Amtsvertrauen

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Von Lukas Vogelsang - Stellen sie sich vor, sie kom­men an einen SBB-Schalter und möch­ten ein Ticket von A nach B kau­fen. Bevor sie ihren Zielort sagen kön­nen, gibt ihnen der freund­li­che Mann am Schalter erst ein 200-sei­ti­ges Handbuch für Android-Smartphones. Dann meint er, dass sie natür­lich auch noch ein sol­ches Gerät kau­fen müss­ten, um dann auch noch die App run­ter­zu­la­den aus dem Google-Shop. Nicht zu ver­ges­sen sei, dass man noch eine Kreditkarte bean­tra­gen müs­se, bei einer Bank nach Wahl; ich sol­le doch ein Beratungsbüro anfra­gen, wenn ich noch kei­ne Karte hät­te. Danach soll­te dem Ticketkauf nichts mehr im Wege ste­hen – in unge­fähr zwei bis drei Wochen hät­te ich das Ticket.

Zugegeben: Wir schmun­zeln dar­über, doch so weit ent­fernt sind wir von die­sem Szenario nicht mehr. Wer eine Frage hat stellt sie in der Suchmaschine Google und erhält ein paar Millionen Antworten. Wenn man sich das über­legt, wird man dar­in kaum einen über­ra­gen­den Vorteil oder eine effi­zi­en­te Handhabung fin­den – zumin­dest nicht, wenn man auf der Seite der Fragenden, der KundInnen steht.

Meine Geschichte aber hat sich an einem ande­ren Ort zuge­tra­gen – und ist noch viel kom­ple­xer und absur­der – und ja, ist kom­pli­ziert. Alles begann damit, dass ich eine Broschüre über unse­re «KulturInfoScreens» schrei­ben woll­te. Das inter­es­san­te­ste Teil an die­sen Screens ist der Monitor, wel­cher zwi­schen 19 und ca. 32 Zoll gross ist, je nach Bedürfnis. Das ent­spricht im Normalfall also einem Bildschirm, wie wir ihn im Büro oder als Fernseher zu Hause vor­fin­den. Ein poten­ti­el­ler Kunde frag­te mich, ob man die­se «KulturInfoScreens» auch in ein Schaufenster stel­len darf. Ich mein­te naiv, ich klä­re das ab.

Es war und ist mir bewusst, dass man eine UNESCO-Welterbestadt nicht zu einem Klein-Tokyo mutie­ren sehen will, und es schwan­te mir, dass es eine Bewilligung brau­chen könn­te. Entsprechend tele­fo­nier­te ich der Gewerbepolizei, denn das war aus mei­ner Sicht die Anlaufstelle. Diese ver­mit­tel­te mich dem Tiefbauamt, und von da gelang­te

ich zum Bauinspektorat, nach­dem man erst intern nach­fra­gen muss­te, wer denn wirk­lich dafür zustän­dig sei. Wohlverstanden: Die Anfrage erfolg­te in den Sommerferien, einer ruhi­gen Zeit in der Bundeshauptstadt Bern.

Der Stellvertretende Bereichsleiter Baubewilligungsverfahren, Michael Jermini, schrieb auf mei­ne Anfrage, was ich denn für mein Projekt brau­che, fol­gen­des:

 

Sehr geehr­ter Herr Vogelsang

Baubewilligungsfrei in die­sem Zusammenhang sind ledig­lich die im Schaufenster eines Ladens befind­li­che Auslage, Beschriftung und Anpreisung von Waren und Dienstleistungen, wel­che dort auch gekauft oder bezo­gen wer­den kön­nen (Art. 6a Abs. d BewD; https://www.belex.sites.be.ch/ frontend/versions/569).

Baubewilligungspflichtig sind leuch­ten­de Werbe-Monitore/ Bildschirme auch auf­grund der Lichtemissionen, wel­che einer­seits im Rahmen des Umweltschutzgesetzes stö­rend oder lästig wir­ken kön­nen und ande­rer­seits Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit in der Nacht nicht aus­zu­schlies­sen sind.

Fremdreklamen sind eben­falls immer bau­be­wil­li­gungs­pflich­tig, wenn auch in ihrem Fall nicht dau­ernd ange­zeigt.

Fremdreklamen sind nach dem Reklamereglement der Stadt Bern (RR) nicht über­all bewil­li­gungs­fä­hig.

Das Baugesuch rich­tet sich nach Art. 10 ff. BewD und den erfor­der­li­chen Formularen (http://www.jgk.be.ch/jgk/de/ index/baubewilligungen/baubewilligungen/baugesuchsformulare/formularbaugesuchsteller.html).

 

Ich gebe es zu: Eine sol­che Antwort nervt, denn sie sagt nichts aus und ver­weist nur auf Material, wel­ches ich jetzt stu­die­ren müss­te. Konkret heisst das hier: min­de­stens 41 Reglements-Seiten lesen und 33 Formulare durch­käm­men. Welches denn jetzt für mich wich­tig wäre, hät­te mir gereicht. In den Reglementen suche ich nach dem Begriff «Schaufenster» und lese da im «Dekret über das Baubewilligungsverfahren (Baubewilligungsdekret, BewD) vom 22.03.1994 (Stand 01.01.2012)»:

 

Art. 6a 3. Strassenreklamen:

Keiner Baubewilligung bedür­fen unter Vorbehalt von Artikel 7

[…]
d Reklamen in Schaufenstern und Schaukästen.

 

Und Artikel 7 mein dazu:

Einschränkung der Baubewilligungsfreiheit:

 Liegt ein Bauvorhaben nach Artikel 6 oder 6a aus­ser­halb der Bauzone und ist es geeig­net, die Nutzungsordnung zu beein­flus­sen, indem es zum Beispiel den Raum äus­ser­lich erheb­lich ver­än­dert, die Erschliessung bela­stet oder die Umwelt beein­träch­tigt, ist es

  • Betrifft ein Bauvorhaben nach Artikel 6 und 6a den geschütz­ten Uferbereich, den Wald, ein Naturschutz- oder Ortsbildschutzgebiet, ein Naturschutzobjekt, ein Baudenkmal oder des­sen Umgebung und ist das ent­spre­chen­de Schutzinteresse betrof­fen, ist es bau­be­wil­li­gungs­pflich­tig.
  •  Anlagen zur Gewinnung erneu­er­ba­rer Energie nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f an schüt­zens­wer­ten und an erhal­tens­wer­ten Baudenkmälern nach Artikel 10c Absatz 1 des Baugesetzes erfor­dern eine

 

Da steht nichts über Monitore oder über Lichtstärke. Mit «Umwelt beein­träch­ti­gen» könn­te die allei­ni­ge Existenz gemeint sein. Mit die­sen Informationen kann ich nun wirk­lich nichts anfan­gen. Ich weiss auch nicht, was ich for­mal ein­rei­chen müss­te, habe kei­ne Ahnung, wie lan­ge das Prozedere dau­ert, noch weiss ich, wo ich Informationen für das Selbststudium erhal­te, wel­ches allem Anschein nach nötig sein wird, und was das alles kostet. Ich fra­ge also kon­kre­ter nach und erhal­te fol­gen­de Antwort (die­se e‑Mails sind 1:1 über­nom­men!):

 

Sehr geehr­ter Herr Vogelsang

Ihr Bauvorhaben erfor­dert eine Baubewilligung.
Einzureichen sind in vier­fa­cher Anzahl: Formular 1.0 Baugesuch, Formular

6.0 Reklamen, amt­lich beglau­big­ter Situationsplan des Vermessungsamts der Stadt Bern mit mar­kier­tem und beschrif­te­tem Standort inkl. Beiblätter

«Planungsrechtliche Angaben» und Eigentümerliste, einem Projektplan (Fassadenplan oder Fotomontage) sowie wei­te­ren hilf­rei­chen Unterlagen wie tech­ni­scher Beschrieb, Inhalt der Anzeigen usw.

Die Bewilligungsfähigkeit wird im Baubewilligungsverfahren fest­ge­stellt.

Das Baubewilligungsverfahren dau­ert

2.5 bis 4 Monate, bei Einsprachen und Einwendungen län­ger.

Die Baubewilligung kostet eine Grundgebühr, je nach Grösse (Fläche) und mit Beleuchtungszuschlag plus all­fäl­li­ge aus­ser­or­dent­li­che Aufwendungen, Publikation im Anzeiger, evtl. gebüh­ren­pflich­ti­ge Stellungnahmen von Behörden.

Ich betrach­te Ihre Fragen als abschlies­send beant­wor­tet.

 

Echt jetzt? Der letz­te Satz hat es in sich und ist mit viel Liebe geschrie­ben wor­den. Man spürt den Willen, in bera­ten­der Funktion dem Fragenden zu die­nen. Ich weiss nach die­ser Anfrage weni­ger als zuvor, und es liegt in der Luft: Wie hoch wäre eigent­lich die Busse, wenn ich es ein­fach machen wür­de? Die Chance, dass jemand bei die­sem Projekt Einsprache erhebt, wäre fast gleich Null. Aber ich will eine Anleitung schrei­ben, und ich gebe zu: Ich war stink­sauer und beschwer­te mich gleich beim Chef, dem Stadtbauinspektor, Martin Baumann. Es ist sein Amt und er trägt die Verantwortung für den Umgang mit genau sol­chen Anfragen.

Meine e‑Mail wur­de erhört. Kurz nach sei­nen Ferien rief mich der Bauinspektor an, obwohl ich aus­drück­lich geschrie­ben hat­te, dass ich nur eine schrift­li­che Antwort akzep­tie­ren kön­ne. Warum? Weil ich bereits ange­kün­digt hat­te, dass ich dar­über schrei­ben wür­de, und ein Telefongespräch ohne Zeugen oder hand­fe­ste Belege nie­man­dem etwas brin­ge. Er hat sich sehr für den «im Aufbau befin­den­den» Mitarbeiter ins Zeug gelegt – und vie­le Versprechungen gemacht. Wenn man die­sen glau­ben will, so hät­te, wäh­rend dem die­ses Magazin gedruckt wur­de, ein Gespräch mit dem Regierungsstatthalter Christoph Lerch statt­fin­den müs­sen, mit dem Thema: Ob man die­ses Verfahren ver­ein­fa­chen könn­te. Man staunt – aber ich habe das Gefühl, dass mei­ne Fragen doch noch ernst genom­men wer­den und ich etwas bewe­gen kann.

Ich suche natür­lich wei­ter nach Antworten, denn mei­ne Arbeit, eine Broschüre zu schrei­ben, ist ja auch ohne Baugesuch mög­lich. Wie ich in der Zwischenzeit her­aus­ge­fun­den habe, wür­de nach der Vorstellung des Bauinspektors das gesam­te Prozedere, einen ein­fa­chen mobi­len Monitor in ein Schaufenster zu stel­len, auf lega­lem Weg ca. 4–5 Monate in Anspruch neh­men, und so auch unge­fähr 4 bis 5’000 Franken kosten. Schon nur das Vermessungsamt, wel­ches die Fassade ver­mes­sen müss­te – war­um auch immer? – kostet min­de­stens 1’000 Franken. Dann käme noch eini­ges an Aufwand hin­zu. Et was irri­tiert war ich, als auf die Frage, wie weit ein Monitor vom Schaufenster weg ste­hen müs­se, um nicht mehr als «im Schaufenster» zu gel­ten, kei­ne brauch­ba­re Antwort erhielt. Nicht mal die Definition «Schaufenster» konn­te man mir in Bern in ein­fa­chen Worten erläu­tern. Beide Male hiess es: Das ist immer indi­vi­du­ell. Zwischenfazit: In Bern gibt es für alles ein Formular, aber es gibt kei­ne Basis-Definitionen. Alles wird wie «als erstes Mal» behan­delt.

«Chönt ja jedä choo.»

Ganz anders sieht es in Zürich aus, wie ich per Telefon inner­halb von 10 Minuten erfreut fest­stell­te: Hier gibt es eine kon­kre­te Mitarbeiterin, die sich bestens in die­ser Sache aus­kennt. Auf der Website der Stadt Zürich sind die ent­spre­chen­den Dokumentationen und die Anlaufstelle klar ersicht­lich. Bevor ich mein Projekt im Detail erklä­ren muss­te, frag­te mich die sehr kom­pe­tent wir­ken­de Mitarbeiterin, wel­che Grösse der Monitor hät­te – denn bis 46 Zoll müss­te kein Baugesuch ein­ge­reicht wer­den. Das Schaufenster müss­te zu 2/3 frei blei­ben – damit es pro­blem­los ohne Bewilligung gehe. Ein Monitor soll­te 30 cm vom Glas ent­fernt ste­hen. Und im ersten Stock gäbe es eigent­lich kei­ne Schaufenster – sie konn­te alles klar und ein­fach defi­nie­ren. Da unse­re Reklame haupt­säch­lich aus den Kulturinstitutionen der Stadt bestehe, oder den Kultur-SponsorInnen, wäre das kein Problem. An die­ser Stelle ein gros­ses Lob an Zürich.

In Zürich kön­nen wir die «KulturInfoScreens» beden­ken­los in ein Schaufenster stel­len. In Bern will man erst alle erdenk­li­chen Daten regle­men­ta­risch erfasst haben, um erst dann in einem indi­vi­du­el­len Prozess die Situation abzu­klä­ren und fest­zu­stel­len, dass eigent­lich kein Problem vor­han­den wäre. Das ist Unsinn – und das kan­to­na­le Reglement wie auch das Bundesrecht geben klar vor (Baubewilligungsfreie Reklamen): «Nicht bau­be­wil­li­gungs­pflich­tig sind Kleinvorhaben, die nur ein gerin­ges Ausmass haben und weder öffent­li­che noch nach­bar­li­che Interessen tan­gie­ren.» Ein Monitor von 24 Zoll Grösse ist – man ent­schul­di­ge mei­ne vor­ei­li­ge Schlussfolgerung im Jahr 2016, wo jeder ein Smartphone und Tablet her­um­trägt – ganz ein­deu­tig ein «Kleinvorhaben». Selbst Stadtpräsident-Wahlkandidat Alec von Graffenried mein­te auf Facebook zu die­sem Thema: «Rechtsstaat ist in Ordnung, Augenmass und gesun­der Menschenverstand aber auch. Wichtig auf jeder Bauverwaltung ist, dass Prioritäten gesetzt wer­den und die Detailversessenheit über­wun­den wird. Bei Detailverliebtheit droht sofort Arbeitsüberlastung, und dann geht gar nichts mehr.» Ich ver­mer­ke in mei­nem Logbuch für amt­li­che Unannehmlichkeiten: Nur schon die Anfrage hat 1.5 Wochen gedau­ert, mich und 2 wei­te­re Personen ins­ge­samt min­de­stens 3 Stunden beschäf­tigt mit dem Resultat, dass wir noch nicht wei­ter sind, kein Formular aus­ge­füllt ist, kei­ne ver­bind­li­chen Aussagen gemacht wor­den sind. Ich ler­ne Bern von einer ganz neu­en Seite ken­nen.

Genau. Doch jetzt kommt bereits der erste Nachhall die­ser Geschichte: Das Bauinspektorat ist aus­ge­rech­net der Präsidialdirektion unter­stellt. Diese hat, aus­ge­löst auf­grund der Berner Kulturkonferenz, deren Mitbegründer ich bin, eine Kulturstrategie in Arbeit (sie­he ensuite August 2106, Nr. 164), wel­che die Zusammenarbeit unter den ver­schie­de­nen Ämtern för­dern will. Doch aus­ge­rech­net das Bauinspektorat aus den eige­nen Reihen wur­de in die­sem Prozess nicht hin­zu­ge­zo­gen. Davon wuss­te der Bauinspektor nichts. Ausgerechnet! Dabei braucht es fast für jedes Schild, wel­ches eine Kulturinstitution vor die Türe stel­len will, eigent­lich eine Bewilligung durch das Bauinspektorat. Es ist offen­sicht­lich, dass hier, in den eige­nen Reihen, Dialog von Nöten ist.

Diese Geschichte wird sicher noch eine Weile bro­deln. Wir wer­den sie ver­fol­gen und dar­über berich­ten wenn wir wei­te­re Informationen haben.

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