Atemberaubender Feminismus

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By Tabea Buri

Sie wackelt mit den Hüften, drückt abwechs­lungs­wei­se das rech­te oder lin­ke Auge zu und singt dabei «Chuchichästli» – «Tonhöhe Stufe 7, Rauchigkeit Stufe 5, Sexyness Stufe 10». Das ist Shilpa. Shilpa ist eine «Singer-Application» für Smartphones, die Texte und Melodien nach Wunsch anpas­sen kann. Entstanden aus Einsen und Nullen prä­sen­tiert sich die App als schö­ne indi­sche Frau im Sari ihren Usern, den Zuschauerinnen und Zuschauern. Mit über­trie­be­nem Lächeln und Blinzeln stellt sie sich als Demoversion dem Publikum zur Verfügung und reagiert mit atem­be­rau­ben­der Präzision auf des­sen Befehle, bis ihre Stimme genau nach Wunsch ein­ge­stellt ist. Dieser Auftritt der bril­lan­ten Performerin und Sängerin MD Palavi allein wäre bereits ein Auftritt wert. Es kommt aber noch viel bes­ser.

Latenter Druck

Hinter der user­freund­li­chen Shilpa steckt die Geschichte einer jun­gen indi­schen Sängerin, die der App ihre Stimme leiht. Unterwürfig ihrem Chef und ihrem Vater erge­ben, per­fek­tio­niert sie die sexu­el­le Attraktivität ihrer Stimme und lässt sich dazu zwin­gen, schlüpf­ri­ge Lieder in lächer­lich kind­li­cher Art zu inter­pre­tie­ren. Gleichzeitig ist sie auch Schauspielerin und muss das Opfer einer Vergewaltigungsszene auf dem glän­zend weis­sen Marmorboden des Vatikanmuseums spie­len – ohne an Anmut oder Erotik zu ver­lie­ren. Zusätzlich ist sie als Tochter unauf­hör­lich den drän­gen­den Fragen ihrer Familie aus­ge­setzt: Wieso arbei­test Du nur mit Männern? Hast Du Sex? Wann hei­ra­test Du?

Die Performerin der One-Woman-Show wech­selt lau­fend ihre Rollen, um alle Facetten im Leben der jun­gen indi­schen Frau auf­zu­zei­gen. Diese fin­det sich schluss­end­lich in all ihren Funktionen von laten­tem Sexismus ein­ge­engt; der Druck kommt von allen Seiten.

«Sexyness rejec­ted»

Am Drehpunkt der Geschichte zer­schlägt die Protagonistin vol­ler Wut das elek­tro­ni­sche Gerät, aus dem das pene­trant fra­gen­de Voice-Over ertönt. Von die­sem Befreiungsschlag an hat Shilpa, das App, einen Bug. Die Stimme nimmt die Befehle nicht mehr ein­fach hin: «Sexyness 10 sel­ce­ted. And rejec­ted.» Eine solch humor­vol­le und doch bit­ter­ern­ste Auseinandersetzung mit femi­ni­sti­schem Widerstand ist beson­ders in Zeiten von zuneh­men­dem Anti-Feminismus jun­ger Frauen wohl­tu­end.

Hoffnungsvoll ent­las­sen

Ohne dass der Abend je mora­li­sie­rend oder lang­wei­lig wür­de, ver­bin­det die Regisseurin Sophia Stepf gros­se Themen unse­rer Zeit, so wie die tech­ni­sche Innovationen, Rassismus, Frauenrechte. Sie treibt dabei die Zuschauer und Zuschauerinnen von einer Emotion zur näch­sten: Verschämtheit ob den tref­fen­den Analysen über das Publikum, ver­gnüg­tes Lachen über die vie­len komi­schen Szenen, Betroffenheit dar­über, wie die Protagonistin unter­drückt wird und immer wie­der zur Bewunderung für die atem­be­rau­ben­de Stimmgewalt und Bühnenpräsenz der Künstlerin MD Palavis. Es ist ein inten­si­ver Abend, der einen hoff­nungs­voll ent­lässt: So lan­ge solch bril­lan­te Kunst ent­steht, kann der Kampf gegen das Unrechte nicht ver­lo­ren sein.

: http://www.kulturkritik.ch/2014/theaterspektakel-flinntheater-shilpa-the-indian-singer-app/

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