Deutsch sein heisst Vieles sein

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Grössenwahnsinnig und augen­zwin­kernd zugleich reist Christian Heynen für sei­nen Dokumentarfilm «Wer ist Thomas Müller?» quer durch Deutschland und trifft einen Thomas Müller nach dem ande­ren. Der Grund: Christian Heynen möch­te her­aus­fin­den, was es heisst, deutsch zu sein. Dem Bundesamt für Statistik, wel­ches aus lau­ter Mittelwerten einen absur­den Normdeutschen kre­iert, miss­traut er jedoch. Darum sucht er die vie­len Thomas Müllers auf, die Träger des häu­fig­sten Namens Deutschlands sind, und zeigt ein ums ande­re Mal deren Unvereinbarkeit mit der Statistik.

Da ist zum Beispiel Thomas Müller, der Komiker. Er ver­tritt aus­ge­rech­net eine Eigenschaft, die dem typi­schen Deutschen häu­fig abge­spro­chen wird: Er kann ande­re zum Lachen brin­gen. Auch Thomas Müller, der Pfarrer, lebt ein unty­pi­sches Leben. Er sor­ge ver­mut­lich allei­ne dafür, dass in Deutschland durch­schnitt­lich noch 0.1 Gebete pro Tag gespro­chen wer­de – so ein lie­be­voll-zyni­scher Kommentar aus dem Off. Thomas Müller ist aber auch der work­aho­li­sche Börsenanalytiker, der in den 1990er Jahren etwas Kunst gemacht hat, «so Richtung Warhol, als die ersten Computer-Design-Programme auf­ka­men», und der sich als irr­sin­nig schlech­ter Plakat-Zusammenroller ent­puppt.

Individuelle Durchschnittsbürger
Mit viel Humor nähert sich der Film die­sen Herren Müller an, die gera­de in ihrer Alltäglichkeit und ihren klei­nen, aber eige­nen Macken schrul­li­ge Gestalten sind. Dabei ver­wun­dert es nicht, wenn den Müllers kei­ne gran­dio­sen Lebensweisheiten über die Lippen kom­men. Ihre Aussagen umkrei­sen stets Schlagzeilen-Themen, Klischees und wie­der­ge­käu­tes Wissen – Durchschnittliches eben, wenn auch alle von ihnen das Weltgeschehen auf­merk­sam ver­fol­gen.

In den Passagen, in denen Christian Heynen von Thomas Müller abweicht, hat der Film hin­ge­gen sei­ne deut­li­chen Schwächen. Ein namen­lo­ser deut­scher Soldat in Afghanistan bringt eine über­grei­fen­de poli­ti­sche Dimension hin­ein, die er als ein­zel­ne Figur jedoch nicht aus­fül­len kann. In eher schwer erträg­li­chen Plattitüden wird das Thema des Dienstes am Vaterland ange­schnit­ten und fal­len­ge­las­sen. Daneben darf natür­lich auch der deut­sche Ausländer nicht feh­len. So wird ein bestens inte­grier­ter syri­scher Familienvater als Muster-Migrant vor­ge­führt. Dessen freund­lich-insti­stie­ren­de Betonung, im Innern ein rei­ner Deutscher zu sein, ist zwar irgend­wie berüh­rend. Doch muss Integration tat­säch­lich so weit gehen? Muss ein Ausländer bereit sein, sei­ne kul­tu­rel­len Wurzeln voll­stän­dig abzu­le­gen? Dieser Themenkomplex ist zu gross, als dass er in so kur­zer Zeit ange­mes­sen behan­delt wer­den könn­te.

Die Deutschen sind kei­ne Nazis mehr
Der Film sucht nach dem Gefühl, was es heisst, deutsch zu sein. Dies ist ein lobens­wer­tes Vorhaben für eine Frage, die bis zur Fussballweltmeisterschaft in Deutschland kaum jemand so zu fra­gen getrau­te. Und tat­säch­lich, in Beschreibungen des Deutschen tau­chen im Film tat­säch­lich erstaun­lich häu­fig Rückgriffe auf Kriegerisches, Pedantisches, Metallisches auf. Der Ton der Interviewten, von denen sich bis auf den Soldaten und den Muster-Migranten nie­mand stolz auf sei­ne deut­sche Nationalität zeigt, ist aber auch immer durch einen selbst­kri­ti­schen Ton gekenn­zeich­net. Keiner der Interviewten hat Angst, sich selbst auf die Schippe zu neh­men. Gemeinsames Lachen über sich selbst ist eben auch eine Art des Zusammengehörigkeitsgefühls.
Die Sohn-Generation von Thomas Müller, die heu­te im sta­ti­sti­schen Mittel Jan Müller heisst, kommt im Film auch zu Wort. Jan Müller denkt, dass die Deutschen von ande­ren wie von sich selbst immer noch haupt­säch­lich über die Zeit des Nationalsozialismus defi­niert wer­den. Und obwohl man die­se Zeit nie wie­der ver­ges­sen dür­fe, sei sie ihm selbst aber nicht mehr so wich­tig, dass er «jeden Tag dar­an den­ken muss». Heynes Verdienst ist dabei sein Mut, die­ser Generation eine Stimme zu geben.
Den Film in sei­ner vol­len Länge zu sehen ist nicht unbe­dingt Pflicht – von Heyne und sei­ner Idee gehört zu haben hin­ge­gen schon.

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