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A Royal Affair – Die Königin und der Leibarzt

Von Sonja Wenger – Freiheit ist ein selt­sa­mes Ding: Die mei­sten Menschen träu­men von ihr, geht es jedoch dar­um, sich die­ses genau­so kost­ba­re Gut zu erkämp­fen, zie­hen es vie­le vor, den alten, aber ver­trau­ten Strukturen ver­haf­tet zu blei­ben. Einer, der ein Lied davon sin­gen konn­te, war Johann Struensee, ein Arzt aus dem 18. Jahrhundert und die Hauptfigur im neu­en däni­schen Königsdrama «A Royal Affair».

Struensee war der Sohn eines deut­schen Pastors und arbei­te­te nach 1757 als Armenarzt im damals von Dänemark regier­ten Altona. 1768 avan­cier­te er zum Leibarzt und eng­sten Vertrauter des däni­schen Königs Christian VII., der als psy­chisch labil galt. Während sei­ner Tätigkeit als Arzt wur­de Struensee zuneh­mend poli­tisch aktiv. Als der König auf Struensees Rat hin das stock­kon­ser­va­ti­ve Parlament ent­mach­te­te und ihn zum Kabinettsminister mit einer Generalvollmacht ernann­te, ver­such­te der Arzt, im Sinne der Aufklärung den gesam­ten däni­schen Staat zu refor­mie­ren. In nur zwei Jahren eta­blier­te er eine effi­zi­en­te­re FinanzPolitik und ein neu­es Gerichtswesen, schaff­te die Folter und die Zensur ab, beschnitt mas­siv die Rechte von Adel und Klerus, und ent­wickel­te Strukturen für eine bes­se­re Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.

Doch Struensee war sei­ner Zeit zu weit vor­aus. Tragischerweise schei­ter­te er nicht nur am Widerstand des ent­mach­te­ten Adels, son­dern auch an jenem der Bevölkerung, die dem radi­ka­len Wandel nicht trau­te. Zum Verhängnis wur­de ihm dabei sei­ne Affäre mit Königin Caroline Mathilde, die sei­nen Gegnern als Vorwand für eine Anklage wegen Hochverrats dien­te. Struensee wur­de 1772 zum Tod ver­ur­teilt. Die Königin, die mit ihm eine Tochter hat­te, muss­te ins Exil, und der Adel führ­te sei­ne alten Privilegien wie­der ein. Erst ein Jahrzehnt danach wird es den Königskindern gelin­gen, Struensees Visionen in die Tat umzu­set­zen und dadurch Dänemark nach­hal­tig zu erneu­ern.

Diese rea­len Ereignisse blei­ben bis heu­te ein gewich­ti­ger Teil des däni­schen Geschichtsbewusstseins, haben immer wie­der als Vorlage für Romane, Dokumentarfilme, eine Oper und ein Ballett gedient, und nun auch Eins-zu-Eins für «A Royal Affair». Regisseur Nikolaj Arcel hat, zusam­men mit dem Drehbuchautor Rasmus Heisterberg sowie mit Lars von Trier als Produzenten, ein ein­drück­li­ches, respekt­vol­les Porträt der drei Hauptpersonen geschaf­fen. Dabei hat er wohl­tu­end auf jede Form von Pathos ver­zich­tet und statt des­sen ver­sucht, die best­mög­li­che histo­ri­sche Authentizität zu errei­chen. Mit Erfolg.

Es ist Arcel zudem gelun­gen, aus sei­nen drei Hauptdarstellern Mads Mikkelsen (Struensee), Mikkel Følsgaard (König Christian) sowie Alicia Vikander (Caroline Mathilde) eine fan­ta­sti­sche schau­spie­le­ri­sche Leistung her­aus­zu­kit­zeln, die es dem Publikum ermög­licht, die Beweggründe der Charaktere zu ver­ste­hen, ob man sie nun mag oder nicht. Besonders Mikkelsen besticht durch eine fein­sin­ni­ge und zugleich wuch­ti­ge Ausdrucksweise in der Darstellung des hoch­in­tel­li­gen­ten Struensees, der von sei­nen guten Absichten zugrun­de gerich­tet wird.

Die heim­li­che Hauptdarstellerin des Films aber ist die Aufklärung. Gerne wünsch­te man sich von «A Royal Affair» eine inten­si­ve­re Auseinandersetzung mit jenen Werten, die uns heu­te so selbst­ver­ständ­lich schei­nen, die im 18. Jahrhundert jedoch ein revo­lu­tio­när neu­es Denken in allen Belangen des Lebens pro­pa­gier­ten. Was «A Royal Affair» aller­dings her­vor­ra­gend gelingt ist, jene glü­hen­de Hoffnung auf ein bes­se­res Leben und eine gerech­te­re Welt zu ver­mit­teln, die Menschen wie Struensee ange­trie­ben haben muss – die sel­be Hoffnung, die sich in den letz­ten Monaten inner­halb der welt­wei­ten Occupy-Bewegung auf höchst aktu­el­le Weise wider­spie­gel­te. Aufklärung und der Drang nach Freiheit tun Not – damals wie heu­te.

«A Royal Affair – Die Königin und der Leibarzt – En Kongelig Affaere», Dänemark/Deutschland 2012. Regie Nikolaj Arcel. Länge: 128 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2012