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Angedachtes Kulturkonzept

Von Lukas Vogelsang – Teil 3: Was ist eigent­lich Kulturpolitik?

Die Stadt Bern hat seit über einem Jahr kein Kulturkonzept mehr. Es sei nicht nötig, alle paar Jahre eine neue Strategie zu ent­wickeln – so erklär­te sich die Abteilung für Kulturelles öffent­lich. Erst im Jahr 2016 soll ein neu­es Konzept in Kraft tre­ten. Zwar wer­den bereits exter­ne AutorInnen für die­ses neue Werk gesucht – doch ist zu erwar­ten, dass eine öffent­lich unre­flek­tier­te Solonummer von ein paar SchreibtischtäterInnen ent­steht. ensuite ver­sucht in der Zwischenzeit, das Thema in einer locke­ren Artikelserie, auf­zu­wär­men…

Aufgeschreckt von der Frage des Gesprächsmoderators am Kulturgipfeltreffen der Berner VeranstalterInnen, ob Kultur eigent­lich im öffent­li­chen Raum statt­fin­den kön­ne, habe ich mich ent­schlos­sen, bei Adam und Eva zu begin­nen. Es ist mir unver­ständ­lich, dass sieb­zig «Professionelle» aus der Kulturszene Bern bei so einer Frage nicht in Ohnmacht fal­len, oder laut­stark den Saal ver­las­sen. Für mich ist das ein Zeichen für den Zustand unse­res Kulturbewusstseins. Man hät­te auch behaup­ten kön­nen, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Ich wage des­we­gen eine ket­ze­ri­sche Erklärung von «Kulturpolitik» – bewusst etwas pro­vo­ka­tiv und ver­all­ge­mei­nert, weil die Detaildiskussion mit dem Kulturkonzept erst aus­zu­ar­bei­ten ist.

Kultur – und ich weiss, dass ich mich wie­der­ho­le – ist ein Resultat des von Menschen Erschaffenen in einer Gemeinschaft. Der Begriff Kultur an sich ist immer durch eine Gruppe defi­niert. Es ist des­we­gen eigent­lich unmög­lich, dass im öffent­li­chen Raum «kei­ne» Kultur statt­fin­det. Die aus­lö­sen­de Frage ist ent­spre­chend Nonsens. Zumindest müs­sen wir defi­ni­tiv einen Rückzug des Kulturbegriffs aus dem Kontext der «Elitären und popu­lä­ren Kultur» vor­neh­men. Das bedeu­tet, die Kultur wie­der zum Allgemeingut zurück zu defi­nie­ren und nicht iso­liert, rein den «Künsten» zur Verfügung zu stel­len. Mit den Diskussionen anhand der «Cultural Studies» wäre dies eigent­lich gege­ben – viel­leicht geht es auch noch wei­ter. Ich bin übri­gens über­zeugt, dass genau in die­ser Kulturbegrifflichkeit das Hauptproblem in Sachen Besucherschwund, Finanzierung etc. liegt.

Zentral aber ist die Frage: Was darf oder soll im öffent­li­chen Raum statt­fin­den? Welche Kultur akzep­tie­ren wir? Mit wir ist die Gemeinschaft gemeint, wel­che sich sel­ber und die­sen öffent­li­chen Raum betrach­tet und fest­stellt, dass sie es sel­ber ist. Wir sind die Akteure. Um hier ein wenig Öl ins Feuer zu gies­sen: Die «Tanz Dich frei»-Veranstaltung von die­sem Frühling ist auch ein Resultat von die­sem Gefüge, ist auch ein Teil von jedem Einzelnen die­ser Gemeinschaft «Stadt Bern». Man kann sich nie ganz aus einer Kultur sepa­rie­ren, aus­ser man ist gar nicht in der Gemeinschaft drin. Die Verantwortung ist immer ein pau­scha­ler Zustand. Eine Flucht gibt es nicht. Hier wir­ken Politik, Bildung, Wirtschaft, das sozia­le Gefüge, die dunk­len Mächte und so wei­ter… Deswegen ist es wich­tig und bei­spiels­wei­se für die Entwicklung einer Stadt unum­gäng­lich, dass die Gemeinschaft ein Kulturkonzept, eine Strategie erstellt. Dies soll der gesam­ten Bevölkerung hel­fen, den gemein­sa­men Entwicklungsweg auch gemein­sam ange­hen zu kön­nen – so wie auch alle dar­in ent­hal­te­nen Bevölkerungsteile erfasst wer­den soll­ten. Im Grunde genom­men müss­te so ein Kulturkonzept wie ein «Leitfaden der Gesellschaft» in jedem Haushalt vor­han­den sein. Das führt dann aller­dings auch mir etwas zu weit.

Kunst ist im Gegensatz zur Kultur eine Einzelleistung, oder die von ein paar weni­gen. Es ist eine Kreation mit ver­tief­ter Auseinandersetzung mit Materien. Zu den Hauptkünsten gehö­ren bei­spiels­wei­se Bildende Kunst, das Theater, Tanz, Musik, Literatur. Diese Tätigkeiten sind aber nicht geschaf­fen wor­den, nur um zu unter­hal­ten – wenn auch die­ser Teil wich­tig ist. Aber Musik, wel­che zum Tanz auf­for­dert, bringt eine Gesellschaft näher zusam­men. Das Fest ver­bin­det, eint und bin­det Menschen. In einem geein­ten Volk lässt es sich mensch­lich bes­ser ent­wickeln, als wenn wir dies allei­ne tun müs­sen. Natürlich kön­nen wir nicht jeden Samstag Volksfeste fei­ern und es ist auch grund­sätz­lich gesün­der, wenn man eine Gesellschaft wie­der in klei­ne­re Untergesellschaften unter­teilt: TheaterbesucherInnen, KinogängerInnen, Freunde der elek­tro­ni­schen Musik und so wei­ter. Kunst wird immer indi­vi­du­ell wahr­ge­nom­men und wird nur in der Gruppe zu einem kul­tu­rel­len Happening. Als Bern noch eine gemüt­li­che Stadt war, hat­ten wir für die­se Gruppierungen auch die Zünfte. Natürlich ist Kunst noch mehr. Doch die Kunstdefinition möch­te ich jetzt nicht auf drei Sätze run­ter­bre­chen – das wird zu rudi­men­tär.

Das Kulturkonzept dient der Herstellung einer gemein­schaft­li­chen Identität. Dies ist eigent­lich fast nur mög­lich, wenn sie sich poli­tisch neu­tral ver­hält und kei­ne Gruppen, Ethnien aus­zu­schlies­sen ver­sucht. Da wir poli­ti­sche Entscheidungen in demo­kra­ti­schen Prozessen unter vie­len Individuen fäl­len, steht die Kulturpolitik hier­ar­chisch über der Politik. Das zeigt die Wichtigkeit vom Kulturkonzept: Zum einen reflek­tiert Kultur die Gemeinschaft und formt dar­aus die Politik, die wie­der­um in die Kultur ein­greift. Der Effekt ist unge­fähr so, wie wenn der Spiegel dem Spiegel gegen­über­steht. Diese Metapher aber funk­tio­niert nur bei klei­nen Ungenauigkeiten und führt in eine gestei­ger­te Reproduktion, viel­leicht in eine Weiterentwicklung. Eine inter­es­san­te Erkenntnis.

Mit einem Kulturkonzept ver­su­chen wir – und das ist eine Kunstform in sich – genau die­ses Ungleichgewicht zu errei­chen. Etwas pathe­tisch: Das Konzept baut das Fundament, auf dem sich die Gesellschaft gei­stig und intel­lek­tu­ell wei­ter­ent­wickelt, die Wirtschaft sich mit Innovation und Fortschritt brü­stet, und die Bevölkerung gei­stig moti­viert das gemein­sa­me Werk erschafft. So könn­te es zumin­dest sein. Allerdings sind wir schon glück­lich, wenn wir es hin­krie­gen, dass nicht noch ein­mal ein «Tanz Dich frei» explo­diert. Ein seriö­ses Kulturkonzept defi­niert als Instrumentarium also weit mehr, als nur die Finanzierung von Kulturinstitutionen und KünstlerInnen: Bildung, sym­bo­li­sche Ordnungen, Lebensweisen, Jugendintegration, Kommunikation und Sprache, mate­ri­el­le Kultur, sozia­le Praktiken und noch so vie­les mehr gehö­ren dazu.

Was ist jetzt also Kulturpolitik? Im Grunde das Gleiche wie das Kulturkonzept: Der Dialog der Ideen von all jenen Institutionen, Prozessen, Praktiken und Inhalten, wel­che das Kulturkonzept erschaf­fen. Das Kulturkonzept ist der Spiegel der Kulturpolitik. Und wenn wir kein Kulturkonzept haben, haben wir auch kei­ne Kulturpolitik, und dar­aus kann auch kein neu­es Konzept ent­ste­hen. Voilà.

Foto: zVg.
ensuite, August 2013