Ästhetik der Reduktion

Von

|

Drucken Drucken

Ein beson­de­rer Grafik-Stil gehört – neben Schokolade, Uhren und Nummernkonten – zwei­fel­los zu den leicht wie­der­erkenn­ba­ren Identifikationsmerkmalen der Schweiz. Allerdings lässt sich die Auswahl an Plakaten, Videos, Fotografien, Flyern und Büchern, die für die Ausstellung «100 Jahre Schweizer Grafik» im Museum für Gestaltung getrof­fen wur­de, nicht oder jeden­falls nicht nur unter jenem «Swiss Style» sub­su­mie­ren, der in der 50er und 60er Jahren zum ste­hen­den Begriff wur­de. Dennoch gibt es da etwas intui­tiv Zugängliches, das fast sämt­li­che Exponate ver­eint. Doch es han­delt sich weni­ger um Gemeinsamkeiten des Stils, son­dern eher, wenn man so sagen darf, um Spuren einer Haltung; es sind nicht in erster Linie for­ma­le oder tech­ni­sche Richtlinien, die die Schweizer Grafik aus­ma­chen, son­dern eher cha­rak­te­ri­sti­sche Tugenden wie Zurückhaltung, Präzision, Schlichtheit und Eleganz.

Ästhetik der Reduktion

Man könn­te Bücher schrei­ben über die Einflüsse des avant­gar­di­sti­schen 20. Jahrhunderts auf die Schweizer Grafik, aber wenn man den Bogen etwas wei­ter spannt, erweist sich eher die for­ma­le Schlichtheit und Nüchternheit als prä­gend, die in der Schweiz seit jeher fest ver­an­kert ist – oder zumin­dest seit Zwingli und Calvin. Dies ist auch die Ansicht des alt­ver­dien­ten, inzwi­schen über 90jährigen Schweizer Kunstveteranen Gottfried Honegger, der in einem der gelun­ge­nen Filmportraits zu Wort kommt, die gewis­ser­ma­ßen als Reflexionsebene in die Ausstellung ein­ge­fügt wur­den. Er sagt es nicht ganz in die­ser Deutlichkeit, aber tat­säch­lich weist er auf nicht weni­ger hin als auf die Verknüpfung von Mentalität und Form. Die Geburt der Präzision aus dem Geist der Entsagung.

Es über­rascht daher nicht, dass Schweizer Grafik oft­mals gleich­be­deu­tend mit Schweizer Typografie ist, die neue Maßstäbe in spar­sa­mer und schnör­kel­lo­ser Schriftgestaltung setz­te. Nicht nur die inzwi­schen welt­be­kann­te, 1956 von dem Typografen Max Miedinger ent­wickel­te Helvetica führt ein­drucks­voll vor Augen, dass weni­ger oft mehr ist, solan­ge ein­deu­ti­ge Akzente und ein kla­rer Wille zum ästhe­ti­schen Gesamteindruck gewahrt blei­ben. Gleiches gilt etwa auch für das legen­dä­re Plakat zur «Negerkunst»-Ausstellung des nicht min­der legen­dä­ren Grafikers Max Bill aus den 30er Jahren. Ein gro­ßes O nimmt fast den gesam­ten Raum ein, das sich jedoch eben­so als Anlehnung an die pri­mi­ti­ve Kunst oder gar die kon­kre­te Poesie deu­ten lässt – wenn nicht gar als stark redu­zier­te Darstellung eines stau­nend geöff­ne­ten Mundes.

Dezidiert histo­risch

Freilich ist zu beden­ken, dass es sich um eine dezi­diert histo­ri­sche Ausstellung han­delt: Die Kuratorinnen stan­den somit vor der Aufgabe, aus einem rie­si­gen Materialberg eine reprä­sen­ta­ti­ve Auswahl zu tref­fen und den­noch eine Art roten Faden erkenn­bar zu machen, der die Exponate zusam­men­hält – in die­sem Fall den roten Fries, an dem ein­hun­dert Plakate von 1912 bis 2012 ange­bracht wur­den, um eine durch­ge­hen­de Entwicklung anhand die­ses einen Mediums zu illu­strie­ren.

Anhand von jeweils einem Thema gewid­me­ten Nischen wird ver­sucht, die zahl­lo­sen Auftrittsformen gra­fi­scher Kommunikation in Alltag, Wirtschaft und Kunst in den Blick zu rücken. Es ist wohl unver­meid­bar, dass die­se Zusammenstellung etwas eklek­tisch wirkt und die Auswahlkriterien dabei nicht immer klar sind: Es wer­den so unter­schied­li­che Schlaglichter wie das Corporate Design des Centre George Pompidou, die Wechselwirkungen von Grafik und Fotografie oder die Allgegenwart von Logos und Werbefiguren gesetzt. Ebenfalls unver­meid­bar, dass die Ausstellung unter der Hand auch zur Gratiswerbung für stil­si­che­re und stil­bil­den­de Unternehmen wie PKZ, ABM und, natür­lich, Swissair gerät.

Unweit die­ser bra­ven Aushängeschilder stößt der Besucher jedoch auch auf eher poli­tisch moti­vier­te Grafik-Verwendungen, wie sie etwa ab den 1970er Jahren im Umfeld der Roten Fabrik zum Einsatz kamen. «Züri brännt» – aber selbst der anti-bür­ger­li­che Protest und die liber­tä­re Subversionsrhetorik der Roten Fabrik kön­nen auf der rein visu­el­len Ebene kei­nes­wegs ihre swiss­ness ver­leug­nen. Ihre Eingliederung in die Traditionslinie der Schweizer Grafik wirkt unge­zwun­gen und kohä­rent; hier, aus der geschicht­li­chen Distanz des Museums, offen­bart sich auch, wie oft der krea­ti­ve Kapitalismus der Werbeagenturen und die krea­ti­ve Kapitalismuskritik der Gegenkultur im Grunde die glei­che Sprache spre­chen.

Handwerk – Kunst – Ästhetik

Natürlich hat gera­de im Bereich des Designs Walter Gropius’ Maxime Spuren hin­ter­las­sen, der Künstler sei eine Steigerung des Handwerkers. Die Ausstellung deu­tet jedoch auch die Grundspannung an, die der Ausgangspunkt jeder Gebrauchsgrafik, wenn nicht jedes Designobjekts ist. Auf der einen Seite die Beschränkung der gestal­te­ri­schen Freiheit – auf der ande­ren Seite die Befreiung vom Zwang der Moderne, einem Kunstwerk immer auch eine Selbstlegitimation, eine Aussage zur Frage «Was ist Kunst» ein­zu­schrei­ben.

Ein Kurzfilm der zeit­ge­nös­si­schen Künstlergruppe collectif_fact greift die­se Thematik impli­zit auf und ist ein­deu­tig ein gehei­mes Highlight der Ausstellung. Eine nächt­li­che Fahrt durch die Innenstadt Genfs wird der­ar­tig sti­li­siert, dass Straßen, Passanten und Architektur nur noch als schwar­ze Umrisse zu erken­nen sind; sehr gut, gera­de­zu auf­dring­lich sind jedoch die zahl­lo­sen Zeichen, Symbole und Werbeflächen zu erken­nen. Alles, was nicht bewuss­te Gestaltung und Symbolisierung ist, ver­schwin­det; die Stadt wird zum asep­ti­schen, trans­pa­ren­ten Text. Die Haltung, die hier­bei zum Ausdruck kommt, bleibt letzt­lich ambi­va­lent zwi­schen ästhe­ti­scher Faszination und abge­klär­ter, distan­zier­ter Coolness – als wür­de die gesichts­lo­se Figur des Films die­ses bun­te, aber letzt­lich gleich­för­mi­ge Treiben nur noch durch die immu­ni­sie­ren­den Gläser einer Ray-Ban-Sonnenbrille betrach­ten wol­len.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo