Auf der aku­sti­schen Seite der Elektronik

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Von Luca D’Alessandro – [re:jazz] – Was in der Darstellung eines Programmiercodes daher­kommt, hat in Wahrheit viel mit Akustik zu tun. Hinter dem Begriff ver­birgt sich ein Musikprojekt aus dem Hause Infracom, einem 1992 gegrün­de­ten Frankfurter Independent Label. «[re:jazz] wur­de 2002 zum zehn­jäh­ri­gen Jubiläum des Labels gegrün­det», sagt Projektleiter und Produzent Matthias Vogt gegen­über ensuite-kul­tur­ma­ga­zin. Das Konzept: elek­tro­ni­sche Originale in eine aku­sti­sche Jazzform brin­gen. Und wie es scheint, ist die Formation äus­serst erfolg­reich unter­wegs. «Trotzdem war es an der Zeit, ein neu­es Experiment zu wagen», ergänzt Vogt.

Mit dem kürz­lich erschie­ne­nen Album «Electrified» prä­sen­tiert [re:jazz] das eige­ne Repertoire dance­f­lo­or-lasti­ger und klubi­ger. Mop Mop, Atjazz, Metropolitan Jazz Affair und wei­te­re Produzenten aus der inter­na­tio­na­len Elektroszene haben eine Auswahl aus dem [re:jazz] Fundus über­ar­bei­tet, oder wie Vogt sagt: «Den [re:jazz] Versionen wur­de neu­es elek­tro­ni­sches Leben ein­ge­haucht.»

Matthias Vogt, das Markenzeichen von [re:jazz] ist die Akustifizierung von elek­tro­ni­schen Elementen.

Genau.

Und jetzt beschrei­tet Ihr den Weg zurück zur Elektronik. Dreht Ihr Euch im Kreis?

Die Akustifizierung von elek­tro­ni­schen Originalen ist und bleibt das Konzept von [re:jazz]. Dass sich in den ver­gan­ge­nen Jahren Remixer aus aller Welt unse­ren aku­sti­schen Variationen ange­nom­men haben, und wir am Ende damit ein gan­zes Album fül­len konn­ten, ist ein zusätz­li­ches Schmankerl, hat aber kei-nen Konzeptcharakter oder Hintergedanken.

Ihr fun­giert sozu­sa­gen als Medium: Am Anfang steht ein bekann­tes Elektronikstück, das Ihr einer aku­sti­schen Überarbeitung unter­zieht, bevor Remix-DJs das Ganze in die Elektronik zurück­be­för­dern.

Ja, das kann man so sagen. Ich genies­se die­se Drehscheibenposition. Es macht mir Spass, die Remixe zu hören, und sie dann mit den Originalen zu ver­glei­chen, die ich im Voraus neu gestal­tet habe.

Der Logik zufol­ge müss­te nun [re:jazz] aus den neu­en Remixen erneut aku­sti­sche Versionen machen.

Ja, das müss­ten wir (lacht).

Wird das gesche­hen?

Nein, wir haben etwas ganz ande­res vor: Wir neh­men das Album «Electrified» zum Anlass, sel­ber ein­mal mit Elektronik auf die Bühne zu gehen. Für die bevor­ste­hen­de Tour wer­fen wir unser aku­sti­sches Jazz-Dogma über Bord und spie­len im wahr­sten Sinne des Wortes «elec­tri­fi­ed». Dafür bege­ben wir uns – übri­gens zum ersten Mal – in ein klubi­ge­res Ambiente. Das war auch Zeit. In den ver­gan­ge­nen Jahren hat­ten wir wie­der­holt Anfragen von Klubbesitzern. Leider muss­ten wir deren Angebote aus­schla­gen, da die Lokalitäten meist nicht für Akustikbands ein­ge­rich­tet sind. Ich ken­ne kaum einen Klub, der über einen Flügel ver­fügt. Mit «Electrified» sind wir so abge­speckt, dass wir uns auch in klei­ne­re Klubs wagen kön­nen.

Ihr braucht also kei­nen Flügel mehr.

Das Instrumentarium haben wir ange­passt. Ich per­sön­lich benut­ze von nun an ein Keyboard, die Sängerin loopt sich selbst auf der Bühne, und der Saxophonist hat meh­re­re «Tretminen» vor sich, mit denen er gan­ze Effektsessions gene­riert.

Das neue Album setzt sich fast nur aus Featurings von renom­mier­ten Produzenten wie Atjazz, Mop Mop oder den Metropolitan Jazz Affair zusam­men. Diese wer­den Euch wohl kaum alle auf der Tournee beglei­ten kön­nen.

In der Tat: Wir sind als «klas­si­sche» [re:jazz] Formation unter­wegs. Das bedeu­tet aber auch, dass wir auf der Bühne das Album nicht eins zu eins umset­zen kön­nen. Dem Original wür­den wir nie­mals gerecht. Wir haben uns von den Remix-Versionen inspi­rie­ren las­sen und dar­aus eige­ne Versionen erar­bei­tet. Einige Stücke machen wir nicht live, so zum Beispiel den Titel «Donaueschingen». Keiner von uns wäre in der Lage, die dar­in ent­hal­te­ne Rap-Passage zu inter­pre­tie­ren. Auch den Remix von Shur-I-Kann ist der­mas­sen elek­tro­nisch, dass er mit unse­rem mobi­len Inventar kaum umge­setzt wer­den könn­te. Andere Sachen wie­der­um gelin­gen sehr gut …

… auch spon­tan?

Ja, Interpretationen haben einen hohen Stellenwert. Wir öff­nen uns und las­sen uns von der Stimmung tra­gen. Klassisch-aku­sti­schen Jazz ver­men­gen wir mit elek­tro­ni­schen Einspielungen. Und das Ganze ohne ein bis ins letz­te Detail geplan­tes Drehbuch. Ich bin der Meinung, im Jahr 2010 darf man sich das zutrau­en.

Apropos Jahreszahlen: 2002 hast Du [re:jazz] im Zuge des zehn­jäh­ri­gen Jubiläums des Labels Infracom gegrün­det. War das Projekt damals als Gegenbewegung auf die star­ke Elektrifizierung der Musik wäh­rend der 90er zu ver­ste­hen?

Ja und nein.

Das heisst?

Ich möch­te nicht von Gegenbewegung spre­chen. Vermutlich sehen das exter­ne Beobachter so. Das fin­de ich auch legi­tim. Ich jedoch habe schon wäh­rend der Neunziger in zwei ver­schie­de­nen Welten gelebt: zum Einen war ich als DJ in der Elektronik unter­wegs, zum Andern wirk­te ich in zahl­rei­chen Jazzformationen mit. Diese bei­den Welten waren strikt getrennt. Ich hat­te kein musi­ka­li­sches Projekt bis auf ein paar weni­ge geschei­ter­te Versuche, Drum & Bass live umzu­set­zen. [re:jazz] hat mir erst­mals die Augen geöff­net und die Verbindung die­ser bei­den Welten geschafft.

Wie sehen das Deine Bandmitglieder?

Ich ver­mu­te, sie muss­ten nicht den­sel­ben Prozess durch­ma­chen wie ich. Keiner von ihnen hat jemals als DJ oder elek­tro­ni­scher Produzent gear­bei­tet. Im Prinzip haben sie in [re:jazz] ihre klas­si­schen Musikerrollen behal­ten. Diese Rollen gin­gen in der Universalität des Konzeptes auf.

Stichwort Universalität: Die letz­ten Publikationen «Live In Yokohama» und «Nipponized» haben – wie der Name sug­ge­riert – einen stark fern­öst­li­chen Touch. Eine deut­sche Formation, die die Grenzen über­schrei­tet, nach Japan reist, dann zurück­kommt und eine Elektrifizierung erlebt … Wo seid Ihr eigent­lich zuhau­se?

Wir haben [re:jazz] als Phänomen ent­deckt. Angefangen als Auftragsarbeit hat sich das Projekt immer wei­ter­ent­wickelt und Eigenständigkeit erlangt. Wir haben kei­nen spe­zi­fi­schen Leitfaden gelegt, den wir ver­fol­gen woll­ten. Wir lies­sen uns in den ver­gan­ge­nen acht Jahren trei­ben und immer wie­der für neue Sachen inspi­rie­ren. Unter ande­rem auch auf unse­rer Tournee durch Japan. Das Schöne an [re:jazz] ist, dass uns die Ideen immer vor­aus­lau­fen und wir dann reagie­ren. Das hat einen spie­le­ri­schen Charakter, den wir uns bis heu­te bewahrt haben.

«Star Chasers», das erste Lied auf Eurem neu­en Album, unter­schei­det sich mass­geb­lich von den Übrigen. Stilmässig ist es eine Pop-Ballade. Wolltet Ihr ein Radio-taug­li­ches Stück haben?

«Star Chasers» hat eine ande­re Geschichte. Es han­delt sich um ein Stück, das wir sel­ber pro­du­ziert haben. Es ist also das ein­zi­ge Lied auf dem Album, das kein Remix ist. Entstanden ist es im Auftrag der bri­ti­schen Formation «4Hero», die für ihr Album «Extensions» ein Stück von uns haben woll­te. Unser Produzent im Studio mein­te dar­auf­hin, «Star Chasers» müs­se auch auf unse­rem aktu­el­len Album ver­tre­ten sein. Auch wenn es stil­mäs­sig von den übri­gen Liedern abweicht.

Wenn der erste Titel abweicht, ist das – aus ver­kaufs­tech­ni­scher Sicht – nicht unbe­dingt ein Vorteil.

So wür­de ich das nicht sehen. «Star Chasers» gehört defi­ni­tiv zur Identität und Geschichte der Band. Uns war bewusst, dass der Titel das Konzept des Albums spren­gen wür­de. Trotzdem haben wir uns ent­schie­den, ihn auf die aktu­el­le Platte zu set­zen.

Auf den ver­gan­ge­nen Studioalben wirk­ten nam­haf­te Gäste wie Till Brönner, Erik Truffaz, Joy Denelane, Nathan Haines und Ultra Naté mit. Wenn sie heu­te da wären, was wür­den sie über [re:jazz] sagen?

Gute Frage. Meistens bekommt man ent­we­der gutes Feedback oder kei­nes. Daher kann ich nur posi­ti­ve Geschichten erzäh­len. Gerade was die Artisten betrifft, die «ge-rejaz­zed» wur­den, gibt es ein paar hüb­sche Anekdoten. Ich wur­de ein­mal vom bri­ti­schen Jungle- und Drum & Bass-Meister Clifford Price ali­as Goldie ange­ru­fen. Von sei­nem bekann­te­sten Stück «Inner City Life» haben wir in unse­ren frü­hen Jahren eine [re:jazz]-Version erstellt. Goldie war voll des Lobes für unse­re Neuinterpretation: Besonders gefiel ihm die Performance der Gastsängerin Jennifer Anderson, die zu sei­nen abso­lu­ten Lieblingssängerinnen gehört. Das wuss­te ich gar nicht. Umso mehr war ich über die­ses Feedback stolz. Goldie ist ein beson­de­rer Typ. Er hat bereits als James Bond-Bösewicht gewirkt. Das Gespräch war eines mei­ner per­sön­li­chen Highlights. Am Ende schlug er mir vor, mei­ne Version von «Inner City Life» in sei­nem auto­bio­gra­phi­schen Kinofilm ein­zu­flech­ten.

Was ist aus die­sem Vorschlag gewor­den?

Ich habe lei­der nichts mehr von ihm gehört (lacht).

Wann hören wir von [re:jazz] hier in der
Schweiz?

Natürlich über das neue Album …

… und live?

Seit dem ersten Album hof­fe ich, dass wir ein­mal in der Schweiz spie­len kön­nen. Bislang hat es sich nicht erge­ben. Ich weiss, unse­re Musik wird in der Schweiz ger­ne gehört. In unse­rem Gästebuch habe ich diver­se Male Wünsche von Hörerinnen und Hörer gele­sen, doch ein­mal in der Schweiz zu spie­len.

Wir vom ensuite-kul­tur­ma­ga­zin set­zen uns für die Kulturförderung ein und geben dir daher die Möglichkeit, eine Botschaft an poten­zi­el­le Veranstalter abzu­set­zen.

(lacht) Super, dann will ich die Plattform doch ger­ne nut­zen (Handy klin­gelt im Hintergrund). Und aus­ge­rech­net jetzt klin­gelt mein Handy. Moment, ich wimm­le kurz ab …

… die Werbezeit läuft …

…Entschuldigung, da bin ich wie­der.

Dein Slogan…

Wir sind Stars, holt uns in die Schweiz! (lacht).


[re:jazz] – Diskografie
2002 – Infracom! Presents re:jazz (CD/LP)

2003 – (re:mix) (CD/3×LP)

2004 – Point of View (CD/2×LP)

2006 – Expansion (CD/2×LP)

2008 – Nipponized (CD)

2010 – Electrified (CD)

2012 – Kaleidoscope (CD)

 

Foto: zVg.
ensuite, April 2010

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