Bernard Herrmann: Orchestrierer der Gefühle

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Von Morgane A. Ghilardi – Filmmusik wird manch­mal als Hintergrundmusik bezeich­net, als ste­he das Bild im Vordergrund, wäh­rend die Musik sub­til und aus­ser­halb der bewuss­ten Wahrnehmung mit­wir­ke. Bei gene­ri­schen Wiederaufbereitungen alt­be­kann­ter musi­ka­li­scher Motive mag dies teil­wei­se der Fall sein, doch an sich spricht die­ser Begriff der Filmmusik ihre Relevanz als Teil der Filmsprache ab. Bernard Herrmann, Komponist für Filme wie «Citizen Kane» (1941), «Vertigo» (1958) und «Taxi Driver» (1976), kenn­zeich­ne­te mit sei­nem Lebenswerk die Macht und Bedeutsamkeit der Filmmusik.

Im Deutschen ver­wen­den wir den Begriff «Soundtrack» ger­ne über­grei­fend, um jeg­li­che im Film vor­kom­men­de Musik zu bezeich­nen. Im Englischen hin­ge­gen wird zwi­schen dem «Soundtrack» und dem «Score» unter­schie­den. Während das erste eine Sammlung von Liedern meint, die im Film ver­wen­det wur­den, wie z.B. «Don’t You (Forget About Me)» von Simple Minds im Kultfilm «The Breakfast Club» (1985), bezeich­net das zwei­te die Stücke, die spe­zi­fisch für einen Film kom­po­niert wur­den. Während man mit gutem Gewissen argu­men­tie­ren kann, dass auch Lieder, die nicht spe­zi­fisch für einen Film geschrie­ben wur­den, einen Einfluss auf die Tonalität des Films haben, war dies für Herrmann ein Ding der Unmöglichkeit. Für ihn war Musik eine emo­tio­na­le und per­sön­li­che Ausdrucksform, die aus einer direk­ten Inspirationsquelle stam­men muss, und die weder einen deko­ra­ti­ven noch einen modi­schen Zweck erfüllt. Seine Werke sind ein Testat sei­ner neo-roman­ti­schen Ideale.

Herrmann, der am 29. Juni sei­nen 103. Geburtstag gefei­ert hät­te, stieg im klas­si­schen Hollywood schnell zum Status einer Koryphäe empor. Was in den 1930ern mit der Zusammenarbeit mit dem zukünf­ti­gen Filmgiganten Orson Welles für des­sen Live-Radiosendungen begann (dar­un­ter die 1938 aus­ge­strahl­te Radioversion von H.G. Wells’ «War of the Worlds», die Amerika in Schrecken ver­setz­te) ent­wickel­te sich zu einer frucht­ba­ren und wich­ti­gen Karriere als Filmkomponist. So kam es auch zu sei­ner Freundschaft mit einem ande­ren Koloss der Filmgeschichte: Alfred Hitchcock. Ihre Kollaboration begann 1955 mit «The Trouble With Harry» und führ­te unter ande­rem zur Komposition der welt­be­rühm­ten Motive von «Psycho» (1960) und «Vertigo». Während Hitchcock der abso­lu­te Meister der Bildsprache und des Spannungsaufbaus ist, kann man nicht ver­nei­nen, dass die Macht sei­ner Bilder auch von der kom­pli­zier­ten, emo­tio­na­len Wucht der Musik abhän­gig ist. Vielen ist die Duschszene aus «Psycho» sicher sehr prä­sent, so dass sie sich an die beklem­men­de Panik und den Horror erin­nern kön­nen, aus­ge­löst durch das durch­drin­gen­de Kreischen der Violinen. In «Vertigo» geben uns Herrmanns Leitmotive Zugang zur Psyche des Protagonisten John Ferguson, des­sen Liebe, Obsession und Furcht man bis in die Knochen spürt; Herrmann kre­iert eine emo­tio­na­le Spannung, die abso­lut betö­rend ist. Die oft opern­haf­te Qualität sei­ner Kompositionen wirkt sich auch kör­per­lich aus. Zum Anfang des Films spürt man wie der musi­ka­li­sche Vortex ein Schwindelgefühl simu­liert, das den Zuschauer in Hitchcocks Welt zieht.

Diese Kraft setzt er jedoch genau­so ein, um den epi­schen Charakter einer Liebesgeschichten zu ver­mit­teln, wie in Welles’ «Jane Eyre» (1943) mit Joan Fontaine oder Mankiewicz’ «The Ghost and Mrs. Muir» (1947) mit Gene Tierney und Rex Harrison. Herrmann emp­fand die Komposition für «The Ghost» ver­ständ­li­cher­wei­se als sein bestes Werk. Leidenschaft, Verlangen, Vertrautheit und Leiden, wel­che die Liebe in die­sem Film defi­nie­ren, ver­schmel­zen in den phä­no­me­na­len Melodien auf eine sub­ti­le und kom­ple­xe Art und Weise. Genauso ver­moch­te Herrmann es aber auch, mit moder­nen und unge­wöhn­li­chen Instrumenten und nach­träg­li­cher Tonmanipulation das Unheimliche wider­zu­spie­geln. Für den Science-Fiction-Klassiker «The Day the Earth Stood Still» (1951) ver­wen­de­te er unter ande­rem elek­tri­sche Violinen und Bass sowie das Theremin, des­sen über­ir­di­sche Töne iko­nisch für den Science-Fiction-Film der 1950er waren. Auch für «The Twilight Zone» (1959–64) kom­po­nier­te er Stücke, wel­che sowohl mensch­li­che Neugierde und Spannung wie auch Angst und Ahnungslosigkeit ver­mit­tel­ten. Wahrscheinlich den mei­sten bekannt ist auch das Leitmotiv des als tra­shig gehan­del­ten Films «Twisted Nerve» (1968), wel­ches Tarantino für «Kill Bill» (2003) wie­der auf­griff.

1965 trenn­ten sich Hitchcocks und Herrmanns Wege, nach­dem sich Herrmann wei­ger­te, sich um des Kommerzes Willen den Musikmoden der Zeit anzu­pas­sen. Nach die­sem Bruch ver­liess Herrmann Hollywood und arbei­te­te in England. Er kol­la­bo­rier­te für «Fahrenheit 451» (1965) und «La Mariée était en noir» (1967) mit François Truffaut, und begann danach vor allem für Filme des Exploitation-Genres zu kom­po­nie­ren. Seine letz­ten Werke schuf er dann jedoch für Hollywoods neue Garde der 1970er: Brian de Palmas «Obsession» (1975) und Martin Scorseses «Taxi Driver» (1976).

Bernard Herrmann starb am 24. Dezember 1975, nach dem Abschluss der Aufnahmen für «Taxi Driver». Er hin­ter­liess nicht nur mehr­fach Oscar nomi­nier­te und aus­ge­zeich­ne­te Kompositionen, son­dern ein Lebenswerk, das Generationen von Filmkomponisten beein­flusst hat, dar­un­ter Danny Elfman, Graeme Revell, John Barry, John Williams, Lalo Schrifrin und vie­le mehr. Seine Kompositionen haben zur Evolution eines wich­ti­gen Teils der Filmsprache bei­getra­gen. Auch wenn Herrmann glaub­te, der Zuschauer höre nur mit einem hal­ben Ohr hin, hat er gezeigt, dass Filmmusik nie­mals nur Hintergrund ist.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2014

 

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