Moralisches Mashup nach Molière

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By Esther Becker

«Wo befin­den wir uns?», wird von den Schauspielern gefragt. Wir befin­den uns auf der Bühne B des Theaters der Künste, einer Art Blackbox, in die Martin Holzhauer wie­der­um eine klei­ne Blackbox ein­ge­baut hat. Links davon war­ten Möbel und Requisiten, rechts Kleiderstangen voll Kostüme auf ihren Einsatz. Ebenso sie­ben Darstellerinnen und Darsteller. Ausserdem noch ein paar Stativscheinwerfer und Kameras. Auf klei­nen Monitoren in einem Wandregal sind par­al­lel Bilder der Live-Kameras und vor­pro­du­zier­tes Material zu sehen, der Ausschnitt scheint meist der­sel­be, die Bühne auf der Bühne…

Wo befin­den wir uns? «Planet Erde, Europa, Frankreich, Paris», lau­tet ein Vorschlag, «Zürich», ein ande­rer. Man einigt sich auf eine Pariser Wohnung. Wie die­se aus­sieht, wird detail­liert beschrei­ben, die Bibliothek reicht von Sarrazin über de Sade bis hin zu Greys «Die Juliette Society». Dieses Werk taucht spä­ter als Bühnenrequisit auf, eben­falls ein «Menschenfeind» in Reclam-Ausgabe, aus der dann ver­meint­lich spon­tan auch vor­ge­le­sen wird. In der Manier eines poli­zei­li­chen Profilers, mit Taschenlampen, Gummihandschuhen, Absperrband wird der Tatort unter­sucht und das Verbrechen rekon­stru­iert: Jemand hat die Wahrheit gesagt, hat an etwas geglaubt!

Ambitionierte Collage

Was wir sehen, ist geschickt col­la­giert, for­dert den Zuschauer in die­ser Mehrbödigkeit aber auch ordent­lich her­aus. Als Absprungbrett in die Stückhandlung dient eine mit Anglizismen und Kalauern bespick­te Profiler-TV ‑Serien Persiflage des Duo infer­na­le Peter und Frank (Jürgen Herold und Julian Boine). Nun springt in einer regel­rech­ten «Profilerattacke» Boine als Oronte in die Szene, in der gera­de Alceste sei­ne Dichtung kri­ti­siert. Weiter geht es mit einer Unten-ohne-Gesangseinlage (Britneys «Oops, I did it again»), bei der wir aller­dings nichts zu sehen bekom­men, da sich der Schauspieler sein Genital zwi­schen die Beine geklemmt hat. Verwirrspiele und Rollenbrüche aber auch dazwi­schen. Wer spielt Alceste? Der «afro ame­ri­can» (Patrick Balaraj Yogarajan)? Geht nicht, also gibt Raphael Tschudi den Misanthrop in die­ser ambi­tio­nier­ten Collage.

Eine Collage nach Molière, so könn­te man das Produkt nen­nen. Das Wörtchen «nach» deu­tet hier auf eine fast unter­bruchs­lo­se Kette von Einsprengseln von zeit­ge­nös­si­schem Fremd-Text bzw. ‑Material. Die Szenen, die dadurch ent­ste­hen, sind nicht ein­fach zu beschrei­ben. Ein White-Trash-Männerabend mit Pädophilenwitzen und Vergewaltigungsphantasien? Ein Mädelabend mit cho­ri­schem Orgasmus und hym­ni­schen Grey-Zitaten? Sicher ist: Die «zeit­ge­nös­si­schen» Szenen kom­men über eine Nummernrevue nicht hin­aus und ent­wickeln kei­ne eige­ne Kraft. Das Original ver­kommt dabei zum blos­sen Stichwortgeber, die Molièrsche Handlungsebene trägt, so zer­pflückt, das Stück sel­ber auch nicht mehr.

Alternative Dokumentartheater

«Vielleicht machen wir bes­ser Dokumentartheater?». – Die Frage wird wäh­rend eines Umbaus der Bühne gestellt. Als Antwort hören wir eine Tonspur durch die Lautsprecher. Ein Passant ver­sucht dabei zu erklä­ren, was ein Whistleblower sei.. Dokumentarisches Material wird auch in Talkshow-Nummern mit Esther Wyler (gross­ar­tig: Stefanie Mrachacz) und Daniel Vasella ver­bra­ten. «Alle wol­len sie das Wissen. Aber den Träger des Wissens will nie­mand.» Wie die Requisiten, so kom­men auch die DarstellerInnen reih­um zum Zug. Sie dür­fen dann zei­gen, was sie kön­nen. Und das ist eini­ges, die Ensembleleistung ist stark! Doch Sebastijan Horvats Versuch eines Mashups des Klassikers mit Diskurstheater ist ambi­tio­niert – und bleibt dabei lei­der ober­fläch­lich. Die selbst­re­fe­ren­ti­el­len Monologe von Mrachacz und Yogarajan über die Diskriminierung als Deutsche in der Schweiz, bzw. als dun­kel­häu­ti­ger Schauspieler an deutsch­spra­chi­gen Theatern: inter­es­san­te Versatzstücke, die aber im gan­zen Chaos unter­ge­hen. Immer wird noch eins drauf­ge­setzt und so geht dem Abend irgend­wann die Luft aus.

«Eigentlich ist er cool»

Alcestes Probleme als Whistleblower der fei­nen Gesellschaft blei­ben Behauptung, Philintes (Patrick Slanzi) Botenbericht der Gerichtsverhandlung geht im Slapstick-Flirt mit Eliante (Denise Hasler) unter. Generell wird die Stückhandlung auf die Liebesgeschichte redu­ziert, Alceste und Célimène (Sophie Hutter) frö­nen ihrem Rock’n’Roll-Eifersuchtsdrama mit viel Geschrei, Gefummel, und frei­ge­leg­ten Nippeln. Der Entscheidung, dass Alceste am Ende die Stadt ver­lässt, fehlt in der Inszenierung am Theater der Künste die poli­ti­sche Dimension. Beziehungswiese sie wird zu stark ver­ein­facht. «Eigentlich ist er cool», heisst es zu Beginn über Alceste. Und die­se Haltung ent­spricht exakt der (zu deut­li­chen) Moral der zwei­stün­di­gen Geschicht›: Sei cool, und sag dei­ne Meinung, auch wenn das nicht immer so gut ankommt.

From: Moralisches Mashup nach Molière

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