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«Am lieb­sten hät­te ich immer alles behal­ten»

Porträt von Renée Ziegler (92), der älte­sten Galeristin der Welt

Von Dr. Regula Stämpfli – Sie prä­sen­tier­te «Steine, so leicht wie Wolken» anläss­lich von Meret Oppenheims 90. Geburtstag. Wie kaum eine ande­re Galerie wuss­ten «Les Zieglers» die Qualität der von der Erdenlast befrei­ten Figuren und Traumgesichter Oppenheims aus­zu­stel­len. Regula Stämpfli hat im Oktober 2022 die char­man­te «älte­ste Galeristin der Welt», Renée Ziegler (92), in Zürich zum Interview getrof­fen und dabei eine Institution ken­nen­ge­lernt.

«Ich woll­te unbe­dingt wie­der weg aus der Schweiz», erin­nert sich Renée Ziegler. Als älte­ste Tochter hät­te sie das Familienunternehmen in Biel wei­ter­füh­ren sol­len, sich zu die­sem Zwecke auch in Cambridge und Florenz wei­ter­ge­bil­det. Doch glück­li­cher­wei­se war sie das gelieb­te Kind ihres Onkels Hermann Rupf, der sich für die künst­le­ri­sche Laufbahn der auf­ge­weck­ten Renée ein­setz­te. So kam sie 1954 für eine drei­mo­na­ti­ge Praktikumsstelle nach Paris, der Auftakt eines von Kunst und Liebe gepräg­ten Lebens.
Tochter aus bestem Hause, sprach­be­gabt und vor­züg­lich in Kunst und Handel aus­ge­bil­det, wuss­te sie schon früh: Kunst ist ihr Leben, alles ande­re wäre ihr fad. Der besag­te Hermann Rupf (1880–1962), der mit dem legen­dä­ren Daniel-Henry Kahnweiler (1884–1979) seit der gemein­sa­men Zeit in Frankfurt eng befreun­det war, hin­ter­liess sei­ner Nichte Inspiration, Kunst und den Willen fürs gute Leben. Die Rupfs waren auch freund­schaft­lich ver­bun­den mit Paul und Lily Klee; kon­ser­va­ti­ve Kunstvorstellung war ihnen eben­so ver­pönt, wie ihnen zeit­ge­nös­si­sche Kunst wich­tig war. Von der Gründung der Rupf-Stiftung ab 1954 pro­fi­tier­ten das Kunstmuseum Bern und der neue auf­stre­ben­de Stern am Galeriehimmel: Renée Ziegler. Bei Kahnweiler in der Galerie Louise Leiris in Paris lern­te Renée Ziegler vie­le wich­ti­ge Künstler per­sön­lich ken­nen: André Masson, Pablo Picasso, Alberto Giacometti, André Beaudin oder auch Fernand Léger und natür­lich Meret Oppenheim. Letztere blieb Renée und Maurice Ziegler bis zu ihrem Tod ver­bun­den. Die bis heu­te zart gebau­te, mit einer gros­sen Energie geseg­ne­te Renée beweg­te sich nicht nur im Zentrum der Avantgarde in Paris, son­dern traf dort auch ihre gros­se Liebe: Maurice Ziegler. Der Architekturstudent war umwer­fend gut aus­se­hend, klug und eben­so für Kunst und Kultur ent­flamm­bar wie Renée. Mit dem ersten Weihnachtsgeld kauf­ten Renée und Maurice Ziegler 1954 in Paris Werke von Suzanne Roger (1899–1986). Die Innigkeit der bei­den ist auch der Grund, wes­halb hier in einem Porträt zu Renée Ziegler Maurice immer wie­der auf­taucht: Sie sind Vorbild für die sel­te­ne hete­ro­se­xu­el­le Kombination, bei der die Frau einen Mann fin­det, der sie als zau­ber­haf­ter Gefährte beglei­tet.

«Ins Berliner Nationalmuseum brach­te ich den Klee höchst­per­sön­lich und war auf der Reise ganz auf­ge­regt, dass dem Werk ja nichts Blödes pas­siert.»

Zurück in Zürich eröff­ne­ten die viel­spra­chi­ge Kauffrau und der frisch diplo­mier­te Architekt am 5. Dezember 1959 dann ihre eige­ne Galerie: Zürich wur­de dadurch zur ande­ren Stadt. Nach Dada gab es in der puri­ta­ni­schen Zwingli-Stadt end­lich wie­der Kunst zu sehen, die sonst nie­mand zei­gen woll­te. «Zu Anfang der 60er-Jahre war die Galerie Ziegler ein Novum und apart, sie begann ihre Tätigkeit mit der klas­si­schen Moderne fran­zö­si­scher Prägung (…). Das Klima war ein­fach wun­der­bar, stil­si­cher, wer­te­be­wusst, nobel; in der Luft ein Hauch von Parisianismus.» So schwärm­te Paul Nizon über die anti­pro­vin­zi­el­le und exqui­si­te Galerie Ziegler. Gleichzeitig mit dem Import der fran­zö­si­schen Kunst in die Schweiz ging Renée Ziegler mit Maurice auf Entdeckungsreise in der Schweiz: Die Eisenplastiker Bernhard Luginbühl, Robert Müller, Oscar Wiggli und Jean Tinguely wur­den geför­dert. Meret Oppenheim haben wir schon erwähnt, es kamen Daniel Spoerri, Dieter Roth, Matias Spescha, Gianfredo Camesi und die «Konkreten» Richard Paul Lohse und «max bill» hin­zu. Renée und Maurice besuch­ten Jean Arp im Tessin und wähl­ten gemein­sam mit dem Künstler Werke für sei­ne erste Ausstellung bei ihnen aus, die 1962 statt­fand. Es gibt zahl­rei­che Anekdoten die­ses von Spontaneität, Kunst und Avantgarde gepräg­ten Lebens: Bilder zei­gen rau­schen­de Partys, vie­le Flaschen Wein und zen­ti­me­ter­dicken Zigarren- und Zigarettenrauch.

Meret Oppenheim schockier­te 1974 die Galerie Ziegler, als sie kurz vor der Eröffnung der ersten Ausstellung ankün­dig­te, sie habe ihre Verkaufspreise ver­dop­pelt, mit dem genia­len Argument, dass sie so lan­ge für klei­ne Preise nichts ver­kauft habe, sie nun also für dop­pel­te Preise nichts ver­kau­fen kön­ne – und sie­he da: Die Ausstellung wur­de ein Riesenerfolg.
1963 orga­ni­sier­ten die Galeristen gemein­sam eine mehr­wö­chi­ge Reise nach New York – der NRW-Kunstverein unter­stütz­te das Vorhaben. «Damals war natür­lich alles viel unbü­ro­kra­ti­scher», meint Renée ver­schmitzt. Diese Reise eröff­ne­te den Zieglers den US-ame­ri­ka­ni­schen Kunstmarkt mit Atelierbesuchen bei Mark Rothko, Tony Smith, George Sugarman, Al Held u. a. Mit der Prospekta 1968 begann dann auch die inter­na­tio­na­le Messetätigkeit; Maurice Ziegler setz­te sich für die heu­ti­ge Art Basel ein und war lan­ge im Vorstand von deren Vorgängerorganisation Internationale Messe Basel. Weder Landesgrenzen noch Kunstgrenzen schränk­ten das Engagement der Zieglers ein: Die Galerie Ziegler bleibt Anlaufstation für Kunstbegeisterte und höchst aktu­el­le Werke wie bei­spiels­wei­se die­je­ni­gen von Elisabeth Eberle, die ensuite auch schon Red und Antwort stand.

Allein im Jahr 2022 stell­te der Sohn und Galerist Serge Ziegler vie­le nam­haf­ten Künstlerinnen aus: Vor allen ande­ren hat er Frauen ent­deckt, geför­dert und in sei­ner Galerie ver­kauft: Leonora Carrington ist da, zwei kras­se Werke von Cindy Sherman, ein umwer­fend ästhe­ti­sches von Yoko Ono, die schon genann­te Elisabeth Eberle mit drei Skulpturen, Una Szeemann, Niki de St. Phalle, Eva Hesse und vie­le ande­re mit dar­stel­len­der Kunst.

Es mag an der selt­sa­men Zurückhaltung der «uber­rei­chen» Schweizer lie­gen, dass die Werke noch zu kau­fen sind, denn die Preise sind ver­gleichs­mäs­sig durch­aus erschwing­lich. Könnte es sein, dass Zürich dem Geld ewig näher­steht als dem Geist? Wahrscheinlich. Apropos Yoko Ono, die erst kürz­lich ein Besuchererfolg im Kunsthaus Zürich war: Serge Ziegler arbei­tet seit 1997 mit Yoko Ono zusam­men, sei­ne erste Ausstellung krön­te das «Balance Piece» aus dem Jahre 1958; ein Werk, das bis 2003 auch im Schaufenster des Schauspielhauses, wo die Galerie behei­ma­tet ist, aus­ge­stellt wur­de. Was das Gespräch mit Renée Ziegler dann auf die gros­sen Leerstellen im Zürcher Kunstbetrieb führt. Hatte die Berner Zusammenarbeit mit der Galerie Ziegler für die beste aller Ausstellungen der jüng­sten Zeit, näm­lich «Mon expo­si­ti­on» von Meret Oppenheim im Kunstmuseum Bern, her­vor­ra­gend geklappt, geht es in Zürich ein­fach nicht wirk­lich rund. Dies, so Renée Ziegler im Gespräch, könn­te dar­an lie­gen, dass der abtre­ten­de Direktor Becker sich im Wesentlichen für «lang­wei­li­ge» und klas­si­sche Männerkunst inter­es­siert hat und in Zürich sowie in der zeit­ge­nös­si­schen Kunst ein­fach nicht behei­ma­tet war: «Er nahm immer nur die Männer mit zu sich nach Hause, ein Austausch fand nicht statt.»

Im Gespräch bedau­er­te Renée Ziegler denn auch die ver­gan­ge­nen Jahrzehnte als teils ver­lo­re­ne Jahrzehnte der Zürcher Kunstszene durch die­se Politik des Kunsthauses Zürich: Weil es der­mas­sen auf Profit aus­ge­rich­tet war und wie eine bana­le Unternehmung geführt wur­de, kamen wich­ti­ge Anliegen der Kunstvermittlung völ­lig zu kurz. Dies zeigt sich auch dar­an, dass die Start-up-Szene in Zürich enorm kunst­fern geblie­ben ist – ein gros­ser Unterschied zu frü­he­ren Jahren des Zürcher Unternehmertums.

Renée und Maurice Ziegler ver­kauf­ten eben nicht ein­fach Kunst, sie stell­ten sie auch nicht ein­fach aus, son­dern es ging im Kern immer dar­um, Menschen für Kunst zu begei­stern im Wissen, dass Kunst das eige­ne Leben ver­än­dert. «Die Menschen mit Kunst wer­den auf Reisen geschickt, auf neue Ufer, auf neue Möglichkeiten auf­merk­sam gemacht.» Es war auch die Galerie Ziegler, die Ende der 1990er-Jahre Myriam Thyes’ erste Computeranimation an der Art Zürich zeig­te.

Die Zieglers machen aus der ver­kehrs­rei­chen Rämistrasse ein begehr­tes Quartier: Pro Helvetia liegt um die Ecke, das Schauspielhaus unter der Galerie, der See ein paar Schritte ent­fernt, das Opernhaus, das Odeon, die Kronenhalle und neu die Kunsthaus-Bar als eigen­tüm­li­che Mischung von Tradition und Cüpli sind in der Nähe. Auf die Frage nach Skandalen und Skandälchen in der Szene lächelt die 92-Jährige ver­schmitzt und lässt sich nicht ins Nähkästchen des Klatsches blicken, son­dern erzählt wei­ter von Werken, die sie begei­stern. Seit unse­rem Gespräch mache ich immer einen kur­zen Halt bei der Galerie Ziegler und weiss: Jung bleibt frau nicht durch Botox und Hyaluron, son­dern ganz ein­fach durch Neugierde und die gros­se Liebe zu Kunst und zu deren unkon­ven­tio­nel­ler Schönheit.

«Mein Vater kann­te sogar den Direktor, aber es half nix», meint Renée Ziegler zu ihrem Wunsch, Technik zu stu­die­ren. Denn dies war Frauen in der Schweiz damals ver­bo­ten. Die Jahrhundertgaleristin absol­vier­te des­halb zuerst die Handelsschule.

Renée Ziegler und Meret Oppenheim: Die Galeristin und die 17 Jahre älte­re Künstlerin teil­ten ähn­li­che Biografien. Beide lieb­ten Paris, die Kunst, waren neu­gie­rig, ver­än­der­ten sich immer wie­der und fan­den schnell Anschluss an die inner­sten Kerne der Kunstszene. Doch anders als die Künstlerin fand Renée Ziegler ihre gros­se Liebe und ihren Lebensmenschen Maurice und eine Beständigkeit des guten Lebens, das Meret Oppenheim nicht immer ver­gönnt war.

«They Loved Paris in the Fifties» hiess die Ausstellung zur Art Basel 31 im Juni 2004. Darin waren Kimber Smith, Robert Müller, Henri Laurens, Meret Oppenheim zu fin­den: ein Galerieprogramm, das sich nicht leicht in kunst­hi­sto­ri­sche Raster pres­sen lässt, denn es wider­spie­gelt die Freiheit und den Kunstsinn von «Les Zieglers».

Die erste Ausstellung bil­de­ten 23 far­bi­ge Lithografien des damals sehr belieb­ten Fernand Léger. Darauf folg­ten Henri Laurens, André Masson, André Beaudin, Pablo Picasso sowie Kunst aus Afrika mit afri­ka­ni­schen Holzskulpturen. 1961 wur­de Bernhard Luginbühl dank den Zieglers schweiz- und welt­weit bekannt.

«Besonders schön sind auch Kleinformate und Originalgrafiken, gera­de wenn es um Künstler geht, die ganz gross anrich­ten.»

www.galerieziegler.ch
Foto: Dr. Regula Stämpfli