«Die Wand» im Theater

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Im Theater steht von Natur aus eine unsicht­ba­re, unzer­stör­ba­re Wand zwi­schen Bühne und Publikum. Diesseits befin­den sich die Zuschauer in ihrer Realität des Theaterbesuchs. Jenseits stel­len Schauspieler etwas dar, das im Jetzt und Hier nicht exi­stiert. Diese Wand war in der Premiere von «Die Wand» (nach dem gleich­na­mi­gen Roman von Marlen Haushofer) mit Händen zu fas­sen, was hier als Lob zu ver­ste­hen ist – auch wenn das moder­ne Theater ver­schie­dent­lich ver­sucht, die beschrie­be­ne Wand zu spren­gen.

Die per­fek­te Illusion

Die Protagonistin Eva Lenherr ent­führ­te das Publikum mit ihrem ein­dring­li­chen Spiel aus dem Theatersaal, weit fort in die Welt der erzähl­ten Geschichte. Darin unter­nimmt die Ich-Erzählerin mit Freunden einen harm­lo­sen Wochenendausflug ins Gebirge. Während die ande­ren noch auf einen Umtrunk ins Dorf fah­ren, bleibt sie zurück im Jagdhaus. Am näch­sten Morgen wacht die Frau zu ihrer Verwunderung allein auf. Sie bricht auf in Richtung Tal, stösst jedoch auf dem Weg dahin auf eine unsicht­ba­re Wand. Jenseits davon ist alles tot. So beginnt eine Robinsonade. In ihrem Verlauf wan­delt sich die Wand immer stär­ker zur Metapher. Sie erweist sich als Membran, die das Ich von sei­ner Umwelt schei­det. Die Wand ver­kör­pert die unüber­wind­li­che Grenze zwi­schen innen und aus­sen. Die Erzählerin schot­tet sich ab und fin­det im Alleinsein ihr Selbst.

Eva Lenherr ent­führt den Zuschauer wir­kungs­voll auf eine Bergwiese, so dass man die Blumen und Kräuter fast rie­chen kann, und sie schil­dert ein Gewitter so, dass man sich unwill­kür­lich vor den Blitzen duckt. Die Schauspielerin trägt Stellen aus dem Buchtext vor, wodurch zunächst ein­mal die lite­ra­ri­sche Meisterschaft der Marlene Haushofer zur Geltung kommt. Die Auswahl der Textstellen und ihre Montage sind indes bereits eine Leistung der Bühnenbearbeitung. Eva Lenherr wie­der­um gelingt es, den Text dra­ma­tisch auf­zu­la­den.

Eine Neuinterpretation

Einen schwe­ren Stand hat, wer ein gelun­ge­nes Buch ver­filmt oder auf die Bühne bringt. Er tritt gegen fixe Erwartungen in den Köpfen der Zuschauer an. So zeigt Eva Lenherr eine ange­spann­te, nahe­zu dem Irrsinn ver­fal­le­ne Einsiedlerin, wäh­rend die Frau im Buch gelas­se­ner und ver­nünf­ti­ger wirkt. Doch Eva Lenherr setzt ihre Sichtweise des Textes durch und ver­schafft ihr Glaubwürdigkeit. Gerade weil sie sich die Freiheit für eine per­sön­li­che Interpretation nimmt, besteht sie auch neben dem Buchtext. Das ist eine ein­drück­li­che Leistung, zumal sie die Rolle zwei Stunden lang ohne Pause ganz allein spielt.

«Ganz allein» – das stimmt nicht ganz. Eva Lenherrs Spiel wird musi­ka­lisch beglei­tet. Die Komposition des «Ensemble TaG Neue Musik Winterthur» bie­tet mehr als blos­se Unterstützung der Handlung im Stil von Filmmusik. Es ist ein eige­nes Musikstück, das durch Poesie im Klang fas­zi­niert. Gleichwohl gelingt den Musikern der Einklang mit der vor­ge­tra­ge­nen Erzählung. Nie über­klei­stern die Instrumente die teil­wei­se fei­nen Nuancen des Schauspiels. Das wie­der­um ist auch der Sprechtechnik Eva Lenherrs zu ver­dan­ken, die selbst lei­se Stellen mit Musikbegleitung im Raum zur Geltung bringt.

Einige weni­ge Stellen im Text wer­den ab Tonband gespielt, eini­ge Passagen erzählt Eva Lenherr auf Berndeutsch. Damit wan­delt sie die Tonart der Erzählung und erschafft eine zwei­te Gefühlsebene – ein dra­ma­tur­gi­scher Trick mit ver­blüf­fen­der Wirkung. Das Bühnenbild ist so sim­pel wie geni­al. Es besteht aus Plastikbechern, mit denen so eini­ges geschieht. Mit die­sen ein­fa­chen Mitteln wirkt die Inszenierung – dop­pelt unter­stri­chen! – völ­lig unge­kün­stelt.

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