Bedingungslos? Glücklich!

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Wer kennt nicht die Erfahrung: Man sitzt wäh­rend zwei Stunden auf einem unbe­que­men Stuhl, ist umge­ben von unbe­kann­ten Gesichtern und schaut einem mit­tel­mäs­si­gen bis lang­wei­li­gen Schauspiel zu? In «Youtopia. Das Theater der Wünsche» kann das nicht pas­sie­ren. «Youtopia» behan­delt das Publikum als gela­de­ne Freunde und erar­bei­tet gemein­sam mit ihm die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wol­len.

Einlass ein­mal anders

Ein Bankett erwar­tet das neu­gie­ri­ge Publikum und stellt die­ses vor die erste Aufgabe: sich zu ent­schei­den, ob man Salat, Couscous oder doch Apfelkuchen vor­zieht. Als jede und jeder sei­ne Wahl getrof­fen und einen Platz am Bankett-Tisch gefun­den hat, ser­vie­ren die Schauspieler Wein zum Essen. Einen der­art herz­li­chen und ange­neh­men Beginn eines Theaterabends hat der Autor noch nie erlebt. Als auch der letz­te Gast – denn Zuschauer wäre das fal­sche Wort – bedient ist und sich zufrie­den zurück lehnt, wird in höf­li­cher Manier noch­mals offi­zi­ell begrüsst: «Willkommen in Youtopia!»

Nun geht es zur Sache. Sechs Schauspieler stel­len sich in einer Box – einem Puppenspiel glei­chend – als Figuren aus Anton Tschechows «Drei Schwestern» vor. Ein amü­san­tes Spiel aus Sprache und «bein­lo­sen» Körpern beginnt, wel­ches aber direkt in die Thematik des Abends führt. Denn bald wird klar, dass die Figuren von tief­grün­di­gen Fragen bewegt wer­den: Was ist Glück und wie wird man glück­lich?

Ein Abend der Utopien

«Youtopia» ist, das dürf­te dem Zuschauer (und der Leserin) längst klar gewor­den sein, nicht das gewohn­te Frontaltheater. Eher schon kommt es dem «dia­lek­ti­schen Theater» Bertolt Brechts nahe, denn nun wer­den auch die gela­de­nen Gäste gebe­ten oder genö­tigt, sich im Verlauf des Abends mit der Frage nach dem Glück aktiv aus­ein­an­der­zu­set­zen. So wer­den auf­grund der Menü-Wahl drei Gruppen im Publikum gebil­det. Jede Gruppe besucht nun nach­ein­an­der zwei Stationen in Form von krea­ti­ven Werkstätten: im «Glückslabor» wird das eige­ne Glück ana­ly­siert und im «Knete-Spiel» wer­den ver­schie­de­ne Berufsrealitäten (und die ent­spre­chen­de Lohnsituation) haut­nah erlebt.

Katharina Cromme, Regisseurin und Abgängerin der Zürcher Hochschule der Künste, hat mit ihrem Team einen Abend geschaf­fen, der viel Freude berei­tet und spie­le­risch das Publikum meh­re­re Wege gehen lässt, um zu ermit­teln, was denn Glück bedeu­ten und wie man eine Gesellschaft schaf­fen könn­te, in wel­cher jeder sei­ne per­sön­li­che Erfüllung fin­det.

Das Labor zur Volksinitiative

Inspirieren liess sich die Truppe von der kürz­lich lan­cier­ten Volksinitiative «Bedingungsloses Grundeinkommen für alle». Sie machen aus dem Theater ein zum Labor, in dem Fiktion und Realität sich ver­mi­schen und an neu­en Gesellschaftsentwürfen getüf­telt wer­den darf. Als ein sol­cher Entwurf spielt das bedin­gungs­lo­se Grundeinkommen eine beson­de­re Rolle. Es wird im «Knete-Spiel» als Option ein­ge­führt, erklärt und «erlebt»: Es sichert allen Mitspielern, unab­hän­gig von ihrer gera­de aus­ge­üb­ten Tätigkeit, einen Basislohn, und sie dür­fen damit Häuser und Träume bau­en. Erlebbar wird dadurch die Rolle des Einkommens in unse­rer Gesellschaft, das neben­bei auch Unmut weckt und (uner­reich­ba­re) Träume ent­ste­hen lässt.

Gerade hier zeigt sich die Vielschichtigkeit und Originalität des Abends beson­ders deut­lich. Und die Theaterschaffenden sind, so das Credo auf der eige­nen Website, über­zeugt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg – und wenn es denn ein Holzweg ist. Denn ob das bedin­gungs­lo­se Grundeinkommen eine ech­te Lösung bie­tet, darf und muss jeder Gast für sich selbst ent­schei­den. Ganz im Sinne des dia­lek­ti­schen Theater Bertolt Brechts.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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