Hausbesuch in der Peripherie

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Hausbesuch in der PeripherieDas Konzept der orts­spe­zi­fi­schen Performances, die aus­ser­halb von kon­ven­tio­nel­len Theaterräumen statt­fin­den, ist nicht neu. In der 2002 von Matthias Lilienthal kon­zi­pier­ten Veranstaltungsreihe «X‑Wohnungen» wur­den meh­re­re Privatwohnungen bespielt. «Ciudades Parralelas» (Kaegi/Arias), zunächst in Berlin, Buenos Aires und Warschau, führ­te die Zuschauer 2011 in der Zürcher Version u.a. in eine Chipsfabrik. Mit «Gastspiel» nimmt Zürich nun im bien­na­len Rhythmus ein ähn­li­ches Format auf, die­ses Jahr in der Grünau.

Gut, dass ich mit dem Ticket einen Lageplan bekommt. Vom Zuschauer wer­den im Vorfeld weg­wei­sen­de Entscheidungen gefor­dert, nicht nur in geo­gra­phi­schem Sinne. Nebst den Spielorten, die gefun­den wer­den wol­len, kann / darf / muss ich mir mei­ne Hausbesuchstour selbst zusam­men­stel­len. Was ein wenig Recherche im Vorhinein bedeu­tet, je nach­dem wie sehr man sich über­ra­schen las­sen möch­te. Ein Risiko, das ein­zu­ge­hen man gewillt sein mag, da einen kein drei­stün­di­ges Epos erwar­tet, son­dern drei je halb­stün­di­ge Performances.

Einstieg

Die Auswahl der Produktionen ist sehr viel­sei­tig, aller­dings läuft nicht alles über die drei Tage hin­weg. Ich ent­schei­de mich für zwei als orts­spe­zi­fisch beschrie­be­ne Arbeiten, den Altersheimbesuch mit Cie. Frakt und die Grottenexpedition mit Balz Isler, und begin­ne den Abend mit der Cie. Sündenbock unter der Regie von Fiamma Camesi. «Orakel Labor 1. Das ent­zieht sich mei­ner Kenntnis» fin­det in der Küche einer Wohnung am Grünauring statt. Ich beob­ach­te einen im Halbdunkel am Küchentisch schla­fen­den Mann, zu dem eine Frau tritt, die selt­sa­me Rechtecke auf ein Papier zeich­net und den Schlafenden foto­gra­fiert. Hinter ihnen läuft eine Videoprojektion (von Nicole Biermeier), die fast das­sel­be zeigt, was live geschieht, aber eben nur fast, und das ist das Geniale dar­an. Die Asynchronität zwi­schen Live-Aktion und Video eröff­net eine neue Dimension. Ist es die Zukunft, die wir dort sehen kön­nen, die Vergangenheit oder ein (Wunsch)traum? Die Details im Setting – wie etwa die einer Kristallkugel ähn­li­chen weis­sen Lampe, oder weis­ses Plastikbesteck, mit dem der Mann spä­ter rück­lings ein Weinglas zu tref­fen ver­sucht –, sind klug und prä­zi­se ein­ge­setzt.

Die Frau geht, der Mann erwacht, und wird von einer wei­te­ren Frau, die in die melan­cho­li­sche Stimmung her­ein­platzt, gefragt, was er alles tun wür­de, um sei­ne Exfreundin zurück zu gewin­nen. Aufs Biertrinken ver­zich­ten? Oder sich gar den klei­nen Finger abschnei­den? Der dia­lo­gi­sche Teil fällt in sei­ner Eindeutigkeit lei­der etwas ab, ist man so ver­wöhnt von der Subtilität und Magie der Sequenzen ohne gespro­che­nen Text, die nach die­sem Intermezzo wie­der wei­ter­ge­spon­nen wer­den. Dieses ins­ge­samt gelun­ge­ne Etappenziel im Wohnzimmer macht Lust auf das fer­ti­ge Stück: «Alles wird gut» wird im März 2014 im Théâtre de l’Arsenic in Lausanne zu sehen sein.

Abstieg

Der Ausflug in die «Grotta Grünau» begann viel­ver­spre­chend, doch so gern ich Balz Isler, in Sicherheitsweste und Helm geklei­det, aus­ge­rü­stet mit diver­sen Technischen Spielereien, Mini-Beamer, Mini-Boxen, Loopgeräten etc. fol­gen woll­te – ich blieb auf Dauer aus­sen vor. Was unter ande­rem dar­an lag, dass er sei­ne Materialsammlung so unent­schie­den prä­sen­tier­te, dass jedes ein­zel­ne Element, das an und für sich sehr viel Potential haben könn­te, in der Menge unter­ging. Sein Vortrag wech­sel­te ohne nach­voll­zieh­ba­re Motivation zwi­schen vor­pro­du­zier­tem Video auf dem i‑Pad und Live-Lesung mit Gesangseinlagen. Viel gewollt, doch von Verdichtung jeg­li­cher Art kei­ne Spur, man hät­te sich eine(n) hart durchgreifende(n) DramaturgIn gewünscht. So blieb der Rundumschlag mit Hang zum Pädagogischen mehr­heit­lich an der Oberfläche. Oder soll­te ich sagen: In der Peripherie.

Ausstieg

Der Besuch im Altersheim von der Cie. Frakt. Anstatt einer Theaterarbeit, die, laut Ankündigungstext, vom «vir­tuo­sen Umgang mit vor­ge­fun­de­nen Begebenheiten» geprägt sei, wohn­te ich einem plat­ten Sketch auf Schultheaterniveau bei. Dessen Inhalt bestand dar­in, dass ein schmie­ri­ger Fernsehreporter die jüng­ste Heimbewohnerin der Schweiz dar­über aus­fragt, war­um sie mit 27 Jahren schon ins Altersheim gezo­gen sei. Vorher bit­tet er sie noch eine alte Strickjacke über ihr schwar­zes Kleid zu zie­hen, für das Fernsehpublikum müs­se alles «total ein­deu­tig sein». Total ein­deu­tig war lei­der auch alles, aber wirk­lich alles an der Inszenierung. Vom Text, wel­cher zwi­schen­durch auch noch mit pseu­do­po­li­ti­schen Häppchen wie der «Bankenkrise» auf­ge­war­tet wur­de, bis hin zum pseu­do-par­ti­zi­pa­ti­ven Umgang mit den Zuschauern, in Form des obli­ga­to­ri­schen der-Moderator-übt-mit-dem-Studiopublikum-die-Klatschkommandos.

Dass das Ganze im Foyer des Alterheims statt­fand, bot kei­ner­lei Mehrwert und hat­te auch kei­ne Konsequenzen. Das Stück hät­te über­all statt­fin­den kön­nen. Ortsspezifität gleich null. Die Heimbewohner blie­ben die­ser Veranstaltung wohl­wis­send fern, waren bei der (auch im Stück erwähn­ten) Trachtengruppe neben­an. Das ein­zig Interessante an «Heimwärts» war die Information, dass ein Tag im Altersheim Grünau 130 Franken kostet. Sofern das anstän­dig recher­chiert wor­den war.

Versöhnt wur­de ich auf dem Nachhauseweg von einer klei­nen Performance an der Tramhaltestelle Bändliweg. Die hat­te aller­dings nichts mit dem Gastspiel-Festival zu tun: Ein Fuchs trab­te neben mir über den Bürgersteig. Dafür hat sich mein Ausflug in die Peripherie auf jeden Fall gelohnt.

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