Mehr als nur Stimmen

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«Sei eine Frau» ertönt es aus den 25 Mündern des Chores. Doch was bedeu­tet es, eine Frau zu sein? Eine Frage, die die pol­ni­sche Regisseurin und Sängerin Marta Górnicka beschäf­tigt. 2009 stell­te sie einen Sprechchor, bestehend nur aus Frauen, zusam­men. 2010 demon­strier­te Górnickas Chor mit dem Stück «Hier spricht der Chor» erst­mals die unzähm­ba­re Kraft der weib­li­chen Stimmen und gewann eine Auszeichnung für die beste Inszenierung im Bereich Musiktheater sowie eine wei­te­re in der alter­na­ti­ven Theaterszene in Polen. Auch am Zürcher Theaterspektakel sprach der Chor noch­mals und ern­te­te nebst tosen­dem Applaus auch eine Nomination für den ZKB Förderpreis.

Formenreicher Gesang

Stramm und kon­zen­triert ruhen die 25 unter­schied­li­chen Frauen mit­tig auf der Bühne in der Form eines Keils. Eisern steht Marta Górnicka vor dem Chor und beob­ach­tet die­sen beharr­lich. Mit einer zacki­gen Bewegung hebt Górnicka ihre Hand, sodass sich die Stimmen der Frauen erhe­ben. Absolut syn­chron begin­nen die Frauen sich zu bewe­gen und zu spre­chen. Die gebün­del­te Energie der Stimmen fes­selt aku­stisch die Zuschauer. Zu Beginn wird ein ein­fa­ches Rezept auf­ge­sagt. Dabei bre­chen die Sängerinnen aus ihrer anfäng­li­chen stren­gen Formation aus und begin­nen mit schau­spie­le­ri­schen Akzenten ihren Gesang zu fär­ben. Allen vor­an lei­tet Górnicka als Dirigentin, oder mehr als Dompteurin, mit prä­zi­sen Gesten den Chor. Immer lei­den­schaft­li­cher sin­gen und spre­chen die Choristinnen und ver­wen­den Formen vom Gregorianischen Chor über den Popsong bis zum Gospelchor. Mit ein­drück­li­cher Präzision vari­ie­ren die Damen mit ihren unglei­chen Stimmen zwi­schen ver­schie­de­nen Gesangsarten  und las­sen dabei an Deutlichkeit und Entschlossenheit nicht feh­len.

Ambivalente Textfragmente

Feminismus gilt in Polen häu­fig noch als lächer­li­che, aus dem Westen impor­tier­te Ideologie. Mit der kom­ple­xen Partitur, die Górnicka für ihr Stück zusam­men­ge­stellt hat, kri­ti­siert sie die zeit­ge­nös­si­sche Sichtweise auf die Frau und macht Weiblichkeit zum Kernthema. Die Textfragmente, unter ande­rem bestehend aus Werbespots, Filmzitaten und Theaterliteratur, geben die Problematik der moder­nen Frau wie­der. «Sei brav, sei klug, sei sexy» rufen ein­zeln die Frauen und erzäh­len davon, dass sie Prinzessinnen auf Coverphotos sind und nur auf ihren Prinzen war­ten. Auch Lara Croft, die Heldin aus den «Tomb Raider»-Spielen, wird zitiert und als Traumfrau dar­ge­stellt. Auf ganz unter­schied­li­chen Varianten nähern sich die Frauen den Texten und erzäh­len Geschichten oder repe­tie­ren immer wie­der ein­zel­ne Sätze. Inhaltlich blei­ben die Sängerinnen immer bei sich selbst. Kein Angriff wird auf das männ­li­che Geschlecht ver­übt. Vielmehr zeugt der Text von Ambivalenz und zeigt die Schwierigkeiten der Frau, die zwar sexy sein und doch in der Gesellschaft nicht nur als ein Körper wahr­ge­nom­men wer­den will; und dies in einer Gesellschaft, in der Medien wis­sen, wie eine Frau zum Objekt gemacht wird. Doch wo beginnt Weiblichkeit und wann ist eine Frau wahr­haf­tig eine Frau? Auch Górnickas Frauenchor kann die Antworten auf die­se Fragen nicht geben. Was aber die Choristinnen geben kön­nen, sind Stimmen, die sich zu einer eige­nen zusam­men­fü­gen und über die Rolle der Frau spre­chen. Eine star­ke Stimme, die gehört wer­den will und die gehört wer­den soll­te.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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