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Aussenluft schnap­pen – Ein Gespräch mit Donal McLaughlin

Von Stephan Fuchs - Donal, bist du ein schrei­ben­der Traditionalist?
Wieso? So kann man das eigent­lich nicht sagen. Weißt du, das… sagen wir mal „Hochenglische“ wird in Schottland seit über zwan­zig Jahren in Frage gestellt. Damals, anfangs der acht­zi­ger Jahre, war das ein har­ter Kampf um die Freiheit der eige­nen Sprache, eben in den ver­schie­de­nen Formen von „Scots“ zu schrei­ben. James Kelman, Alasdair Gray und Tom Leonard haben dabei den Anfang gemacht, das waren drei befreun­de­te Autoren in Glasgow. Die haben es zu Beginn wirk­lich schwer gehabt, haben sich aber durch­set­zen kön­nen. Das hat ande­re ani­miert, da wei­ter zu machen. Jüngere wie etwa Irvine Welsh, der dann auch mit Trainspotting einen Riesenerfolg hat­te. Diese Art zu schrei­ben hat sich plötz­lich durch das gan­ze Land ver­brei­tet. Das fing in Glasgow an, kam dann nach Edinburgh im Osten Schottlands, bis rauf nach Aberdeen und in die Highlands. Immer mehr Schriftsteller ent­deck­ten ihre Sprache wie­der. Dann gibt’s aber auch Leute wie ich, iri­sche Schotten, es gibt mitt­ler­wei­le auch asia­ti­sche Schotten, ita­lie­ni­sche Schotten, die sich in den 90ern gesagt haben: Wir haben auch unse­re Sprache, wir sind auch ein Teil von Schottland. Das war schon span­nend.

War die­se Bewegung denn ein bewuss­ter Kampf gegen England, qua­si eine schrei­ben­de Revolte?
Nicht unbe­dingt. Es ist auch so, dass gewis­se Engländer inzwi­schen unse­re Arbeit gese­hen haben und längst begon­nen haben, in ihrer Sprache zu schrei­ben…

…Cockney in London, zum Beispiel?
So ähn­lich, ja. Ganz ande­re Stimmen – wir sagen voices wer­den jetzt gehört. Wenn das eine Revolte war, dann war das ein Kampf gegen…nun mal ver­ein­facht gesagt…Bloomsbury in London. Bloomsbury ist jener Stadtteil in London, wo all die gros­sen Buch- und Zeitungsverlage zuhau­se sind. Und Bloomsbury hat frü­her qua­si bestimmt, was als Literatur gel­ten durf­te und in wel­cher Sprache gele­sen wur­de. Schlussendlich ent­schied Bloomsbury, wer und was gele­sen wird und was nicht. Neben Bloomsbury konn­te man frü­her auch Elite-Universitäten wie Oxford und Cambridge set­zen. Wenn schot­ti­sche Schriftsteller vor 20 Jahren einen Kampf führ­ten, dann gegen die­se Monopole und nicht gegen England oder gar die Engländer. Die Bewegung, die kei­ne war, zeig­te, was man mit der „Sprache der Sprachlosen“ machen kann und gab den angeb­lich Sprachlosen ihre Sprache zurück.

Wie übt Bloomsbury die­se Macht aus?
Du, ich kann nicht sagen, ob das bewusst gesteu­ert wur­de, dass unse­re Literatur nicht publi­ziert wur­de. Das wäre eine Unterstellung. Mittlerweile haben sie aber auch gemerkt, dass das, was in Schottland gemacht wird, alle­mal so inter­es­sant ist wie das, was aus London raus­kommt. London ver­legt auch längst die Schotten. Da ist schon etwas im Wandel. Trotzdem kann man nach wie vor kri­ti­sie­ren. Die gros­sen Verlage ent­schei­den näm­lich, was man liest, indem sie sagen: Kurzgeschichten nein, Poesie auch nicht, aber Romane ja. Die Leser sehen das viel­leicht anders, aber der Markt ist inzwi­schen König.

Ist denn dei­ne Art zu schrei­ben nicht auch eli­tär, indem du für ein eigent­lich klei­nes Publikum schreibst?
Nein, das sehe ich nicht so. Denn seit über 20 Jahren gehen wir bewusst raus aus den Universitäten etc. Die Schriftsteller gehen da hin, wo ganz nor­ma­le Leute sind.

Und wie funk­tio­niert das in der Schweiz?
Sagen wir mal so: Die erste Lesung, die ich in Zürich besucht habe, war ein Schock für mich. Man bezahl­te 15 Franken Eintritt und es war tod­ernst. Mir ist auch auf­ge­fal­len, wie grau- bzw. weiss­haa­rig das Publikum war. Die Veranstaltung war teu­er. Für das Geld hät­te ich, ich hab noch einen Freund ein­ge­la­den, mir doch das gebun­de­ne Buch kau­fen kön­nen, oder?

In Schottland geht das anders?
Oh ja! Da sind vor allem alle Generationen ver­tre­ten. Da wird auch gelacht. Diskutiert. Da ist ein Prozess im Gang wäh­rend einer Lesung. Die Leute kom­men vor allem ins Gespräch. Anschliessend wird in der Kneipe wei­ter dis­ku­tiert. Der Veranstalter sagt auch an, wo.

Da kom­men mir die Tränen vor Eifersucht. Da ist Literatur so, dass sie zugäng­lich gemacht wer­den kann.
Ich muss aber ehr­lich sagen, hier in Bern hab ich das auch ansatz­wei­se gese­hen. Letztens hab ich z.B. in einem Atelier neben dem Rosengarten gele­sen, da war auch die Fussball-EM-Übertragung. Da war das auch so. Die Leute kamen um gemein­sam Fussball zu kucken – die Schweiz gegen Frankreich war’s. Man wuss­te: da wird noch gele­sen und so kamen auch Leute extra dahin. Sie haben sich das ange­hört – Fussballerisches von Beat Sterchi und mir. Wir haben Fussball geschaut, gere­det und dis­ku­tiert. Geld? Es gab eine Kollekte, und die Leute gaben, was sie konn­ten oder woll­ten. Das war schon schön. Locker. So soll­te Literatur sein. Öffentlich. Zugänglich. Erschwinglich.

Hat die Literatur-Bewegung auch die schot­ti­sche Politik und die schot­ti­sche Seele in Bezug auf ein eige­nes Parlament und mehr Unabhängigkeit gegen­über London gestärkt?
Ja, auf jeden Fall. Das hat sich nahe­zu par­al­lel ent­wickelt. Noch 1979 hat­te es eine Umfrage gege­ben, da sind aber vie­le Schotten nicht zur Urne gegan­gen. Meine älte­ren Kollegen beklag­ten sich damals auch viel dar­über, dass London sie gar nicht hören woll­te. Als Bürger und Schriftsteller hat­ten sie nichts zu mel­den gehabt. Da ihre Stimmen in der Politik nicht gehört wur­den, began­nen sie in den 80er Jahren die­se Stimmen zu Papier zu brin­gen. Auch ande­re KünstlerInnen haben in die­ser Zeit auf die Kultur gesetzt. Filme, Bücher, Gedichte und Geschichten sind ent­stan­den. Auch viel Musik. Die Autoren sind unter die Leute gegan­gen, sind raus aus den Institutionen, auch raus aus der Innenstadt damit. Das war span­nend. Man hat sich mit der eige­nen Kultur wie­der und ganz anders iden­ti­fi­ziert. Kulturell gese­hen – wenn nicht in poli­ti­scher Hinsicht – war man unab­hän­gig. Eine zwei­te Umfrage – 1997 – ist dann auch ganz anders aus­ge­gan­gen…

Seit 1999 gibt es nun ja ein schot­ti­sches Parlament.
Genau. Und bei der Abstimmung wur­de auch gefragt, ob die Bürger bereit wären, mehr Steuern für Schottland zu bezah­len. Das Resultat der bei­den Abstimmungsfragen war ganz klar: Ja, wir wol­len ein schot­ti­sches Parlament und ja, wir wer­den dafür mehr bezah­len.

Oh, das heisst was… Die Schotten gel­ten doch all­ge­mein als gei­zig.
Ja, das war ein kla­res Signal an London. Wir sind bereit drei Prozent mehr Steuern zu bezah­len um die eige­ne Politik auch umset­zen zu kön­nen. In punk­to Bildungssystem, zum Beispiel. Oder Gesundheitsdienst. Das zeigt auch, dass es in Schottland noch eine lin­ke Politik gibt, die sich von der angeb­lich lin­ken Politik der Labour-Partei in England unter­schei­det.

Trotzdem kennt man schot­ti­sche Autoren, abge­se­hen von Irvine Welsh und nun Donal McLaughlin, nicht.
Du über­treibst, was mei­ne Person angeht! Problematisch ist im Ausland viel­leicht, dass man wenn man schon von Engländern und von England spricht alles in einen Topf wirft und Grossbritannien meint. Grossbritannien ist aber nicht England. Grossbritannien ist Wales, Schottland und England zusam­men. Beim Vereinigten Königreich kommt Nordirland, wo ich gebo­ren bin, dazu. Ich habe aber auch hier in Bern in der Buchhandlung Stauffacher zum Beispiel gese­hen, dass es unzäh­li­ge Schotten zu lesen gibt. Man erkennt sie bloss nicht als schot­tisch, son­dern als bri­tisch, bzw. eng­lisch. Die Bücher sind auch ins deut­sche über­setzt. Unter den Neuerscheinungen fin­dest du momen­tan James Kelman und A L Kennedy zum Beispiel. Im Tessin hab ich sie sogar auf Italienisch gese­hen. Fast alle Bücher von Bernard Mac Laverty waren vor­han­den. Also du siehst, die Schotten sind da. Dazu kommt, dass ich in der NZZ und im Bund auch Buchbesprechungen hab lesen kön­nen. Und nicht zu ver­ges­sen: wer Ensuite in den letz­ten sechs Monaten gele­sen hat, der kennt auch schon eini­ge Schotten.

Schottland wie auch ande­re Länder sind ja aber schon ein klas­si­sches Beispiel wie ver­sucht wird die regio­na­le Muttersprache zu unter­bin­den?
Ja, das ist wohl über­all so. Bzw. war. In der Schule, zum Beispiel. Ältere Kollegen erzäh­len das – und ich hab das zum Teil noch sel­ber erlebt: Vorne stand der Lehrer, der alles zu wis­sen mein­te und da sas­sen die Kinder oder Studenten die eigent­lich Lust hat­ten, etwas zu ler­nen – aber bloss nicht selb­stän­dig und kri­tisch wer­den soll­ten. Des Lehrers wirk­li­che Begabung war lei­der oft, einem die Literatur zu ver­der­ben. In Schottland wur­de z.T. im Englisch-Unterricht ter­ro­ri­siert. Man wur­de frü­her offen­bar geprü­gelt wenn man Scots sprach. Die Prügelstrafe galt bis in die acht­zi­ger Jahre. Lehrer hat­ten die Macht, das Wissen und woll­ten das oft für sich behal­ten. Da konn­te man weni­ger Freude an der Literatur ent­decken, es sei denn, man hat­te das gros­se Glück einen guten Lehrer zu erwi­schen…

Trotzdem hast du dok­to­riert…
…ach, das ist gar nicht wich­tig. Wichtiger war: anders zu unter­rich­ten, auch Literatur anders zu unter­rich­ten. Anders auf die StudentInnen ein­zu­ge­hen. Ich bin aber vor 2 Jahren aus­ge­stie­gen. Durch Lesungen, Festivals usw. habe ich nun ande­re – bes­se­re – Chancen, Literatur zu ver­mit­teln, mich dafür ein­zu­set­zen.

Ist wahr. Was ich in den letz­ten sechs Monaten durch dich erfah­ren und gelernt habe, über­trifft bei wei­tem auch was mir mei­ne Lehrer auf den Weg geben konn­ten. Danke Donal.
Du über­treibst wie­der! Aber bit­te… Literatur ist halt leben­dig. Darauf kommt es mir an.

Es beein­druckt mich zu sehen, wie einer­seits der Druck Richtung Globalisierung von allen Seiten vor­wärts gepeitscht wird und die Literatur regio­na­ler eben auch sprach­lich sich eta­bliert. Ist das ein Gegenstrom der Sprachlosen?
Hmm, da muss man vor­sich­tig sein. Ich ver­ste­he was du meinst, du hast auch Recht, aber es kommt noch dazu, dass das, was in Schottland pas­siert, kei­nes­wegs pro­vin­zi­ell ist, son­dern durch­aus inter­na­tio­na­le Modelle hat. Klar, was Kelman in den 80ern gemacht hat, das war schon gegen Bloomsbury, gegen das Etablissement gerich­tet. Sein Modell war aber z.T. die Literatur der Karibik. Auch Goethes Werther ist für Kelman sehr wich­tig. Für mich per­sön­lich sind deutsch­spra­chi­ge Autoren der Nachkriegszeit – Andersch, Böll, Grass, auch Frisch und Dürrenmatt – von gros­ser Bedeutung. Sich regio­nal ein­zu­bun­kern, das ist sicher nicht das Ziel, und wir sind alles ande­re als pro­vin­zi­ell. Es fin­det doch ein gros­ser und viel­fäl­ti­ger Austausch der Sprachen und Kulturen statt. Du siehst: wir sind kei­ne Heimatdichter im eng­sten Sinne.

Und die­se Literatur-Bewegung ist auch nicht auf dem Weg in die Isolation?
Bloss nicht, dadurch wür­den wir alle nur noch schwä­cher wer­den und wären so den Tendenzen von denen du sprichst, eher aus­ge­setzt. So hät­te man noch weni­ger Chancen. Nein, das Regionale muss man, wie ich das sehe, mit dem Internationalen ver­bin­den. Aussenluft muss man schnap­pen. Sprachlich und kul­tu­rell gese­hen ist die Schweiz da bei­spiel­haft. Dieses Nebeneinander von Rätoromanisch, Italienisch, Französisch und Deutsch lie­be ich. Dieses „Sowohl-als-auch“ anstatt von „Entweder-Oder“. Dialekt ist auch längst radio­fä­hig, tages­schau­fä­hig, uni­fä­hig. In Schottland hin­ge­gen wur­de man vor nicht all­zu lan­ger Zeit dafür geprü­gelt. Diesen Stellenwert gibt es bei uns noch immer nicht – aber man tut wie­der was dafür.

Ja gut, das hat ja auch einen geschicht­li­chen Hintergrund, die Schweiz wur­de nie annek­tiert. Trotzdem wird aber unser kul­tu­rel­les Gut immer enger und klei­ner.
Woran liegt das, meinst du?

Einer der Gründe ist viel­leicht, dass Politiker Kultur für ihre Programme ein­ver­lei­ben. Allen vor­an Christoph Blocher, der es schafft schwei­ze­ri­sche Urkultur mit dem Gütesiegel sei­ner Person oder sei­ner Partei zu beset­zen. Das schreckt vie­le Leute ab, sich mit tra­di­tio­nel­ler Kultur und den Werten aus­ein­an­der zu set­zen. Man gilt dann schnell, vor allem bei jun­gen Menschen, als Patriot, was immer das dann wie­der heisst.
Das fän­de ich sehr scha­de – und pro­ble­ma­tisch. Während mei­nes Aufenthaltes hab ich mir z.B. die gros­se Hodler-Ausstellung in Zürich ange­schaut, ich bin auf dem Weg der Schweiz gewan­dert und ich gehe noch mor­gen auf das Rütli zu der Tell-Inszenierung. Für mich ist das jeweils eine Bereicherung. Eine Begegnung mit der Schweiz. Ich wuss­te gar nicht, dass die­se von Blocher gespon­sert wer­den.

Bravo, Donal. Das ist ja eigent­lich ein Beweis hier­für, dass Kunst und Kultur eben unbe­la­stet ent­deckt wer­den und auch genos­sen wer­den kann. Kultur gehört ja dem Menschen und nicht der Politik.
Ja, es kommt auf dich sel­ber an, was du mit Kultur machst. Der Trick ist der, dass du sie für dich über­haupt ent­deckst, nicht? Und dabei kri­tisch und offen für ande­res bleibst. Aber das ist bei uns genau das­sel­be. Der Kilt, also der Schottenrock, die Volkslieder, Dudelsack, die iri­schen Lieder und so wei­ter das war in mei­ner Jugend auch ver­pönt. Galt alles als lächer­lich. Ich war genau so vor­be­la­stet. Ich muss­te Irland neu ent­decken und Schottland für mich ent­decken. Perlen gibt’s näm­lich, auch wenn – kla­ro – es auch Schwächeres gibt. Inzwischen habe ich ein ganz ande­res Verhältnis zu mei­nen kul­tu­rel­len Wurzeln. Das ist ein Teil mei­nes Lebens. In dem Sinne kann man sagen: ein Blocher blockiert nur, wenn man das zulässt.

„Blocher blockiert“ ist wun­der­bar! Vielleicht hast du damit eini­gen Lesern Mut gege­ben, sich ihre Kultur und ihre Heimat Zurückzugewinnen. Donal, an die­ser Stelle möch­te ich mich auch ganz per­sön­lich für wun­der­vol­le sechs Monate bedan­ken. Ich glau­be, du hast Bern und den Lesern dei­ner Beiträge ein Fenster nach Schottland und neu­er Ideen geöff­net. Bis bald, Donal, wir freu­en uns…

Bild: Martin Zelmenis, Riga
ensuite, September 2004