«Alles ist Wunderland» – die Zuschauerkritik

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Im Theatersaal, sech­ste Reihe, kurz vor Beginn

K (flü­stert): Hast du gese­hen, zwei Reihen hin­ter uns sitzt Oswald Grübel.
H: Jaja, hab ihn schon beim Apéro erkannt, sie haben Fotos von ihm und sei­ner Begleitung gemacht. Sowieso vie­le Promis hier oder?
K: Ja, aber was macht der Grübel denn hier? Die ande­ren gehö­ren ja alle irgend­wie zum Künstlerkuchen, die Cüplisozis, aber der Grübel passt hier gar nicht hin.
H: Jetzt lass den doch. Hast ja gese­hen, Schawinski und all die ande­ren haben mit ihm gere­det. Vielleicht ist er ja nett.
K: Oder ein­fluss­reich oder ein­fach nur reich? Ou, lueg. Der Depressive kommt auf die Bühne. Schau mal was der anhat. Schön sieht das ja nicht aus mit die­sen Trainerhosen und der Kapuze, so tief im Gesicht. Meinst du der ist auch in Echt so komisch drauf?
H: Psscht!

In der Pause

B (quetscht sich durch die Menge nach draus­sen, die Zigarette bereits im Mund, zwei Cüpligläser in der Hand): Also «Theater» ist das ja nicht unbe­dingt.
F: (Nimmt ein Cüpli) Danke. Überhaupt nicht, nein. Soll es denn Theater sein?
B: Ja, es heisst doch, Poetry-Slam-Theater.
F: Darunter ver­steh ich aber nicht Theater im enge­ren Sinne, das ist doch mehr Poetry-Slam in meh­re­ren Akten.
B: OK, Nico Semsrott und Theresa Hahl sind Slamer, Knackboul ist Rapper und Beatboxer. Aber was machen dann die ande­ren zwei Individualisten auf der Bühne? Die Tänzerin und der Clown? Und es stand ja auch viel Musik auf dem Programm.
F: Der Clown ist zur Auflockerung da und die Tänzerin ver­streut Feenstaub und unter­malt damit den Titel «Alles ist Wunderland». Tschäggsch?
B: Die ist übri­gens die Freundin von Knackeboul, häsch gwüsst?

In der Schlange vor der Garderobe, nach der Vorstellung

G: Ich hät­te ger­ne noch mehr von Knackebouls Beatboxing gehört. Immer wie­der inter­es­sant was man mit der eige­ne Stimme und sei­nem Körper anstel­len kann.
M: Ja, er ist ein biss­chen unter­ge­gan­gen. Und den ande­ren Musiker, den Ludwig Berger, kann ich gar nicht ein­schät­zen. Kennst du die Songs von Element of Crime? Seine Lieder sind im glei­chen Stil. Einfach, aber inhalt­lich span­nend. Nur hat es mich irri­tiert, dass der beim Performen immer Sonnenbrille und Mütze auf hat­te.
G: Naja, die Sonnenbrillen sind unnö­tig, aber das Bühnenbild find ich sonst ganz wit­zig. Halt sehr tra­shig. Passt zu den jun­gen Leuten auf der Bühne. Und alles vol­ler Stromkabel und elek­tri­scher Geräte. Ich stell mir vor, dass die eine jun­ge WG sind und in der Wohnung von Oma woh­nen, die ins Altersheim gezü­gelt ist.
M: Gut gemacht auf jeden Fall. Und dann immer wie­der die­ses Puppen-Motiv. Sogar die Tänzerin hat was Puppenhaftes. Ich find’s unheim­lich. Und die­ses Gruselelement passt nicht zum Rest.
G: Doch doch, den Jungen graust’s doch vor ihrer Zukunft. Nicht?
M: Hast du unser Garderobennümmerli?

Auf dem Heimweg

J: Die Texte von Theresa Hahl, ach, die berüh­ren mich ziem­lich, vor allem der aller­er­ste, der war toll. Ich glaub, die denkt und fühlt wirk­lich so.
R: Mir ist das ein biss­chen zu über­trie­ben, die gan­ze Traurigkeit und der Weltschmerz. So schlecht hat die’s sicher nicht.
J: Es geht ja auch eher dar­um, dass mal jemand sagt, was Sache ist um uns her­um, dass mal jemand in Worte packt, was in uns und unse­rer Welt pas­siert – klar wird’s dann dicht…
R: Mir ist das zu depri­mie­rend fürs Casinotheater. Ich will doch lachen hier. Besonders, wenn das Casinotheater mit die­sem Stück sein zehn­jäh­ri­ges Bestehen fei­ern will. Gut gibt’s den Clown. Sonst würd man ja den­ken, unse­re Welt sei düster und böse.
J: Ist sie das denn nicht?
R: Ach komm, nicht du auch noch. Wie die­se Wunderländler sel­ber sagen: «Das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert.»
J: Und du bist ein­fach extrem ungs­chpü­rig (belei­digt wird der Haustürschlüssel aus der Handtasche gekramt und die Haustür auf­ge­schlos­sen).

In eige­ner Sache: Mit der «Zuschauerkritik» pro­biert kulturkritik.ch ein neu­es Kritik-Format aus. Nicht immer ganz ernst gemein­te Dialoge statt wuch­ti­ges Kritikergedönse, ein Dramulett anstel­le eines Monologs: Die «Zuschauerkritik» lebt von der Überzeugung, dass das, was der eine oder ande­re so meint und was die­ser und jener so denkt, viel­leicht nicht ganz unbe­deu­tend ist. Oder: Der Zuschauer ist der klü­ge­re Kritiker – kor­rekt?. Feedback will­kom­men per E‑Mail.

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