Altä Has, red doch noch­li wii­ter

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By Antonia Steger

Mal ange­nom­men, die aktu­el­le Tour von Stiller Has wäre die erste. Was lässt sich jen­seits ihres berühm­ten Namens über die­se Band sagen, die sich in 25 Jahren ihres Bestehens einen festen Platz in der Schweizer Musikgeschichte erobert hat?

Der Stille Has als alter Mann

Im Zentrum steht Endo Anaconda. Ein süf­fi­san­ter Provokateur, ein intel­lek­tu­el­ler Saugoof-Poltergeist. Ein Brocken von Mann. Oder in noch ein­mal ande­ren feuil­le­to­ni­sti­schen Wortschwurbeleien: ein «schrä­ger Volkstümler und rusti­ka­ler Grobschlächterpoet» (Tages Anzeiger), ein «barocker Wort- und Stimmkünstler» (NZZ), einer, der Magensäure raus­schleu­dert, «von der sich viel bil­den kann in die­sem gewal­ti­gen Ranzen, zu dem er sich stolz bekennt» (Schwäbische Zeitung). Endo Anaconda, der Mann, der so schlecht sin­gen und so gross­ar­tig tex­ten kann.

Alt sei er gewor­den, das betont er unun­ter­bro­chen. Manchmal etwas gar pene­trant, aber doch stets mit einem bis­si­gen Sarkasmus. Die 13. CD der Formation heisst «Böses Alter» und sie zeich­net vie­le Bilder des Älterwerdens. Zynisch sind die­se Bilder, wenn «stu­ri alti Manne» ihren Opel in Hydranten len­ken, sie «lue­ge uf d büp­pi, statt uf d amp­le» («Böses Alter»); exi­sten­zi­ell melan­cho­lisch nach einem ver­ka­ter­ten Zusammenbruch «mit em Flückiger, mit­em Endo u mit mir» («Toti Sigarette»).

Auch alte Lieder las­sen sich am Konzert neu wie­der­ent­decken. So der «Pirat», der in sei­ner Karriere nach und nach alle Körperglieder ver­lo­ren hat, aber «pirat sy isch e zuesch­tand vo de seel». Ein Gleichnis fürs Altern? Von Glück kön­ne er spre­chen, dass so vie­le Leute den Lift ins Hochhaus zur Kleinkunstbühne des Migros-Kulturprozent gefun­den hät­ten,. Gelächter. Aber er wis­se nicht, ob sie aus Mitleid oder aus Schadenfreude gekom­men sei­en. Wieder Gelächter. Man ver­steht sich. Ist das Publikum zusam­men mit dem Stillen Has geal­tert?

Kongenial und beschei­den: Schifer Schafer

Seit der ersten Stunde mit dabei ist René «Schifer» Schafer, Gitarrist und musi­ka­li­scher Leiter. Dünn und unschein­bar steht er auf der Bühne, oft wird sein Beitrag zum heu­ti­gen Stillen Has neben dem fül­li­gen Endo Anaconda über­se­hen. Dabei kom­po­niert er kon­ge­ni­al die beschei­de­ne Musik, wel­che die wort­ge­wal­ti­gen Texte nie über­tönt, son­dern ihnen blue­sig und rock’n‑rollig erst zur vol­len Wirkung ver­hilft. Nur in eini­gen Solostellen dreht Schifer Schafer auf – dafür dann so rich­tig. Die neu­en Bandmitglieder Salome Buser (Bass) und Markus Fürst (Schlagzeug) lei­sten das ihri­ge dazu. Das älte­re Lied «Znüni näh» lässt die Band denn auch so rich­tig kra­chen, gut plat­ziert als musi­ka­li­scher Fäger am Ende des Konzerts.

Der Anti-Bünzli, der ger­ne Schweizer ist

Und doch beginnt und endet alles wie­der bei Endo Anaconda, der die Identität von Stiller Has nach aus­sen prägt. Denn da ist etwas, was auch unvor­ein­ge­nom­me­ne (Noch-)Nicht-Fans begei­stern könn­te. Es sind die­se poin­tier­ten Sprüche zur Schweiz und zum Schweizersein, die weder in tra­ni­gem Lamento noch in bünz­li­ger Selbstglorifizierung enden. Genau beob­ach­tet und schlau getex­tet. Immer noch gran­di­os ist sein Lied «Merci»: «mer­ci dass mir nie Chrieg hei gha / ussert dä dehei­me oder uf der Outobahn (…) mer­ci dass i ha dör­fe öppis leh­re / bruchsch Matur zum Ghüderchübel lää­re (…) mer­ci für ufe mer­ci für abe / mer­ci für nes ewigs gsungs u läng­wi­ligs Läbe / mer­ci für alles wo ni ver­lo­re ha». Schöner wur­de die Schweizer Zwiegespaltenheit nie besun­gen. Und doch: «aber i wott meh / meh als mön­sche­mög­lich isch / i wott nech änd­lech lache gseh».

Endo Anaconda ist ger­ne Schweizer. Und jetzt: ger­ne ein alter Schweizer. Als die­ser kann er die Engstirnigkeit wei­ter her­aus­for­dern, das Sicherheitsgefühl durch­wir­beln. Von die­ser Reibung lebt er. Er kommt aus einer Generation, wel­che die Globalisierung noch nicht mit der Muttermilch getrun­ken hat. Ob es damals schö­ner war oder nicht, sei dahin gestellt. Mit die­ser eigen­tüm­li­chen Schweiz hat er sich bis heu­te mit böser Zunge, aber ohne Arroganz und Abschätzigkeit aus­ein­an­der­setzt. Wohltuend. Wohltuend anders als bei­spiels­wei­se die Diagnose des ehe­ma­li­gen Auslandredaktors der «NZZ am Sonntag», Christoph Plate, in sei­ner Schlussrechnung (sie­he hier).

Endo Anaconda ist, so kommt es einem vor, ein Relikt aus alter Zeit. Einer Zeit vor dem Kommentarkrieg im Internet und der Abwanderungswelle der deut­schen Kreativszene nach Berlin. Doch es gibt kei­nen Grund zum Pessimismus. Gerade in Berlin bil­det sich eine Nachfolgegeneration stil­ler Hasen. Mit einem neu­en Blick, einem Blick von Aussen, begin­nen sich aus­ge­wan­der­te Kreative wie­der mit der Schweiz zu beschäf­ti­gen, wie jüngst Spiegel Online berich­te­te (sie­he hier). Mögen ihre Stimmen eben­so laut wer­den wie die vom Stillen Has. Seiner eige­nen, klug über­zeu­gen­den, selbst­be­wuss­ten kann man auf sei­ner Tour quer durch die Schweiz zuhö­ren.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/stiller-haas-boses-alter/

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