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Animationskunst und Renaissance-Architektur

Von Sonja Gasser – Multimediale Kunst unter frei­em Himmel vor­zu­fin­den mag über­ra­schen. Besonders erstaun­lich ist es, wenn der Schauplatz eine Stadt ist, die man zuletzt mit Gegenwartskunst in Verbindung bringt. Dass in Florenz Zeitgenössisches neben dem histo­risch über­lie­fer­ten Kulturreichtum durch­aus Bestand hat, ver­sucht das Centro di Cultura Contemporanea Strozzina mit sei­ner Tätigkeit zu bewei­sen. Parallel zu den wech­seln­den Ausstellungen im Untergeschoss des Palazzo Strozzi wer­den inter­na­tio­na­le Künstler damit betraut, im Innenhof des Renaissancebaus eine Installation zu rea­li­sie­ren. Zurzeit lockt der in Zürich leben­de Künstler Yves Netzhammer mit «Inventories of Abstraction» den Besucher auf Erkundungstour.

Von der Strasse her ist die Installation nur mit einem Blick durch die geöff­ne­ten Palazzo-Tore zu erha­schen. Die wuch­ti­gen Aussenmauern und der blick­ge­schütz­te Hof ver­ra­ten, dass in der Architektur ein völ­lig ande­res Konzept fest­ge­hal­ten ist, als es die Fondazione Palazzo Strozzi ver­folgt. Statt auf ein Stück abge­schie­de­ne Privatsphäre zu bestehen, wie sie das auf­ge­stie­ge­ne Bürgertum in der Renaissance geschaf­fen hat, laden auf drei Gebäudeseiten geöff­ne­te Tore die Passanten ein, das Baudenkmal zu betre­ten. Mit einem expe­ri­men­tel­len Konzept, das histo­ri­sche und zeit­ge­nös­si­sche Ausstellungen eben­so umfasst wie ein Café und einen Bookshop, ver­sucht sich die Fondazione Palazzo Strozzi nicht nur von den eta­blier­ten Institutionen in Florenz abzu­he­ben, son­dern möch­te auch ein mög­lichst viel­schich­ti­ges Publikum anspre­chen.

Die Menschenmenge, die sich im histo­ri­schen Stadtgebiet auf­hält und bewegt, stösst im Innenhof des Palazzos auf Netzhammers im Profil aus­ge­säg­te Rehherde. Wer sich zwi­schen den schwar­zen, durch Latten ver­bun­de­nen Körperhälften bewegt, begeht die Pfade eines Labyrinths. Auf den Wegen sind son­der­ba­re Objektzusammenstellungen anzu­tref­fen, die aus eigen­ar­ti­gen Verbindungen von Tieren mit Gegenständen aus der Zivilisation her­vor­ge­hen. Nicht weni­ger skur­ril sind die Computeranimationen, die geschützt im Innern von Holzgehäusen gezeigt wer­den. Lautsprecher, die an den Säulen um den 14,5 auf 7,5 Meter gros­sen Innenhof befe­stigt sind, beschal­len die Szenerie mit bizar­ren Klängen.

Ausgangslage für das auf den Palazzo abge­stimm­te Konzept der Installation ist Netzhammers Beschäftigung mit dem geschichts­träch­ti­gen Ort. In der Renaissance wur­den die aus Naturbeobachtungen gewon­ne­nen Erkenntnisse, gegen­über dem in mit­tel­al­ter­li­chem Glauben vor­herr­schen­den ange­nom­me­nen Wissen, bedeu­tend. Das Ablösen der Religion durch die Wissenschaft führ­te von einem auf das Jenseits aus­ge­rich­te­ten zu einem auf das Diesseits bezo­ge­nen Leben. Gesellschaftlich gese­hen bewirk­te das neue Selbstbewusstsein des Individuums einen kul­tu­rel­len Aufbruch und mach­te neue Bauaufgaben, auch zur pri­va­ten Repräsentation, mög­lich. In die­sem Sinn ist der Palazzo ein zu Stein gewor­de­nes, Generationen über­dau­ern­des Zeugnis der dama­li­gen Weltanschauung. Das Bauwerk dient nun als Kulisse für eine Installation, in der es erneut um eine Auseinandersetzung der Zivilisation mit der Natur geht.

Zahlreiche Motive wie Tiere, Spiegel, Wasser, rote Kugeln, Pfeile oder Möbel, die sowohl als Objekte Bestandteil der Installation sind, als auch in den Animationen wie­der auf­ge­nom­men wer­den, bil­den den Ausgangspunkt für asso­zia­ti­ve Verbindungen. Erkundet in der rea­len Welt der Installationsbesucher die vom Künstler gestal­te­te Umgebung, ist es in der vir­tu­el­len Welt ein ani­mier­tes Figürchen, das Erfahrungen mit sei­ner Umwelt macht. Dieser geschlechts­lo­se Niemand, der stän­dig neue Rollen und Funktionen ein­nimmt, prägt Netzhammers gesam­tes Kunstschaffen. Wie in der Installation für die Biennale in Venedig 2007 und in ande­ren Werken ist der Prototyp, wie er sei­ne Figur nennt, immer wie­der sur­rea­len Transformationen und Ortsversetzungen aus­ge­lie­fert. Brüche in der Narration und das Spiel mit dem Einlösen und Nichteinlösen von Erwartungen machen deut­lich, dass die Bedingungen in den Animationen eige­nen Regeln fol­gen, die von den Gesetzmässigkeiten der Welt, wie wir sie ken­nen, abwei­chen. «Ein Spiegel hat», wie Netzhammer sagt, «nicht mehr die Funktion, dass man sich selbst dar­in erkennt, son­dern er nimmt neue Eigenschaften an».

Objekte wer­den bei­spiels­wei­se nicht mehr auf der Spiegeloberfläche fest­ge­hal­ten, son­dern vom Spiegel absor­biert. In einem sack­ar­ti­gen Auswuchs zeich­nen sich die Umrisse ver­schie­de­ner Gegenstände ab. Was einer­seits vir­tu­ell in einer Computeranimation dar­ge­stellt wird, ist ande­rer­seits als real gewor­de­nes, drei­di­men­sio­na­les Objekt in der Installation wie­der­zu­fin­den. In neu­en Kontexten erschei­nen­de Gegenstände aus der Alltagswelt erwir­ken einer­seits eine Verfremdung, sor­gen ande­rer­seits zusam­men mit den wie­der­keh­ren­den Themen Leben, Sexualität und Liebe dafür, dass der Betrachter immer wie­der auf sich selbst zurück­ge­wor­fen wird. In der Installation geht der rea­le Raum mit dem vir­tu­el­len Raum zahl­rei­che Wechselbeziehungen ein und mit­ten­drin in die­sem Gestrick von Vernetzungen befin­det sich der Besucher.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2009