Von Rudolf Weiler - Was wie eine amerikanische Fernsehserie getitelt ist, zeigt Teile von Zürich als Schaufenster auf die moderne Kunst. Von Juni bis September hat insbesondere „Zürich-West“ das Privileg, Werke von modernen Künstlern im öffentlichen Raum zu zeigen. Bevor nächstes Jahr der Hafenkäse Hafenkran dann doch noch das Limmatquai ziert, hat Zürich dieses Jahr 43 interessanten Künstlerinnen und Künstlern die Chance geboten, im öffentlichen Raum ein Werk auszustellen. Etwa zehn von den ausgestellten Arbeiten sind von Schweizer Kunstschaffenden, die Europäer sind besser vertreten als der Rest der Welt. Die Löwenbräu- und Maag-Areale sind der wichtigste Umschlagplatz für Gegenwartskunst in der Schweiz: Wo früher „Migros-Kunst“ ausgestellt wurde, wo namhafte Galerien ihren Standort hatten, ist in den letzten zwei Jahren umgebaut worden. Bis zu deren Wieder-eröffnung steht die Kunst buchstäblich auf der Strasse.
Wie eine Botschaft von einem anderen Stern war vor Jahren am Löwenbrau-Haus die Leuchtschrift von Jenny Holzer zu sehen, die damals ziemlich allein und verloren in der Landschaft hing. Nun stehen aber ein Vierteljahr bekannte und unbekannte Namen mit ihren Vorzeigeobjekten mitten auf der Strasse, auf Trottoirs und Plätzen, neben Tramschienen. Es ist allseits bekannt, die „Industriebrachen“ um den Escher-Wyss-Platz boomen, es wird nach dem Prime Tower an vielen Orten Grossstädtisches hochgezogen, Büros, Lofts und Ladenstrassen entstehen. Die Markthalle und die Geschäfte in den Viaduktbögen sind ja schon über ein Jahr eröffnet, auch dies ein Zeichen für die Urbanisierung, eine neue Shopping-Kultur, ein Gegenpol zu den Shopping-Zentren und der Bahnhofstrasse ist entstanden.
Beginnen wir mit dem bekanntesten Artisten: Ai Wei Wei hatte die Idee, den Innenraum im Aussenraum zu zeigen: Zwei marmorne weisse „Lederfauteuils“, Abbilder der beliebtesten Sitzgruppe in China, die seinerzeit von Vorbildern im Westen abgekupfert worden war, also Reproduktion der Reproduktion und Verfrachtung an einen andern Ort der Welt gleich Kunst. Die Pole in Wei Weis Schaffen: Globalisierung, Gewinn und Verlust in Wirtschaft und Kultur passen gut auf den Paradeplatz, das gemütliche Sitzen zu Hause wird zum eher ungemüt- lichen öffentlich-ausgestellt-Sein. Die harten Fakts der Finanzkrise und die Un-Kunst des chinesischen „IKEA-Modells“ machen diese Ikone des chinesischen Wirtschaftsbooms zu Objekten der Verfremdung in Zürich. Auch am Paradeplatz: die Performance des jungen deutschen Künstlers Thomas Geiger, der mit einer Geldsammelaktion für sich selbst Fundraising als Kunstform versteht (I Want to Become a Millionaire), der damit am Sitz der Zuercher Banken mal schauen will, wie viel da für Kunst wohl erübrigt werden könnte.
Die junge Zürcherin Vanessa Billy fand einen Baukran und Baumaterialien, um Objekte zu kreieren, sehr sinnvoll im Umfeld reger Bautätigkeit. Ebenso „Los Carpinteros“ (Schreiner), die Bohrmaschinen-Köpfe als „Kathedralen“ bezeichnen und die am Rande des Escher Wyss-Platzes mit ihren kunstvoll gemauerten Backsteinstelen auf die frühere Industrietätigkeit da anspielen. Die Suche nach interessanten Materialien kann dann sehr weit führen: Maurizio Cattelan (It/USA) verkunstet Toilettenpapier und publiziert seit 2010 ein Heft, das Toiletpaper heisst und nichts anderes sein kann oder will. Performance-Artiges als „Publikums-Kunst“ inszenierte Hamish Fulton im Juni, als am Limmatufer zwei Menschgruppen von je 250 Performern auf sich zugingen und dann den Weg fortsetzten, nachdem sie durch die andere Gruppe hindurch gegangen waren. Andres Bosshard und San Keller (beide Zürich) haben mit Klangerlebnissen eine akustische Note in die Stadt gebracht. Bosshard hat ein halbes Dutzend Sound Walks geführt und Keller hat mit „Canti e Grida“ Marktgesänge aus dem 19. Jahrhundert wieder aufleben lassen und mit den beliebtesten Adjektiven aus dem Ausstellungskatalog der 43 Werke verfremdet.
Alex Hanimann schuf aus einem metallisch glänzenden Stoff die Statue einer Gymnasiastin, die etwa vier Meter hoch ist und denn auch in einem Gymnasium ihren definitiven Standort erhalten soll—vielleicht das überzeugendste Kunstobjekt.
Einem Wassereimer (5 Meter hoch) und einem Pumpbrunnen (nicht-monumental) werden durch zwei verschiedene Künstler mit dem elementaren Stoff und seiner universalen Bedeutung zu Symbolik verholfen. Die Natur steht im Zentrum der
Installationen von Lara Almarcegui. Sie hat die Flora auf brachliegenden Entwicklungsgebieten auf ihre mögliche Dynamisierung untersucht und dokumentiert. Zwei Kuben unterschiedlicher Art stehen am Schiffbauplatz („The Soapbox“) und Not Vitals „No Problem Sculpture“ mit einer Kantenlänge von 7,5 Metern doch ein gewaltiger Brocken. „The Soapbox“ ist die Nachbildung einer Seifenkiste aus Bronze, auf der eine Schauspielerin täglich einen Text rezitiert, die Nähe zum „Schiffbau“-Theater ist da natürlich genauso wichtig wie die Tradition der Redner am Speakers Corner am Hyde Park in London.
Die Kunstobjekte befinden sich in einem Umfeld, das geprägt ist von (Berufs-) Schulen, Partygängern, Geschäftsleuten, von Durchgangs-Verkehr und der Nähe zur Limmat. Die Veranstalter fanden zunächst, die Objekte müssten nicht permanent überwacht werden, um sie vor Vandalismus zu schützen, mindestens ein Objekt ist aber schon versprayt worden. Die Verantwortlichen hatten bei der Vorauswahl auf solides Material geachtet. Es hat nun ein Umdenken stattgefunden und einige Artefakte werden jetzt von einer privaten Bewachungsfirma betreut. Die Versicherungssummen sind natürlich sehr unterschiedlich hoch, bei Ai Wei Weis Sesseln dürfte sich diese auf deutlich über eine halbe Million belaufen, wobei die Sitzgruppe auch durch ein Spezialverfahren gegen Verunzierung geschützt ist. Die Ausstellung von Gegenwartskunst in Zürich ist ein Wagnis. Frühere, populärere Experimente, etwa mit den Plastik-Kühen, Löwen oder Blumentöpfen haben aber gezeigt, dass Objekte im öffentlichen Raum von den Passanten sehr wohl wahrgenommen werden und noch lange nachwirken.
© rw 17.7.2012
