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Angedachtes Kulturkonzept

Von Lukas Vogelsang – Teil 2:Die Stadt Bern hat seit über einem Jahr kein Kulturkonzept mehr. Es sei nicht nötig, alle paar Jahre eine neue Strategie zu ent­wickeln – so erklär­te sich die Abteilung öffent­lich. Erst im Jahr 2016 soll ein neu­es Konzept in Kraft tre­ten – es ist also an der Zeit, mit die­ser locke­ren Artikelserie, das Thema ein­zu­läu­ten.

KiöR ist in aller Munde. KiöR, die­se schreck­li­che Abkürzung für «Kunst im öffent­li­chen Raum» wur­de seit län­ge­rem von KünstlerInnen als gute Möglichkeit ent­deckt, Werke an die öffent­li­che Hand zu ver­kau­fen. Das klingt natür­lich bis­sig – ist aller­dings lei­der oft der Kern und erklärt, war­um KiöR-Projekte schnell zu hit­zi­gen Debatten füh­ren. Im März hat zu die­sem Thema das Forum Kultur & Ökonomie die gesam­te natio­na­le Kulturförderungsarmee ein­ge­la­den.

Kunst im öffent­li­chen Raum gibt es auch in einem Stadttheater oder in einem Kunstmuseum. Dieser öffent­li­che Raum wäre also unbe­dingt in einem Kulturkonzept zu defi­nie­ren – es geht aus dem Wort nicht her­vor, dass es sich oft­mals um «Aussenräume» han­delt. Die Stadt Bern, wie auch die Stadt Zürich, sind gene­rell bezüg­lich Wortdefinitionen in ihren Kulturkonzepten erklä­rungs­faul. Raum wird irgend­wie defi­niert – vor allem aber undeut­lich. Oder aber man ver­weist auf eine wei­te­re Publikation eines wei­te­ren Gremiums, wel­che kein Mensch mehr auf­fin­den kann. Zugänglich sind die­se Begrifflichkeiten nicht – und in den dafür vor­ge­se­he­nen Publikationen, den städ­ti­schen Kulturkonzepten, feh­len eben die­se Definitionen. So öff­nen sich «Spielräume» für inter­es­san­te Interpretationen, die rasch will­kür­lich erschei­nen und sind.

Stephan Rutishauser von der visa­r­te Bern hat im Editorial der haus­ei­ge­nen Publikation sw (02/2012) eini­ge inter­es­san­te Gedanken plat­ziert: «Im Jahr 1983 wur­de die Altstadt von Bern auf Antrag der Eidgenossenschaft in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes auf­ge­nom­men. Das war vor 29 Jahren. Kurze 29 Jahre im Vergleich zum 800-jäh­ri­gen Bestehen die­ser Stadt. Eine Stadt, die sich über Jahrhunderte ent­wickel­te, deren kon­zep­tio­nel­le Grundstruktur einer gesell­schaft­li­chen und tech­ni­schen Entwicklung über Jahrhunderte hin­weg stand­ge­hal­ten und die­se gleich­zei­tig zuge­las­sen hat. Und seit kur­zem erst ist sie als UNESCO Welterbe geli­stet, wäh­rend sich die Diskussion über Raumentwicklung nur noch um die­ses Thema dreht. Die Schaffung von neu­en Kunstwerken im öffent­li­chen Raum der histo­ri­schen Altstadt wur­de durch das Label prak­tisch lahm­ge­legt. Und man stellt sich die Frage, ob die­ser Raum über­haupt noch öffent­lich ist, oder doch eher der UNESCO gehört. Der Diskurs über Kunstinterventionen wird in den sub­ur­ba­nen Raum ver­legt, weil man dort den heik­len Fragen aus dem Weg gehen kann.»

In Zusammenhang mit der Sanierungsdiskussion des arg über­wu­cher­ten und ver­wach­se­nen Oppenheim-Brunnens auf dem Waisenhausplatz in Bern mein­te die Kultursekretärin Veronica Schaller in einem Interview der Berner Zeitung (Sandra Rutschi, 2.4.2013): «Die Zeit der Denkmäler – wie etwa der Statue von Bubenberg – ist vor­bei». Weiter erklärt Sie: «Heute aber invol­vie­ren sich die Leute viel mehr. Nicht die Stadt nimmt sich die Leute, die Leute neh­men sich die Stadt.» Oder: «Junge Leute füh­len sich von Denkmälern eher abge­stos­sen. Während älte­re Leute viel­leicht mit der neu­en Form der Kunst Mühe haben.»

KiöR als sozia­le Animation? Ist das die Idee von Kunst? Besteht ein Denkmal nur aus Kunst? Oder muss sich ein Denkmal der Gesellschaft anpas­sen? Muss sich die Kunst der Gesellschaft anpas­sen? Gerade die­se Fragen zei­gen deut­lich, dass über­haupt nichts klar ist – nicht mal die Vorsitzende der Kommission für Kunst im öffent­li­chen Raum (V. Schaller) hat eine Definition geschaf­fen.

Am Forum Kultur & Ökonomie wit­zel­te Dr. Prof. Walter Grasskamp über die beste Form von KiöR: Der Schneemann. Der ist breit akzep­tiert, kostet nichts, wird demo­kra­tisch erschaf­fen und ver­geht nach ein paar Tagen oder Wochen von selbst, kostet kei­nen Unterhalt und stellt somit alle zufrie­den.

Kunst im öffent­li­chen Raum soll­te eine künst­le­ri­sche Form sein, die mehr­heit­lich akzep­tiert ist – oder dann zumin­dest respek­tiert wird. Das ist schwie­rig, wenn eine Kunstdefinition fehlt. Doch ein Objekt steht nicht ohne Aussage im öffent­li­chen Raum. Kunst nur, um die Kunst in den öffent­li­chen Raum zu stel­len, scheint mir eine etwas gar ego­zen­tri­sche Bühne für den oder die KünstlerIn zu sein – obwohl ein Denkmal für ein oder eine epo­chal wich­ti­ge KünstlerIn durch­aus legi­tim ist. Beim Oppenheim-Brunnen haben wir zusätz­lich eine künst­le­risch ver­än­der­te Funktion: Den Brunnen. Ein Denkmal trägt eine Funktion (denk mal!) – und ist ent­spre­chend geschicht­lich mit einer Stadt, einem Ort ver­bun­den, doku­men­tiert öffent­lich Geschichte. Dies künst­le­risch umzu­set­zen, dage­gen spricht sich eigent­lich nie­mand aus. Ansonsten hät­ten wir nur noch lang­wei­li­ge Gedenktafeln irgend­wo an Mauern – und das haben wir ja schon mit den Strassenschildern gelöst.

Gar nicht nach­voll­zie­hen kann ich, was Frau Schaller mit «Nicht die Stadt nimmt sich die Leute, die Leute neh­men sich die Stadt» sagen will. Das hat über­haupt nichts mit KiöR zu tun. Und gänz­lich falsch ist in die­sem Zusammenhang die Aussage, dass die Zeit der Denkmäler vor­bei ist. Vielmehr erken­ne ich dar­in die neu­zeit­li­che und ver­ant­wor­tungs­lo­se Haltung der Gesellschaft gegen­über. Ist es nicht so, dass wir uns heu­te erst Recht über unse­re «Helden» und «geschichts­träch­ti­gen Taten» Gedanken machen soll­ten? Braucht die Gesellschaft nicht jetzt gera­de die Denkmäler, um ein wenig Heimatstolz oder Hoffnung ent­wickeln zu kön­nen?

Denkmäler wer­den in der Tat noch immer vie­le geschaf­fen: In der Architektur bei­spiels­wei­se bau­en sich die Stadtpräsidenten ger­ne mal einen Baldachin auf dem Bahnhofsplatz, eine neue Siedlung, bewil­li­gen Einkaufszentren, und auch ein Zentrum Paul Klee oder ein Anbau beim Kunstmuseum Bern sind sol­che Denkmäler. Solchen Bauten müs­sen dann alter­na­ti­ve­re Projekte wei­chen. Ja, selbst die Renovation des Stadttheaters bleibt nicht ein­fach bei einer Sanierung, son­dern wird zur Neugestaltung, und somit zum zeit­ge­mäs­sen Denkmal des Theaters.

Stephan Rutishauser hat abso­lut recht, es wird nur dort gebaut, wo die Politik «ihre» Denkmäler erlaubt. Man erklärt dann mit den UNESCO-Vokabularen, dass für Kunst aus der Bevölkerung kein Platz da ist, und schon erhal­ten wir die schön­ste Klassengesellschaft: Den Mächtigen ein Denkmal und dem Volk die Steuerrechnung. Das ist der Grund, war­um wir in unse­rer Demokratie unbe­dingt Kulturkonzepte brau­chen, und war­um es sehr gefähr­lich ist, bis im Jahr 2016 ohne Konzept unter­wegs zu sein! Also, lie­be SVP, wir brau­chen jetzt auch euch für das Konzept. Das gröss­te KiöR-Projekt ist näm­lich das Kulturkonzept sel­ber.

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2013