber der schnell­ste und ein­fach­ste Weg in die Eigenständigkeit schien mir eine Lehre als Werbefotograf zu sein.» Das Geschäft mit der Fotografie emp­fand er jedoch als «auf­ge­bla­se­nes Business». Der kom­mer­zi­el­le Aspekt an sei­ner Arbeit behag­te ihm nicht. Gleichzeitig ver­lieb­te er sich zuneh­mend in die Fotografie: «Im Moment des Fotografierens musst du ganz durch­läs­sig sein, ganz intui­tiv, dann geschieht etwas Mirakulöses. Wir bil­den nur Oberflächen ab, die Licht reflek­tie­ren, und trotz­dem kommt Leben hin­durch.»

Zwischen zwei Welten Bauer zieht sei­ne blaue Kapuzenjacke aus und legt sie über die Armlehne. Schon früh habe er begon­nen, sich gegen Ungerechtigkeit zu weh­ren, erzählt er wei­ter. Ihm sei bewusst gewe­sen, dass er als Werbefotograf den Kommerz bedie­ne. Sein Leben sei ihm immer absur­der erschie­nen: Einerseits habe er gegen Umweltverschmutzung pro­te­stiert, ande­rer­seits kom­mer­zi­ell gear­bei­tet und damit genau das geför­dert, was er ablehn­te.

Schliesslich setz­te sich sei­ne ethi­sche Gesinnung durch. Kurz nach Lehrabschluss wur­de er akti­ves Mitglied der GSOA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee), und begann für die­se zu arbei­ten. Ein lukra­ti­ves Angebot, als Assistent eines Modefotografen nach Paris zu gehen, schlug er aus. Mit zusätz­li­chen, klei­nen Foto-Jobs finan­zier­te er sei­nen Lebensunterhalt.

Erste Begegnung mit dem Dalai Lama 1988 lern­te er den Journalisten Hans Reutimann, Literaturredaktor der Zürichsee Zeitung ken­nen. Reutimann nahm Bauer mit auf eine Indien-Reise. Ein Sprungbrett für Bauer, der damals 22 Jahre alt war. Gemeinsam recher­chier­ten sie für eine Reportage über tami­li­sche Flüchtlinge.

Eine wei­te­re Recherchereise nach Indien zusam­men mit Reutimann folg­te. Diesmal ging es um die Frage, ob Tibeter ihre Kultur im Exil an die näch­ste Generation wei­ter­ge­ben könn­ten, oder ob die­se dem Aussterben geweiht war. So kam Bauer erst­mals mit der tibe­ti­schen Kultur in Berührung.

Bereits auf sei­ner zwei­ten Indien-Reise 1990 – kurz bevor der Dalai Lama den Friedensnobelpreis erhielt – durf­te er in der tibe­ti­schen Diaspora foto­gra­fie­ren und ein aus­ge­dehn­tes Interview mit dem Dalai Lama füh­ren. Später beglei­te­te Bauer den Dalai Lama wäh­rend drei Jahren als per­sön­li­cher Fotograf auf 40 Reisen.

Anlässlich einer TV-Produktion des Schweizer Fernsehens in Indien sag­te der Dalai Lama über Bauer: «Ich ken­ne ihn seit vie­len Jahren, und er selbst hat mir gegen­über in all die­sen Jahren eine gros­se, tief emp­fun­de­ne Nähe gezeigt. Er ist für mich ein ech­ter Freund.»

Halb Nomade, halb Siedler Wenn Bauer nicht auf Reisen ist, lebt er in Winterthur. Seine bei­den Kinder (10/12) betreut er abwech­selnd mit sei­ner geschie­de­nen Frau. Er funk­tio­nie­re in Extremsituationen, sagt er. Aber zu Hause am Bürotisch zu sit­zen, das sei oft schwie­rig für ihn. Hier kön­ne er sich nur schwer moti­vie­ren, sei­ne Arbeiten zu erle­di­gen. Hier ver­ar­bei­tet er das Erlebte, sor­tiert Bilder und Eindrücke sei­ner Reisen. Und hier holt ihn auch immer wie­der die Erschöpfung ein.

Auf der Suche nach neu­en Erkenntnissen über­schrei­tet Bauer auch per­sön­li­che Grenzen und dringt so weit vor, bis er ein tie­fes Verständnis für die Materie erlangt hat. Mit sei­nen Bildern baut er Brücken zwi­schen Welten, die ein­an­der dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setzt sind. Ob sein Vortrag viel­leicht doch etwas zu lang sei, fragt er sich in die­sem Augenblick, und reibt sich die Stirn.

Der Saal ist voll, vor der Abendkasse ste­hen die Leute immer noch Schlange. Stapelweise wer­den wei­te­re Stühle in den Vortragssaal gebracht. Das Gemurmel ver­stummt abrupt, als Bauer die Bühne betritt. Rund 1’000 Bilder wer­den in den kom­men­den 140 Minuten über die Grossleinwand glei­ten, wäh­rend Bauer mit sei­nen Erzählungen jedes ein­zel­ne zum Leben erweckt. Und jedes ein­zel­ne wird sich in den Köpfen der über 600 Zuschauer ein­prä­gen.

Foto: zVg.
ensuite, Februar 2013