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«Balkan Brass ist ein Gegentrend zu Red Bull»

Von Hannes Liechti – In der Serie «Musik für» wer­den jeweils eine oder meh­re­re Persönlichkeiten aus dem Berner Kulturleben mit einer aus­ge­wähl­ten Playlist kon­fron­tiert. Diesen Monat trifft es Balthasar Streit und Thierry Lüthy von der Berner Balkan Brass Band Traktorkestar.

Balkan Brass aus Bern, geht das? Für Balthasar Streit und sein Traktorkestar kei­ne Frage. In die­sen Tagen erscheit mit «Scharf Extra» das zwei­te Album der Gruppe. Die Idee, ein Berner Balkan-Orchester zu grün­den, kam Balthasar vor sie­ben Jahren am ser­bi­schen Trompetenmusikfestival in Guča. Zusammen mit elf wei­te­ren Bandkollegen wid­met er sich seit­her der Musik aus dem Balkan. «Scharf Extra» zeigt, dass das sogar auf Mundart funk­tio­niert: Auf dem neu­en Album war­ten die Jungs mit einem pro­mi­nen­ten Gast auf.

Shantel
«Disko Partizani»
ab dem Album «Disko Partizani» (Essay Recordings, 2007)

Thierry Lüthy: Das war ja zu erwar­ten, dass die­ser Song kommt! (lacht)

Balthasar Streit: Ein Stück, wel­ches ver­mut­lich jeder DJ bringt, der nach unse­ren Konzerten auf­legt. Mir per­sön­lich hängt es zum Halse raus. Man muss aber auch fair sein: Shantel hat durch sei­ne Popularität inner­halb der Balkan Szene viel ange­ris­sen und hat Leute ange­spro­chen, die die­se Musik sonst nicht hören wür­den. Letztlich pro­fi­tie­ren alle von ihm – auch die Bands aus dem Balkan, die zu uns kom­men.

Thierry: Er hat ein elek­tro­ni­sches Element in die Balkan-Musik gebracht. Und dass es über­haupt so etwas wie Balkan-Partys bei uns gibt, ist unter ande­rem ihm zu ver­dan­ken. Aber ich kann das Stück auch nicht mehr hören!

Goran Bregovič
«Gas Gas»
ab dem Album «Goran Bregovič’s Karmen with a Happy End» (Kamarad Productions, 2007)

Thierry: Dieses Stück war über Jahre hin­weg Balthasars Handy-Klingelton!

Balthasar: Auch einer die­ser Hits, die immer nach unse­ren Konzerten abge­spielt wer­den. Ich habe den Song zum ersten Mal 2008 gehört, als ich zum zwei­ten Mal am Trompetenfestival im ser­bi­schen Guča war. Da ist das Album «Karmen with a Happy End» gera­de neu erschie­nen, «Gas Gas» war ein rie­si­ger Hit und ist an jeder Bar in Endlosschlaufe gelau­fen. Mittlerweile gibt es zig Versionen davon und Bregovič hat es 2008 mit die­sem Song gar an den Eurovision Song Contest geschafft. Was gibt es sonst noch dazu zu sagen?

Thierry: Das fragst du mich? Ich habe etwa ein Jahr nach­dem ich bei Traktorkestar ange­fan­gen habe, damit begon­nen, die­se Musik zu hören!

Weshalb ist «Balkan Brass» hier­zu­lan­de so popu­lär?

Balthasar: Es ist ein Gegentrend zu all dem clea­nen Electro und House oder zu all die­sem durch­ge­putz­ten Zeug, das im Radio läuft. Balkan-Brass hat Dreck und geht ab. Es ist ein Gegentrend zu Red Bull.

Thierry: Es liegt viel­leicht auch dar­an, dass die­se Musik zum Tanzen gut funk­tio­niert.
Balthasar: Und Balkan-Partys gehö­ren zu den weni­gen Partys, wo man noch mit instru­men­ta­ler Livemusik daher­kom­men kann.

Fanfare Ciocărlia
«Que dolor»
ab dem Album «Queens And Kings» (Asphalt Tango, 2007)

Balthasar: Fanfare Ciocărlia ist die erste Band in die­ser Art, die ich je live gehört habe. Das war 2005 am Kiental Openair. Ein sehr spe­zi­el­ler Abend: Die Gruppe hat neben Michael von der Heide und Gardi Hutter gespielt. Das Konzert hat mich völ­lig beein­druckt, so etwas habe ich vor­her noch nie gese­hen. Wenige Wochen spä­ter bin ich zum ersten Mal ans Trompetenfestival nach Guča gefah­ren, wo ich schliess­lich die Idee hat­te, selbst ein Balkan Brass Orchester auf die Beine zu stel­len.

Thierry: So wie die spielt hier nie­mand. Die bret­tern und «schrän­zen», was das Zeug hält – das bläst dich erst ein­mal weg. Diese Lautstärke und die­se Power ist man sich bei Blechblasinstrumenten hier nicht gewöhnt. Fanfare Ciocărlia sind sowohl ener­gie­mäs­sig als auch tech­nisch auf einem enorm hohen Niveau. Das ist kei­ne Fasnachts-Gugge.

Fanfare Ciocărlia kom­men aus Rumänien. Was ist der Unterschied zu Gruppen aus Ex-Jugoslawien?

Balthasar: Das Eine ist die Instrumentierung. In Rumänien sind in sol­chen Bands mehr Saxophone mit dabei. Und die Sprache ist natür­lich eine ande­re. Ausserdem ist bei der Musik von Fanfare Ciocărlia ein star­ker Gypsy-Einfluss hör­bar. Die Musiker vom gros­sen Boban Markovič Orkestar sind zwar auch Roma, ihre Musik ver­mischt sich aber viel stär­ker mit der aktu­el­len Popkultur. Goran Bregovič hat ja mit Bijelo Dugme, einer Rockband, ange­fan­gen. Fanfare Ciocărlia dage­gen sind sehr tra­di­tio­nell geprägt.

Und wie unter­schei­det sich Traktorkestar davon?

Thierry: Wir haben einen ganz ande­ren Background. Wir kom­men vom Jazzkontext her und ver­su­chen das mit der Balkan-Musik zu ver­bin­den, etwas Eigenes dar­aus zu machen. Das hört man auf dem neu­en Album: Bis auf drei tra­di­tio­nel­le Stücke sind alles Eigenkompositionen.

La Brass Banda
«Autobahn»
ab dem Album «Habediehre» (Trikont, 2008)

Balthasar: Toller Song! Ich fin­de die Band über­haupt geil. Ich habe sie ein­mal live gese­hen. Gerade die Trompete in die­sem Stück ist tech­nisch auf einem ver­dammt hohen Niveau.

Thierry: Die haben ein ganz ähn­li­ches Konzept wie wir: Die Besetzung ist zwar klei­ner als unse­re, ist aber trotz­dem noch eher tra­di­tio­nell – das, was sie damit machen, geht aber über die Tradition hin­aus.

Balthasar: In der Zeitung ist ein­mal so etwas gestan­den wie «Was Traktorkestar für die Schweiz ist, sind La Brass Banda für Deutschland». Sie bewe­gen sich viel­leicht noch ein wenig wei­ter weg von die­sem Balkan-Ding, haben das in ihren Anfängen aber auch gemacht. Ich ver­ste­he ein­fach den Bayrischen Dialekt nicht sehr gut. Live kei­ne Chance und hier bei der Aufnahme habe ich auch nicht alles ver­stan­den.

Thierry: Das wür­den sie wahr­schein­lich bei unse­ren zwei Mundart-Stücken auch sagen.

Balthasar: Ich weiss nicht, ob man das als «alter­na­ti­ve Brassszene» betrach­ten kann: Gerade in Österreich und Deutschland gibt es noch wei­te­re sol­che Bands, HMBC (Holstuonarmusigbigbandclub) zum Beispiel. All die­se Gruppen machen Musik zum Tanzen, Musik die abge­hen soll auf Blasinstrumenten. Es ist aber kei­ne Blasmusik im tra­di­tio­nel­len Sinne, sprich kei­ne Dorfmusik.

Thierry: Es ist schon geil, dass man sol­chen Instrumenten, soviel Energie ent­locken kann. Vor der Balkan-Welle ist die­ses Potential kaum aus­ge­schöpft wor­den. Sonst kennt man Blasinstrumente ja eher von der Dorfmusik Oberdiessbach, die am Sonntag zum Brunch auf­spielt.

Chica Torpedo
«Margareta»
ab dem Album «Chauti Füess un es warms Härz» (Irascible, 2010)

Thierry: Ist das Chica Torpedo?

(Schmidi Schmidhauser, Kopf von Chica Torpedo, beginnt zu sin­gen)
bei­de: Ah ja, ich hab’s doch gewusst!

Thierry: In Bern gibt es einen gros­sen Pool von span­nen­den Sängern, die im Mundartbereich tätig sind. Schmidi Schmidhauser ist einer davon, der im Gegensatz zu vie­len ande­ren deut­lich mehr Soul hat; rein wie er Emotionen und Gefühle aus­drückt. Da kommt Kuno Lauener wie ein Päckchen Valium daher. Rein vom Singen her hat Schmidi eine extrem eige­ne Farbe, du erkennst ihn sofort. Es ist toll, dass er auf unse­rem neu­en Album mit­ge­macht hat. Er singt ja mei­ne bei­den Mundartsongs «Oh Slivovica» und «Streuner».

Wie ist es dazu gekom­men?

Balthasar: Thierry hat die bei­den Stücke geschrie­ben und es war klar, dass wir sie sel­ber nicht sin­gen wol­len. Bei der Suche nach einem pas­sen­den Gastsänger sind wir ziem­lich schnell auf Schmidi gekom­men. Wir haben ihm die Skizzen der Stücke geschickt und er war sofort dabei. Ein Glücksfall.

An der Plattentaufe im Bierhübeli wird Schmidi dabei sein. Wie macht ihr das an ande­ren Konzerten?

Balthasar: Das kommt dar­auf an: Wenn eines oder bei­de Stücke zum rie­si­gen Hit wer­den, müs­sen wir wei­ter­schau­en. (lacht)

Thierry: Nein, da sind wir wirk­lich noch nicht fest­ge­legt. Vielleicht singt sie einer von unse­ren Schlagzeugern? (lacht) Spass bei­sei­te: Wir schau­en wei­ter, wenn es soweit ist…

Balthasar: Im Bierhübeli wird Schmidi übri­gens nicht nur die bei­den Stücke von unse­rer CD sin­gen, son­dern auch noch eines bis zwei aus sei­nem Repertoire.

Traktorkestar feat. Tanja Smitran
«Moj Dilbere»
ab dem Album «Scharf Extra» (Nation Music, 2012)

Balthasar: Bei die­sem Stück singt Tanja Smitran als Gast und ihr Bruder Goran spielt Akkordeon. Mit den bei­den haben wir schon frü­her live gespielt und sind hell begei­stert von ihnen. Tanja hat ein­fach eine Wahnsinnsstimme. Es gibt vie­le Popsängerinnen aus dem Balkan, die mit extra viel Vibrato und einem furcht­bar pathe­ti­schen Ausdruck sin­gen. So ist sie nicht. Sie ist ganz fein und bringt doch enorm viel Gefühl mit.

Thierry: Im Studio mit ihr hat­te ich Gänsehaut. Du merkst, ihre Interpretation kommt aus dem Herz und ist nicht so kopf­la­stig wie man sich das im Jazzsegment gewöhnt ist. Dieser Soul und die­ses Herzblut sind min­de­stens eben­so wich­tig wie eine Musik, die den Anspruch hat, dich intel­lek­tu­ell zu for­dern.

Balthasar: Genau das merkt man auch bei Gorans Akkordeonspiel. Es ist gut, dass auf die­ser Scheibe auch noch eini­ge tra­di­tio­nel­le Songs wie «Moj Dilbere» drauf sind. Das gehört auch zu uns, da ste­hen wir dazu.

Bekommt ihr auch Reaktionen von Menschen aus dem Balkan, die in der Schweiz leben?

Balthasar: Wir beka­men bis­lang aus­schliess­lich gute Reaktionen. Einmal im Jahr spie­len wir an einem Anlass des ser­bi­schen Frauenvereins in Köniz. Die sind jedes Mal begei­stert und dar­aus erge­ben sich jeweils ein paar Hochzeiten.

Thierry: Ich fin­de es schön, dass akzep­tiert wird, was wir machen. Umgekehrt wäre das ja wahr­schein­lich kaum mög­lich: Stell dir vor, man wür­de einen ser­bi­schen Jungen in die Musigstubete zu TeleBärn schicken!

«Scharf Extra» ist im Handel erhält­lich. Die Plattentaufe fand am 7. April 2012 im Bierhübeli Bern statt.

Foto: zVg.
ensuite, April 2012