Alles oder Nichts

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Interview mit Schriftsteller Peter Fahr von Lukas Vogelsang - Peter Fahr ist Dichter und Schriftsteller, 1958 in Bern gebo­ren, und hat Germanistik und Kunstgeschichte stu­diert. Er mach­te in den 80er Jahren mit ver­schie­de­nen Plakat-Aktionen von sich reden, ver­öf­fent­lich­te bereits 13 Bücher, schrieb Radio-Hörspiele und erhielt für sein lite­ra­ri­sches Schaffen vie­le Auszeichnungen. Doch nicht von Stadt und Kanton Bern. Obwohl vie­le renom­mier­te Autoren und Künstler wie Jean Ziegler, Dorothee Sölle, Lukas Hartmann, Günter Wallraff, Eugen Drewermann, Joachim Rittmeyer, Konstantin Wecker sei­ne Bücher lob­ten oder gar Vorworte für sie ver­fass­ten, bleibt Peter Fahr im Literaturbetrieb ein Aussenseiter. Zu Unrecht, denn Fahr schwimmt nur ein wenig gegen den Strom, das ist alles. Von «Menetekel», einer Sammlung von Pressefotografien mit Vierzeilern über die Welt im Jahr 2000, hat er über 2400 Buchexemplare ver­kauft. Solche Verkaufszahlen tra­gen in der Schweiz den Bestsellerstatus. Wenige Berner Autoren kön­nen hier mit­hal­ten.

Lukas Hartmann «warnt» vor Fahrs neu­stem Werk «Alles ist nicht alles» mit den Worten: «Peter Fahr legt einen Lebensbericht und poli­tisch-lite­ra­ri­schen Essay vor, in dem er nie­man­den schont, am wenig­sten sich selbst. Seine Dialoge sind selbst- und welt­be­zo­gen zugleich, sie rei­zen zum Widerspruch und wer­ben um Einverständnis. Oft haben sie mich an mei­ne eige­ne Biografie erin­nert. Keine Leserin, kein Leser wird sich der Auseinandersetzung mit Fahrs Gedanken- und Ideenwelt ent­zie­hen kön­nen.»

Über die Reaktion von Peter Schranz, Chefnummer zwei der Präsidialdirektion Bern, Abteilung Kulturelles, auf ein Gesuch 2003 um ein Werkjahr für «Alles ist nicht alles» schreibt Fahr im Buch: «Die Absicht, mich auf Hunderten von Seiten selbst zu inter­view­en, sei der­art über­heb­lich, dass es ihn ekle. So was dür­fe sich nur ein sehr arri­vier­ter Schriftsteller erlau­ben. Alle mei­ne bis­he­ri­gen Bücher, das müs­se jetzt end­lich ein­mal gesagt sein, sei­en schlecht. Meine Sprache sei banal. (…) Ein Autor wie ich, der weder Verlag noch Leser habe, soll­te sich gut über­le­gen, ob er über­haupt wei­ter­schrei­ben wol­le …». Zum Glück schrieb und schreibt Peter Fahr wei­ter und lässt sich nicht irri­tie­ren von der­art unqua­li­fi­zier­tem Geschwätz. An ande­rer Stelle wird die Literaturwissenschaftlerin Yeboaa Ofosu zitiert, lang­jäh­ri­ge Präsidentin der städ­ti­schen Literaturkommission von Bern: «Es gibt aber kei­ne Kriterienobjektivität. Nur Geschmacksurteile von Experten, und die haben damit umzu­ge­hen, dass ihr Gegenstand nicht auf­hört, sich zu ver­än­dern. (…) Und scha­de, dass nie­mand sagt: Wir sie­ben Ichs, die Kommission, hoch bele­se­ne und erfah­re­ne Personen, aus­ge­bil­det, aber eben Ichs. Sieben ande­re hät­ten mög­li­cher­wei­se anders ent­schie­den.» Die Literaturkommissionen von Stadt und Kanton Bern haben das Buch übri­gens mit klei­ne­ren Druckkostenbeiträgen unter­stützt. Die Kommission des Jahres 2003 sah es eben anders.

Die dia­lo­gi­sche Autobiografie «Alles ist nicht alles» könn­te nicht span­nen­der begin­nen. Wer sich auf Peter Fahr ein­lässt, macht sich auf den Weg in die absur­de Realität, die voll von Gedankenschönheit, Entdeckungsreisen, Begegnungen und unse­rer eige­nen Wahrheit ist. Hier ist im Gegenteil nichts banal – oder viel­leicht alles? Genau mit die­ser Dialektik wird gespielt – das heisst, wir LeserInnen spie­len damit. Peter Fahr denkt sich selbst und die Welt. Und das Denken wird zum inne­ren Dialog.

Peter Fahr, wie gehst Du mit dem angeb­lich feh­len­den Erfolg um?

Ich wer­de älter. Ich wer­de gelas­se­ner. Als jun­ger Mensch denkst du, der Erfolg sei alles. Ich habe geschrie­ben und gekämpft – aber mit der Zeit gemerkt, dass der Misserfolg eine Art Schutzengel ist, der mich vor Vielem bewahrt hat. Da ich nie­man­dem ver­pflich­tet war, konn­te ich publi­zie­ren, was und wie ich woll­te. Das ist sel­ten. Der Offizin Verlag, der mei­ne letz­ten drei Bücher ver­öf­fent­licht hat, lässt mich weit­ge­hend frei und redet nicht drein. Erfolg und Misserfolg sind rela­tiv. Denk mal, Bertolt Brecht bot sei­ne «Dreigroschenoper» ins­ge­samt 42 Bühnen an und alle wink­ten ab. Noch heu­te wird sie auf­ge­führt und ist ein Welterfolg. Das muss man sich mal vor­stel­len. Es ist allein die Angst, die so vie­les – wenn nicht alles – ver­hin­dert.

Mit «Alles ist nicht alles» wagst Du Dich weit über das Balkongeländer hin­aus. Vielleicht erst mal: Was ist alles?

In «Grundloses Glück», dem letz­ten Dialog des Buches, den­ke ich über Gott nach, und der fik­ti­ve Interviewer zitiert den Mystiker Jakob Böhme: «Gott ist das Nichts, das alles wer­den will». Ich ant­wor­te mit dem Gedicht «in umbri­en», das mit dem Vers endet: «alles ist nichts». Worauf der Interviewer mich fragt: «Alles ist nichts – alles ist gött­lich?» Und mei­ne Antwort lau­tet: «Alles ist nicht alles.» Mit gröss­ter Wahrscheinlichkeit gibt es sogar jen­seits von Gott noch etwas. Dann wäre alles tat­säch­lich nicht alles. In Bezug auf mei­ne Autobiografie ist all das, was ich dar­in zum Thema mache, auch nicht alles. Es ist eine erste Bilanz. Ich lebe wei­ter.

Die Autobiografie ist eine lite­ra­ri­sche Grenzform und nicht unpro­ble­ma­tisch. Du schreibst die Deine in Form eines Interviews, in dem Du Dir die Fragen sel­ber stellst. Hast Du Erklärungsnotstand?

Jeder Mensch hat doch Erklärungsnotstand. Sartre sag­te, wir sei­en in die­se Existenz gewor­fen. Und Camus sag­te, die­se Existenz sei absurd, wir wüss­ten nicht, was wir hier sol­len. Da stellt sich die Frage nach dem Sinn des Lebens. Wir haben alle das sel­be Problem. Und dar­über hin­aus: am Ende des Lebens lau­ert der Tod. Der Tod ist das gros­se Mysterium, denn er macht alles zunich­te, was wir uns im Leben an Sinn erschaf­fen haben. Die Not des Menschen ist gross. Zwischendurch gibt es klei­ne Momente des Glücks, sie wer­den aber gleich rela­ti­viert. Das Glück ver­birgt sich im Augenblick, die Weisheit im Augenblick danach. Es kann vor­kom­men, dass ein Schriftsteller in einem Roman mehr von sich erzählt als ich in mei­nem auto­bio­gra­fi­schen Text. Meine Autobiografie ist ein Selbstgespräch. Denken an sich ist ein Selbstgespräch. Du musst mit dir sel­ber reden, damit du einen Gedanken fas­sen kannst. Das Buch ist nichts wei­ter als das Resultat des Denkens über mich und die Welt, über mich in die­ser Welt. Das Ich als ein Beispiel, aber nicht, weil ich so gross­ar­tig wäre, son­dern weil ich mein Leben am besten ken­ne. Das Wichtigste bin aber nicht ich, das Wichtigste sind die Begegnungen, die ich im Leben machen durf­te. Ich traf beein­drucken­de Menschen. Als lite­ra­ri­scher Aussenseiter muss­te ich mich auf die Hinterbeine stel­len und die Unterstützung Gleichgesinnter suchen. So bin ich zu Menschen hin­ge­gan­gen, die mich inspi­rier­ten und die ich über­zeu­gend fand. Ich traf Luise Rinser, Kurt Marti, Hilde Domin und vie­le mehr. Solche Begegnungen berei­chern mein Leben.

Beim Lesen Deiner Autobiografie fand ich den Geisteszustand, mei­ne eige­nen Meinungen zu reflek­tie­ren, sehr anre­gend. Ich glau­be, es gelingt Dir ganz gut, den lesen­den Menschen her­aus­zu­for­dern – im Dialog, mit etli­chen Fakten und eini­ger Provokation. Wohin soll die Reise gehen?

Zum Leser! (Lacht). Ein Buch ist erst fer­tig, wenn es gele­sen wird. Ich wün­sche mir, dass mei­ne Autobiografie gele­sen wird, dass die LeserInnen zur Selbstreflexion ange­regt wer­den. Mein Wunsch ist es, ein ganz gewöhn­li­cher Schriftsteller zu sein.

 

Peter Fahr «Alles ist nicht alles. Dialoge» Offizin Zürich Verlag GmbH ISBN 978–3‑906276–19‑9 504 Seiten, gebun­den

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