Was bleibt?

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ensuite 144 Dezember 14.inddVon Lukas VogelsangEin Jahresende ist immer ein guter Zeitpunkt für eine Rückblende und für die Frage, ob es ein gutes Jahr war, ob man sei­ne Vorhaben erfüllt hat, ob der Weg, den man ein­ge­schla­gen hat noch an das rich­ti­ge Ziel führt. Was war das für ein Jahr? War da was?

Die Kultur war das gan­ze Jahr im Diskussionsfokus – aller­dings mit rela­tiv wenig Nachhaltigkeit. Es ging vie­len Diskussionswilligen ein­zig dar­um, den Status Quo zu hal­ten, einen Fuss in den Türrahmen zu stel­len, Bewegungen zu ver­hin­dern oder aber gera­de das Gegenteil: nicht auf­zu­fal­len. Andere Exponenten stell­ten sich nach vor­ne, aller­dings mit wenig Führungsmotivation. Seien wir ehr­lich: Wir sind am glei­chen Punkt wie vor einem Jahr. In Bern hat sicher die «Berner Kulturkonferenz» im Januar die gros­se Bewegung aus­ge­löst, wel­che zumin­dest etwas Hoffnung auf­kom­men liess und schweiz­weit für Aufsehen und Nachfragen führte. Doch schluss­end­lich zeig­ten die Behörden Stadt und Kanton, die Verbände und Institutionen wenig Bereitschaft an einer Zusammenarbeit. Grosses Bouquet: Die Stadt Bern bla­mier­te sich im Oktober mit einem absur­den und lächer­li­chen Sinneswandel: Jetzt soll plötz­lich ein Kulturkonzept erschaf­fen wer­den – nach­dem man sich 6 Jahre lang davon distan­ziert hat­te und die 46 Stellungnahmen der Vernehmlassung zum mise­ra­blen Kulturfahrplan bis 2019 ein­fach igno­rier­te. Absurd ist das alles, weil die Abteilung Kulturelles nicht mal die ein­fach­sten Hausaufgaben gemacht hat: So rech­net die Abteilung Kulturelles von Bern bei­spiels­wei­se noch immer mit dem gesam­ten Hauptstadt-Kulturbeitrag vom Bund und bud­ge­tiert grosszügig Geld, ver­ges­send, dass durch die neue Aufteilung der Institutionen der Löwenanteil die­ser BAK-Gelder an den Kanton flies­sen wer­den. Das alles zeugt von einer unglaub­li­chen Überforderung und Naivität. Und wenn eine «Berner Kulturkonferenz» nötig ist, um etwas Bewegung in die Sache zu brin­gen, so müssen wir mit die­ser Institution unbe­dingt auch im 2015 aktiv blei­ben. Mein per­sön­li­ches Fazit für die Kulturdiskussionen wirkt irri­tie­rend: Ich woll­te über Inhalte dis­ku­tie­ren und die Kulturschaffenden haben es abge­lehnt. Der Kulturjournalist Wolfgang Böhler schrieb sogar: «Kulturpolitik darf nur Finanzpolitik sein». Deswegen fin­de ich, dass die Berner Abteilung Kulturelles per sofort der Finanzdirektion unter­stellt wer­den müsste. Hören wir doch auf, Kultur und Inhalte im glei­chen Satz zu nen­nen und set­zen wir mal kon­se­quent um, was aus­ge­rech­net die Kultur sel­ber for­dert. Dann hät­ten wir wenig­stens die Zahlen mal kon­se­quent im Griff und könn­ten Themen wie Personalvorsorge und Versicherungen für Kultur- und Kunstschaffende oder das steu­er­be­frei­te Kultursponsoring schnell in eine neue Runde brin­gen. Denn hier ist in den letz­ten Jahren kaum etwas gesche­hen, aus­ser, dass die klein­sten Teilnehmer in der Wertschöpfungskette bezah­len müssen.

Aber das Jahr hat noch ganz ande­re Überraschungen und Erkenntnisse gebracht. So bei­spiels­wei­se ver­su­chen sich die gros­sen Medienverlage noch mehr als Softwarefirmen zu posi­tio­nie­ren. Die Zukäufe der Verlagshäuser in Online-Märkten sind mas­siv gestie­gen und man eifert den ame­ri­ka­ni­schen Vorbildern nach – wis­send, dass die­se nur eine welt­wei­te «one and only»-Strategie ver­fol­gen und somit alle euro­päi­schen Konkurrenten und Kopierer ver­lie­ren wer­den. Dass damit die «Leserschaft» ver­lo­ren geht inter­es­siert nie­man­den mehr. Die Medienbetriebe mutie­ren zu Logistikzentren, ver­wal­ten «Content» und haben ver­ges­sen, dass die Nachricht das eigent­li­che Business war. Der Raubbau an der Meinungsfreiheit ist nicht zu erset­zen und wird mit dem Weiterschreiten des Vergessens ein übles Ende fin­den.

Ich habe in die­sem Jahr ver­stan­den, dass die Menschheit im Kopf nicht mehr auf­nah­me­fä­hig ist und die Mächtigen sich an die­ser Überforderung der Massen berei­chern. Kaum jemand kann die neu­en Technologien – sei es ein Smartphone oder einen Computer – voll­stän­dig anwen­den oder ver­ste­hen. Wir ver­tei­len unse­re pri­va­ten Daten wie Schuppen. Mehr noch: Durch den Verlust von altem Know-how (zum Beispiel in der Industrie), dem fast fana­ti­schen Fokus auf «neue Technologien» und dem aus­schlies­send «zeit­ge­nös­si­schen» Interesse, ver­lie­ren wir – wie in Michael Endes «Unendliche Geschichte» – mehr und mehr von unse­rer Welt und Menschenwürde. Wir kon­for­mie­ren uns mit Computern und wer­den sel­ber zu hirn- und see­len­lo­sen Maschinen. In der Zeit der Industrialisierung hat­ten wir noch phy­si­sche Ergebnisse, die von ArbeiterInnen erschaf­fen und von den Gewerkschaften überwacht und auch mora­lisch legi­ti­miert wur­den. Wir leb­ten dar­in. Heute ist alles ver­gei­stigt und unsicht­bar – der Mensch ist von die­ser vir­tu­el­len Welt getrennt. Und kei­ne Politik, Gewerkschaft oder Kirche ver­sucht, den Boden zurückzugewinnen. Dieser Zustand ist schon weit fort­ge­schrit­ten. Aber es ist noch nicht zu spät.

Ich dan­ke Euch LeserInnen und KundInnen für die­ses gemein­sa­me Jahr. Nur Ihr gebt uns unse­re Existenz – im exi­sten­zi­el­len Sinn und finan­zi­ell. Es ist für einen Verleger wahr­schein­lich das schön­ste Feedback zu spüren, dass die Anstrengungen bei der Leserschaft geschätzt wer­den. Geniesst den fei­er­li­chen Dezember – oder macht ihn fei­er­lich. Prost.

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