Der schärf­ste Special Effect, den das Schreiben zu bie­ten hat

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(Constantin Seibt) –

Es ist der cool­ste Spezialeffekt im Business, und wenn es so etwas wie Gerechtigkeit gäbe, dürf­te ich ihn nie mehr benut­zen.

Denn ich habe mein Lebenskontigent bereits in einem ein­zi­gen Sommer ver­schleu­dert. Mit 22 schrieb ich mit einem Freund, Michael Spittler, einen Krimi mit dem Titel «Das Unglück». Wir schrie­ben abwech­selnd Kapitel um Kapitel. Und ver­such­ten, den ande­ren zu beein­drucken. Mit Sätzen wie:

Der Verkäufer blick­te auf, als hät­te ihn sei­ne Darmflora gebis­sen.

Den Rest des Weges hing ein Schweigen über ihnen, fin­ster und schwer wie der aus­ge­stopf­te Pottwal über dem Empfangssaal des bri­ti­schen Marinemuseums.

«Wofür denn?», frag­te der Kommissar säu­er­lich wie eine Katze, die eine Mickey Mouse aus Seife ver­schluckt hat­te.

Es war ein heis­ser, end­lo­ser Sommer. Als die ersten Herbstregen nie­der­gin­gen, wuss­te ich, dass ich glück­lich ster­ben wür­de, egal was noch pas­sier­te. Alles, was zähl­te, war wie durch ein Wunder Wirklichkeit gewor­den: Ich hat­te eine Freundin und ein Buch. Aber ich wuss­te auch, dass ich mit es den Wie-Vergleichen über­trie­ben hat­te, und mich fort­an knapp hal­ten muss­te. Das war der Preis und kein gerin­ger.

Aber was für mich gilt, gilt nicht für Sie. Deshalb hier eine klei­ne Bastelanleitung:

Wow! Wumm! Wäääck!

Es gibt zwei Varianten des Wie-Vergleichs. Die erste ist nütz­lich, ver­dienst­voll, lei­der nur mäs­sig inter­es­sant. Sie ver­gleicht etwas Unbekanntes mit etwas Bekanntem. Etwa:

Mond und Erde ver­hal­ten sich wie ein Tennisball, der sich um einen Medizinball dreht.

Eine Jacht, so lang wie ein drei­stöcki­ges Haus.

Das ist klar, ver­ständ­lich, Volkshochschule. Aber nichts im Gegensatz zu dem, was sich anstel­len lässt. Denn ein Vergleich macht in einem Text vor allem Sinn, wenn etwas erstaun­lich ist: erstaun­lich gross, erstaun­lich klein, erstaun­lich pein­lich, erstaun­lich behaart, erstaun­lich lie­bens­wert, erstaun­lich was immer. Alles, was wow!, wumm! oder wäck! ist.

Der Job als Autor ist dann, die Verblüffung so aufs Papier zu brin­gen, dass der Leser sie teilt. Und des­halb ist bei Vergleichen die beste Wahl nichts Bekanntes, son­dern etwas Absurdes oder weit Hergeholtes.

Bei der Beschreibung eines Mega-Kreuzfahrtschiffs wähl­te David Foster Wallace etwa die Variante:

… mit einer Schiffsschraube von der Grösse einer klei­nen Bankfiliale.

Das lässt einen stär­ker die absur­de Grösse der Schraube spü­ren als das kor­rek­te­re: von der Grösse einer Kraftwerkturbine. Ähnlich arbei­tet Raymond Chandler: Er beschreibt eine vor­neh­me, her­ri­sche Dame nicht mit: Sie sah wie ein Mann aus. Sondern wie folgt:

Sie trug ein dop­pel­rei­hi­ges Perlencollier. Aber eigent­lich hät­te ihr Kopf bes­ser in ein ein Fussballtrikot gepasst.

Oder er been­det die Beschreibung eines zwei Meter gros­sen, schwar­zen Auftragkillers in weis­sem Anzug mit dem Fazit:

Er war so unauf­fäl­lig wie ein Skorpion auf einer Sachertorte.

Mag sein, dass Ihnen die Beispiele ein wenig gesucht vor­kom­men. Sie sind es nicht. So wie hier, iso­liert und nackt im Laborlicht, sehen sie zuge­ge­ben ein wenig künst­lich aus. In einem Lauftext jedoch tref­fen sie den Leser völ­lig unvor­be­rei­tet als klei­ner sprach­li­cher Schock. Und genau das ist, wofür Vergleiche erfun­den wur­den: zum Transport für klei­ne visu­el­le, gedank­li­che oder mora­li­sche Schocks.

 Orginalität, selbst­ge­ba­stelt

Der gros­se Vorteil des Wie-Vergleichs ist, dass er sich wie eine ver­rück­te Inspiration liest. Aber dass er nicht viel Verrücktheit und Inspiration braucht. Im Prinzip genü­gen etwas Zeit und ein wenig logisch-assio­tia­ti­ves Denken.

Das Wichtigste ist, an der Stelle, wo man etwas Verblüffendes beschreibt, kurz Halt zu machen. Und fünf Minuten zu inve­stie­ren, um über einen Wie-Vergleich nach­zu­den­ken. (Fällt einem kein brauch­ba­rer ein, kann man beru­hig­ten Herzens sach­lich wei­ter­schrei­ben. Man hat es ver­sucht.)

Der Trick in den fünf Minuten ist, logisch vom Kern der eige­nen Wahrnehmung aus zu asso­zi­ie­ren. Manchmal liegt die Lösung ziem­lich nahe. Sagen wir, ein Mann hat ein auf­fal­lend klas­si­sches Gesicht. Vom klas­si­schen kom­men Sie schnell auf:

Er hat­te das Gesicht eines Kaisers auf einer römi­schen Münze.

Oder Sie wol­len die Redaktionen der Vergangenheit schil­dern. Damals, als noch über­all Büroflaschen auf allen Tischen stan­den. Das Auffälligste waren die roten, gross­po­ri­gen Nasen. Sie fra­gen sich also, was rot und gross­po­rig ist, und kom­men fast zwin­gend auf die Formulierung…

Die mei­sten mei­ner dama­li­gen Lehrmeister hat­ten Nasen, rot und gross­po­rig wie der Mars.

Sie kön­nen auch kom­ple­xer arbei­ten. Etwa im Fall des Japanischen T‑Shirt-CEOs Takefumi Hori, der von sei­nen kor­rekt im Anzug stecken­den CEO-Kollegen als Skandal wahr­ge­nom­men wur­de. Hier kön­nen Sie sich fra­gen, wie Sie den Schock an den Leser brin­gen. Notieren Sie auf der einen Seite Dinge, die extrem for­mell und seri­ös sind. Also etwa: die Venus von Milo, die Queen, die NZZ, König Artus’ Tafelrunde. Notieren Sie auf der ande­ren Seite Dinge, die extrem unan­stän­dig oder unse­ri­ös sind. Also etwa: ein Vibrator, ein Totenkopftatoo, eine Tube Gleitcreme oder Bilbo, der rosa Gummielefant. Dann mixen sie:

Takefumi Hori wirk­te unter sei­nen CEO-Kollegen etwa so dezent wie ein Vibrator in der Venus von Milo.

Hori pass­te in die Japans Chefetagen wie ein täto­wier­ter Totenkopf auf den Oberarm der Queen.

Auf den Fotos mit den ande­ren Firmenbossen wirk­te Takefumi Hori so schockie­rend wie eine Anzeige für Gleitcreme im Wirtschaftsteil der NZZ.

Dieser Mann als CEO – das war, als hät­te König Artus’ Tafelrunde Bilbo, den rosa Gummielefanten, auf­ge­nom­men.

Zugegeben: Auch die­se Sätze wir­ken – noch mehr in ihrer Häufung – zwei­fel­haft. Nur, nach einer prä­zis beschrei­ben­den, sach­li­chen Passage explo­diert einer der obi­gen Sätze wie eine klei­ne Bonbonbombe. Wichtig ist nur, dass man ihn ohne Warnung bringt. Die unvor­be­rei­te­ten Leser wer­den ihn als Höhepunkt ihrer Lektüre am Frühstückstisch wahr­neh­men. Manche auch als Tiefpunkt. Aber wahr­neh­men wer­den sie ihn.

Natürlich muss nicht jeder Wie-Vergleich grell sein. Sie kön­nen auch dezen­te Bilder wäh­len. Etwa bei der Kurzreportage zur letz­ten Novartis-GV. Dort stell­te sich das Problem, wie man die letz­te Rede des abtre­ten­den Bosses Daniel Vasella beschrei­ben könn­te. Sie war ele­gant, schnell und reue­los. Ich schrieb die Adjektive hin und bemerk­te, dass sie noch zu wenig Gewicht hat­ten: Sie gin­gen im Text unter. Also über­leg­te ich fünf Minuten, was ele­gant, schnell und reue­los wäre. Und kam auf fol­gen­de Lösung:

Es war eine Rede, so geschmei­dig und reue­los wie eine Katze, die sich durch einen Zaun quetscht.

Dann schrieb ich glück­lich wei­ter, wie jemand, der gute Arbeit gemacht hat.

Der Vergleich als Waffe

Was auf­fällt, ist, dass Wie-Vergleiche oft einen Zug ins Aggressive haben. Das liegt an ihrer Doppelnatur. Sie bestehen aus zwei Komponenten, die auch für sich allein alles ande­re als harm­los sind.

Zum ersten braucht ein guter Vergleich als Rohmaterial Verblüffung und prä­zi­ser Beobachtung gleich­zei­tig. Das ent­spricht ziem­lich genau dem Blick eines Kindes. Und Kinder sind manch­mal grau­sa­me Wesen.

Zum zwei­ten bestehen Vergleiche zur Hälfte aus rei­ner Sprache. Und Sprache ist weit mehr als das Werkzeug, um die Wirklichkeit zu fas­sen; sie ist auch ihre schärf­ste Konkurrentin. Sie ist Beschreibung der Welt und Gegenwelt in einem. Frei gelas­sen, neigt Sprache dazu, die Wirklichkeit zu ver­ach­ten: als lästi­ge Diktatorin. Es ist kein Zufall, dass die expe­ri­men­tell­sten Autoren, Dadaisten und Surrealisten, oft blut­rün­sti­ge Texte schrie­ben. («Der ein­fach­ste sur­rea­li­sti­sche Akt ist auf die Strasse zu gehen und einen Menschen zu erschies­sen», schrieb etwa Breton.) Oder dass noch der schlech­te­ste Roman den deut­li­chen Snobismus ver­strömt, die bes­se­re, weil kom­plet­te­re, logi­sche­re, run­de­re Wirklichkeit zu sein. Sprache ist eine Dienstmagd, die auf Revolution sinnt.

Wie-Vergleiche sind also der Wirklichkeit ver­pflich­tet; aber mit einer Verachtung der Wirklichkeit. Das macht aus ihnen eine schar­fe publi­zi­sti­sche Waffe. Ganz neben­bei kann man damit ziem­li­che Hiebe aus­tei­len. Etwa wie folgt:

{Sie beob­ach­ten, dass Daniel Vasella eine erstaun­lich hohe Stimme hat und schrei­ben:}

Daniel Vasella, der all­mäch­ti­ge Chef bei Novartis, spricht mit der Stimme einer Salondame.

{Sie beob­ach­ten, dass Roger Köppel mit den Jahren immer schmal­lip­pi­ger wird und schrei­ben:}

Roger Köppels Lippen sind so hart und schmal gewor­den, dass man pro­blem­los damit Fussnägel schnei­den könn­te.

Wehren kann sich dage­gen nie­mand, solang die Beobachtung dahin­ter stimmt. Und solang man nicht über­treibt. (Deshalb, weil eine Häufung bös­ar­tig und unfair wirkt.) Ein oder zwei Hiebe pro Text müs­sen genü­gen.

Kein Anwalt kann dage­gen kla­gen. Man kann Sie nur has­sen. Was heisst: Sie kön­nen mit Wie-Vergleichen viel Spass haben, falls in Ihrem schwar­zen Herz noch die Grausamkeit der Kinder wohnt.

Magie

Die Kraft eines Wie-Vergleichs erklärt sich auch aus einer wei­te­ren Tatsache: Er ist ein Spezialeffekt, der der Sprache exklu­siv gehört. Nicht die Musik, nicht der Film, nicht die Fotografie schafft der­art mühe­lo­se Gedankensprünge wie die Sprache. Zwar gibt es Assotiationsversuche: Jazz-Musik, die das Heulen eines Wolfes oder das Gehupe einer Grosstadt simu­liert, Überblendungen im Kunstfilm, zwei ver­blüf­fend ähn­li­che Gegenstände auf Fotos (mit dem Klassiker: Herrchen gleicht Hund). Aber das bleibt fast immer müh­sa­mes Gefummel. Kein ande­res Medium schafft den Sprung von Schiffsschraube zu Bankfiliale.

Hier ist die Sprache ganz in ihrem Reich. Und des­halb bie­tet sie ihrem Autor die Möglichkeit zu Magie. Magie beim Schreiben ent­steht immer dann, wenn die Sprache das Maximum ihrer Möglichkeiten aus­reizt. Als Gegenwelt zur Realität. Und als ihr genaue­ster Ausdruck.

Bei Wie-Vergleichen gibt es hier einen ein­fa­chen Trick, den aus­zu­pro­bie­ren es sich fast immer lohnt. Es ist der Trick, schlicht die Wörter «wie» oder «als ob» zu strei­chen. Und ohne Reserve auf die Kraft des Vergleichs zu set­zen.

So ist die Passage:

Pascal Couchepin stand nach sei­ner Wahl auf dem Balkon und wink­te wie ein König ins Volk.

zwar gut beob­ach­tet und gut geschrie­ben. Aber sie hat deut­lich weni­ger Wucht als:

Pascal Couchepin stand auf dem Balkon. Ein König wink­te ins Volk.

Oder statt

Vreni Spörry betratt den Gerichtssaal auf­recht, eine klei­ne Frau, die so unzer­stör­bar wirk­te wie als aus Stahl.

Vreni Spörry betrat den Gerichtssaal, eine klei­ne Frau, jeder Zentimeter auf­rech­ter, federn­der, unzer­stör­ba­rer Stahl.

Es ist das Vertrauen auf die Macht der Sprache, die sie mäch­tig macht. Wie sehr zeigt eine Passage, die ich 1995 las. Und die ich nie ver­ges­sen habe. Es war ein Porträt der eng­li­schen Sängerin PJ Harvey, von der ich nie eine Platte gehört hat­te. Das Portrait war von Albert Kuhn, ich zitie­re hier den Schluss. Die Passage ist etwas län­ger, aber im Prinzip ist sie nur ein ein­zi­ger bana­ler Wie-Vergleich, aber ernst genom­men.

Als Polly ein­mal nach ihrem Lieblingssänger gefragt wur­de, gab sie eine erstaun­lich schnel­le, fast hart klin­gen­de Antwort: «Elvis Presley». Als ich das las, in einem Wust von gut 50 Artikeln über sie, kehr­ten Ruhe und Gewissheit ein. Endlich konn­te ich mei­nen Beitrag zur eska­lie­ren­den PJ-Mythenbildung for­mu­lie­ren. Wie erklä­re ich Polly Jeans Liebe zu Amerika, ihren US-Akzent, ihre heid­ni­sche Bibeltreue, ihre Verstrickungen mit Männern, selbst ohne Berührung, ihre immer gelas­se­ne­re Zerstörtheit in ihren Liedern?

Ich sage: Elvis lebt. Es hat ihm gefal­len als Zombie zurück­zu­keh­ren und in den Körper die­ser son­der­ba­ren Engländerin zu fah­ren. Denn Polly Jean hat ihn geru­fen.

Nun spukt es in Graceland. Aus dem Kamin steigt Rauch. Der Tote und die Lebende füh­ren einen Haushalt.

Und man muss sagen: Wie unheim­lich stär­ker ist die­ser Schluss, der der Sprache (aber auch der eige­nen Wahrnehmung) voll ver­traut, als der Satz: «Sie ist wie Elvis» oder «Sie ist der eng­li­sche, weib­li­che Elvis.»

Das hat schon teuf­lisch Klasse.

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Dieser Beitag wur­de auto­ma­tisch per RSS auf unse­re Webseite gestellt. Der Originaltext ist über den Tagesanzeiger, dem Blog von Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline – zu fin­den.

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