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Anekdoten des Schicksals in Bern & Hulda Zwingli in Zürich

Von Dr. Regula Stämpfli - In den Tiefen der Kunstwelt, wo die Pinselstriche des Vergessens die Malerinnen über­tün­chen, wird der kol­lek­ti­ve Ruf end­lich gehört: Steigt in eure Archive! Es ist höch­ste Zeit, die Geschichte der Kunst neu zu (be)schreiben. Zwei Schweizer Museen ist dies nun gelun­gen: dem Kunsthaus Zürich und dem Kunstmuseum Bern.

Hulda Zwingli ist ein Name wie ein Brausen durch die Galerien, und dies seit dem Frauenstreik des Jahres 2019. Ein Kollektiv von Künstlerinnen, unbe­kannt, inter­na­tio­nal, ver­eint im Streben, die Kunstwelt auf den Kopf und in die Wirklichkeit der schon längst exi­stie­ren­den Künstlerinnen zu stel­len. Die Mission ist klar: Macht die Frauen sicht­bar, lenkt die Augen der Welt auf die Ungerechtigkeit und Absurdität eines soge­nann­ten «Kanons», der sich durch tie­fe Misogynie aus­zeich­net. In Zürich fand Hulda Zwingli ziem­lich schä­bi­ge Leerstellen: Kein männ­li­cher Akt aus weib­li­cher Hand, dafür eine Masse von und die Macht des männ­li­chen Blicks bei weib­li­chen Akten, die den Weg vom Kunsthaus zur Bahnhofstrasse pfla­stern könn­ten (und es teil­wei­se tun).

Dennoch und erst recht: Hulda Zwingli bringt im Rahmen von «ReCollect!» unter der neu­en Kunsthaus-Direktorin Ann Demeester Kunstwerke von Frauen damals und heu­te ans Licht, und dies über ein Jahr lang – fan­ta­stisch. Endlich hat die «Femme per­due» der Kunstwelt eine genia­le Kunstförderin namens Hulda Zwingli gefun­den: Es gibt Frauen im Kunsthaus, und sie sind kei­nes­wegs nackt, son­dern ein­fach mal nur geni­al – seit Jahrhunderten, heu­te und mor­gen. Es gibt Alice Bailly, Amanda de Leon, Annie Stebler-Hopf und eine Lavinia Fontana. Auch die Marianne von Werefkin ist da und Maria Lassnig. Mit ihnen sind zeit­ge­nös­si­sche Künstlerinnen sicht­bar – end­lich! Alice K. Roberts, Elisabeth Eberle, Ruth Righetti, Brigit Meier, Seline Fülscher, Ursina Roesch und Andrea Ritter. Es gibt eine histo­ri­sche Leihgabe mit einem über­wäl­ti­gend moder­nen Werk von Anne Marie Jehle (1937–2000). Die Vernissage vom 31.8.2023 war ein Erlebnis an und für sich: So vie­le tol­le Frauen waren sel­ten unter dem Kunsthaus-Dach ver­sam­melt, alt und jung, bunt und klas­sisch kult­schwarz – die Party ent­spre­chend cool.

Sehr lustig ist, wie Hulda Zwingli auf Instagram ihre eige­ne Ausstellung beschreibt und Anek-doten aus ihrer Recherche zur «Femme per­due» erzählt. Die Royal Academy bei­spiels­wei­se in London erhält nach 250 (!) Jahren Bestehen ihre erste Einzelausstellung MIT EINER FRAU. Also ab nach Zürich oder nach Bern.

Denn aus­ge­rech­net in mei­ner von mir ent­lieb­ten Heimatstadt Bern ist das Kunstmuseum unter der Leitung von Nina Zimmer zum Must in der zeit­ge­nös­si­schen Museumskunst gewor­den. «Studio Paintings» von Katharina Grosse waren da, «Gurlitt. Eine Bilanz» war umwer­fend klug und gut gemacht, und Heidi Buchers «Metamorphosen» inspi­rie­ren mich seit­dem fast täg­lich. Bis zum Januar 2024 sind nun «Anekdoten des Schicksals» in Bern. Eine fei­ne, erschüt­ternd gute Kombination von Kunst, Text und Installation. Die Ausstellung kon­zen­triert sich auf Bekanntes und Unbekanntes, auf Dialoge des Sichtbaren im mäch­ti­gen Kunstraum, der über Jahrzehnte höchst bös­ar­tig, manch­mal schlicht, oft eli­tär wich­ti­ge Künstlerinnen eti­ket­tier­te, ver­leum­de­te, ver­dräng­te. In den «Anekdoten des Schicksals» tre­ten Muse und Künstler in Dialoge, die die Rollen aus­tau­schen. Wir sehen Künstlerinnen, von denen die durch­schnitt­lich Kunstinteressierten wenig oder nichts gese­hen haben: Annie Stebler-Hopf, Marie Louise-Cathérine Breslau, Irène Zurkinden ste­hen neben Berühmtheiten wie Alice Bailly und Meret Oppenheim. Es geht bei den «Anekdoten des Schicksals» dar­um, die Kunstgeschichte so zu erzäh­len, dass sie benennt, was sie zeigt: im Kontext, als Fragmente, als zuge­wand­te Narrative, immer im Bestreben dar­in, den Figuren durch Kunst und Erzählung Würde zu ver­lei­hen.

Dem Kunstmuseum Bern ist es mit die­ser Ausstellung gelun­gen, die Bilder zur Welt anders und neu dar­zu­stel­len. Die Besucherinnen gehen von den «insta­bi­len Grenzen» zu den «Dimensionen des Selbst», um im «Verbundensein» viel­leicht zum «Zusammensein» zu fin­den.
Das Kunsthaus Zürich und das Kunstmuseum Bern zei­gen Kunstwerke von Frauen. Damit eröff­nen sie uns allen völ­lig neue und ande­re Blicke auf die Welt und die Kunst. Ausstellungen, die die Besucherin trans­for­mie­ren – what more could the­re be? Die Ausstellungen im Kunsthaus Zürich und im Kunstmuseum Bern sind ein völ­li­ges Fest der Rebellion, der Wirklichkeit, der Schönheit und der Lust am Entdecken.

 

Die Abwesenheit der Frauen in der Kunstgeschichte, das Verleugnen, das Vergessen, die hin­ter­häl­ti­ge Unterdrückung, die sexi­sti­sche Enteignung sind nicht nur ein Skandal, son­dern ein gros­ser Schmerz. Die Leerstellen erzäh­len von unmensch­li­cher Ungerechtigkeit. Sie sind nicht aus Mangel an Talent oder künst­le­ri­scher Kreativität ent­stan­den, son­dern der «sexi­sti­schen Enteignung» (Zitat aus Die Podcastin) geschul­det. Dies bedeu­tet Gewalt, Unterdrückung und kras­se Einschränkungen von Mädchen und Frauen als das weib­li­che Geschlecht. Malerinnen wur­den als Musen ver­brämt, als Künstlerinnen über­se­hen, igno­riert, ver­leum­det und dann als wenig bedeu­tend zer­stört oder eben in den Archiven ver­staut. Die Abwesenheit von Frauen ist nicht ein­fach bedau­er­lich, das ist auch die Dokumentation der Geschichte, die mit dem Verbot beginnt, an Kunstschulen zu stu­die­ren, in Kunstvereinen aktiv tätig zu sein, Museen zu lei­ten, die Kultur- und Kunstpolitik zu gestal­ten. Es sind Verbote, die in der Armut des weib­li­chen Geschlechts lie­gen, im oft unmög­li­chen Zugang und Zugriff zu den Materialien und zur Freiheit, sich im öffent­li­chen Raum frei zu bewe­gen. Für aktu­el­le Beispiele fol­gen Sie dem Instagram-Account von Hulda Zwingli und der «Podcastin», dem femi­ni­sti­schen Wochenrückblick.

www.kunsthaus.ch
www.kunstmuseumbern.ch