Amadeus-Quartett in Berlin

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Von François Lilienfeld – Als drei nach dem «Anschluß» 1938 aus Wien geflüch­te­te jüdi­sche Geiger sich 1940 in einem Internierungslager auf der Isle of Man ken­nen­lern­ten, wuss­ten sie wohl noch nicht, dass sie bald an der Geburtsstunde eines der berühm­te­sten Streichquartette der Geschichte teil­ha­ben wür­den. Diese Internierungslager waren von der bri­ti­schen Regierung für «ene­my ali­ens» (feind­li­che Ausländer) errich­tet wor­den. Doch schon nach eini­gen Monaten wur­den sie auf­ge­löst: Man sah ein, dass Flüchtlinge aus Hitler-Deutschland kei­ne «Feinde» waren.

Die drei Geiger wur­den Schüler von Max Rostal, der als groß­ar­ti­ger Interpret und Pädagoge auch in Bern län­ge­re Zeit hei­misch wer­den soll­te. Durch die Rostal-Schülerin Suzanne Rozsa lern­te das Trio den Cellisten Martin Lovett ken­nen, der spä­ter ihr Mann wur­de. Schnell reif­te der Entschluss, mit ihm ein Quartett zu grün­den, mit Norbert Brainin (Erste Geige), Siegmund Nissel (Zweite Geige) und Peter Schidlof (Bratsche). Der erste Auftritt fand im Sommer 1947 in der Grafschaft Devon statt, der erste Triumph in der Londoner Wigmore Hall im Januar 1948. Bis zum Tode des Bratschisten im Jahre 1987 blieb das Ensemble zusam­men.

Lebendigkeit, Enthusiasmus, eine Expressivität, wel­che die in der Musik ent­hal­te­nen Emotionen bis zur Grenze aus­bre­chen ließ, all dies sind Ingredienzen, die das Amadeus-Quartett welt­weit berühmt mach­ten. Unzählige Tourneen und Schallplatten präg­ten die Karriere die­ses außer­ge­wöhn­li­chen Kleeblattes.

Es besteht kein Zweifel dar­über, dass der Primgeiger Norbert Brainin musi­ka­lisch das Ruder führ­te. Die drei ande­ren Musiker akzep­tier­ten dies, und so ent­stand eine klang­li­che und inter­pre­ta­to­ri­sche Einheit, die, ver­bun­den mit der Spontaneität der Ausführung, zur Unterschrift des Ensembles wur­de.

In der Zeit von 1950 bis 1967 war das Amadeus-Quartett häu­fig Gast in den Studios des RIAS in Berlin. audi­te ist nun dabei, die dort ent­stan­de­nen Aufnahmen auf CD zu ver­öf­fent­li­chen, wie immer in her­vor­ra­gen­der Qualtät, direkt ab den ori­gi­na­len Tonbändern. Die ersten zwei Sammlungen, Beethoven und Schubert gewid­met, sind bereits im Handel. Vorgesehen sind wei­te­re vier Publikationen (Mozart, Zeitgenössisches, Haydn, Romantik).

Nun hat das Amadeus-Quartett einen Riesenteil des Repertoires für die Deutsche Grammophon auf­ge­nom­men, teil­wei­se in meh­re­ren Versionen. Namentlich ihr Beethoven-Zyklus, 1959–1963 in Stereo ein­ge­spielt, hat Kultstatus. Ist also die­se zusätz­li­che Wiederveröffentlichung nötig?

Die Antwort ist ein kla­res «Ja»: Für Radio-Aufnahmen stand bedeu­tend weni­ger Zeit zur Verfügung als in den Schallplattenstudios. Größere Spannung, ner­vö­se­res Spielen, ein dem Konzerterlebnis viel nähe­res Musizieren waren die Folgen. Wenn man sich auch oft auf dem «hohen Seil» bewegt, mit gerin­gen Ausrutschern oder Intonationstrübungen, so wer­den die­se Nachteile viel­fach auf­ge­ho­ben durch eine Intensität, die den Hörer fast vom Stuhl reißt. Vergleiche mit den Studioaufnahmen sind fas­zi­nie­rend, und ich möch­te nicht zwi­schen den zwei Versionen wäh­len müs­sen!

Die Bethoven-Sammlung ent­hält auch das Streichquintett in C‑dur, op. 29, mit Cecil Aronowitz an der zwei­ten Viola. Er war regel­mä­ßi­ger Partner des Amadeus-Quartetts in der Quintett-Literatur.

Ein beson­de­rer Fall ist das Es-dur Quartett, op. 127, von Beethoven. Merkwürdigerweise wur­de die­ses Werk, eben­so wie das in der glei­chen Tonart ste­hen­de «Harfenquartett» op. 74 vom RIAS nicht auf­ge­nom­men. Der Sender besitzt aber einen Konzertmitschnitt von op. 127 (1967), der als «Ersatz» ver­wen­det wird. Hier wird mit einer schier unglaub­li­chen Hingabe musi­ziert, und der lang­sa­me Satz wird von Brainin und sei­nen Kollegen schon als Vorschau auf die Hochromantik gespielt.

Und gera­de da ermög­li­chen uns die Produktionspläne von audi­te einen höchst inter­es­san­ten Vergleich: Vor kur­zem hat die Firma näm­lich die zwei­te CD in einem geplan­ten Beethoven-Zyklus des Quartetto di Cremona ver­öf­fent­licht. Dieses Ensemble fasst op. 127 ganz anders auf, nicht als einen Blick in die Zukunft, son­dern als einen Abschied von der Klassik. Der lang­sa­me Satz erhält hier zeit­wei­se fast tän­ze­ri­schen Charakter!
Man kann gespannt sein, auf die wei­te­ren CDs sowohl der Amadeus- wie der Cremona-Serie.

The RIAS Amadeus Quartet Recordings:
Vol. I: Beethoven audi­te 21.424 (7 CDs)
Vol. II: Schubert audi­te 21.428 (2 CDs)

Beethoven:
The String Quartets Amadeus Quartet DG 463143–2 (7 CDs)
Streichquartette op. 18 Nr 6; op. 95; op. 135 Quartetto di Cremona audi­te 92.680
Streichquartette op. 59 Nr 2; op 127 Quartetto di Cremona audi­te 92.681

Foto: zVg.
ensuite, Februar 2014

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