Tanze. Fühle!

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By Patricia Schmidt

Beim Betreten der Bühne A des Theaters der Künste sucht man ver­ge­bens nach Halt. Ein Gefühl des Verlorenseins stellt sich augen­blick­lich ein. Keine Stühle, kein mar­kier­ter Halbkreis, der dar­auf hin­weist, man sol­le sich als Zuschauer dort ein­fin­den. Keine erhöh­te Bühne und kein Bühnenbild sind zu fin­den, um die Welt, in die man gleich ein­tau­chen wird, von der lee­ren Halle abzu­tren­nen, einen Schutzbereich zu schaf­fen. Nur zwei weis­se Tücher, mit­ten im Raum auf­ge­spannt, wei­sen dar­auf hin, dass man sich wohl nicht ver­lau­fen hat, nicht ver­se­hent­lich eine lee­re Lagerhalle, ein Provisorium oder eine Probebühne betre­ten hat. Lange hält sich die­ses Gefühl. Die Zuschauer, am Boden kau­ernd, blicken unru­hig umher, zur Decke und auf den Boden, beob­ach­ten ein­an­der und die eige­nen Hände im Schoss. Dann geht das Licht aus.

Als die Tänzerin (Jasmine Ellis) kurz dar­auf mit einer Stirnlampe den Raum betritt, beginnt ein Spiel der Beobachtung. Eine Studie, möch­te man fast sagen. Immer wie­der knipst sie die Lampe aus, wie­der ein, tanzt, rennt, springt, sitzt, berührt sich, dehnt ihren Körper, zieht an ihrem Kostüm (Marisa Tiefenthaler/Elisabeth von der Thannen), öff­net und schliesst Klettverschlüsse. Die Bilder und Geräusche, die dabei ent­ste­hen, blei­ben auch nach zig­fa­cher Wiederholung eigen­wil­lig. Gleichzeitig wer­den Aufnahmen (Video: Jennifer Amelle Vogel), intim­ste Einblicke in Grossaufnahme, des Körpers und der Motorik der Tänzerin auf die Leinwände pro­ji­ziert. Der Zuschauer beob­ach­tet, hört, sieht und ver­schwin­det lang­sam in sei­ne eige­ne Gedankenwelt. So sieht ein Nacken aus, wenn die Haut sich spannt, die Hände, wenn die Finger gegen den Boden drücken, Beine, Gelenke; so hört sich also das Ankleiden und Entkleiden an, das Geräusch von Stoff, wenn man ihn in der Bewegung streift – fast komisch, wie einem das so nie auf­ge­fal­len ist. Dann setzt die Musik ein (Martin von Allmen): schnell, mecha­nisch, Ellis bewegt sich im Takt. Die Gelenke, die Sehnen, die Knochen, die Haut, alles greift inein­an­der wie Zahnräder, alles passt und wirkt dabei beson­ders fremd. Zum Schluss steht Ellis ganz still da, ihr Atem beru­higt sich. Sie steht mit dem Rücken zur Halle und blickt minu­ten­lang auf eine der Leinwände. Darauf ist noch immer sie selbst zu sehen.

Die Sinnlichkeit des Körpers

«see-through», ein Masterprojekt der Zürcher Hochschule der Künste, kom­bi­niert zeit­ge­nös­si­schen Tanz, Video, Ton und Installation (Konzept: Allison Nichol Longtin), um die star­re Trennung zwi­schen Darstellung und Beobachtung auf­zu­spren­gen. In immer neu­en Perspektiven regen die auf Leinwände pro­ji­zier­ten Aufnahmen der Tänzerin zur Bewegungsstudie an, zur Selbst- und Fremdbeobachtung. Stetig ver­mi­schen sich dabei die Einblicke mit den eige­nen sinn­li­chen Erfahrungen und es ist bald fast so, als wür­de man selbst durch die lee­re Halle tan­zen, sich selbst berüh­ren und erfah­ren. Schnell wird „see through“ zur kin­äs­the­ti­schen Erfahrung.

Nach rund einer Stunde endet «see-through» wie es begon­nen hat – mit Dunkelheit und dem Gefühl, beim Verlassen der Bühne A irgend­wo falsch abge­bo­gen zu sein und nicht jene Performance gese­hen zu haben, die man sich doch eigent­lich in die Agenda ein­ge­tra­gen hat­te. Und genau da liegt die Stärke von «see-through». Tatsächlich wer­den Sehgewohnheiten und Sitzmuster gesprengt. Die Unruhe, wel­che die­ser Veränderung ent­springt, paart sich mit der unge­heu­ren Ruhe der pro­ji­zier­ten Aufnahmen. Der Tanz rückt in den Hintergrund und der Körper – jener der Tänzerin wie der eige­ne – wird prä­sen­ter. Später, an der fri­schen Luft, legt sich die­ses Verlorensein, die Unruhe. Man fin­det sich lang­sam wie­der in die gewohn­te Welt ein, spürt sich wie­der im Alltag – nur schei­nen die fünf Sinne plötz­lich mehr zu fas­sen als je zuvor.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/see-through/

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