Art and the City

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Alex Hanimann, Vanessa

Von Rudolf Weiler - Was wie eine ame­ri­ka­ni­sche Fernsehserie geti­telt ist, zeigt Teile von Zürich als Schaufenster auf die moder­ne Kunst. Von Juni bis September hat ins­be­son­de­re „Zürich-West“ das Privileg, Werke von moder­nen Künstlern im öffent­li­chen Raum zu zei­gen. Bevor näch­stes Jahr der Hafenkäse Hafenkran dann doch noch das Limmatquai ziert, hat Zürich die­ses Jahr 43 inter­es­san­ten Künstlerinnen und Künstlern die Chance gebo­ten, im öffent­li­chen Raum ein Werk aus­zu­stel­len. Etwa zehn von den aus­ge­stell­ten Arbeiten sind von Schweizer Kunstschaffenden, die Europäer sind bes­ser ver­tre­ten als der Rest der Welt. Die Löwenbräu- und Maag-Areale sind der wich­tig­ste Umschlagplatz für Gegenwartskunst in der Schweiz: Wo frü­her „Migros-Kunst“ aus­ge­stellt wur­de, wo nam­haf­te Galerien ihren Standort hat­ten, ist in den letz­ten zwei Jahren umge­baut wor­den. Bis zu deren Wieder-eröff­nung steht die Kunst buch­stäb­lich auf der Strasse.

Wie eine Botschaft von einem ande­ren Stern war vor Jahren am Löwenbrau-Haus die Leuchtschrift von Jenny Holzer zu sehen, die damals ziem­lich allein und ver­lo­ren in der Landschaft hing. Nun ste­hen aber ein Vierteljahr bekann­te und unbe­kann­te Namen mit ihren Vorzeigeobjekten mit­ten auf der Strasse, auf Trottoirs und Plätzen, neben Tramschienen. Es ist all­seits bekannt, die „Industriebrachen“ um den Escher-Wyss-Platz boo­men, es wird nach dem Prime Tower an vie­len Orten Grossstädtisches hoch­ge­zo­gen, Büros, Lofts und Ladenstrassen ent­ste­hen. Die Markthalle und die Geschäfte in den Viaduktbögen sind ja schon über ein Jahr eröff­net, auch dies ein Zeichen für die Urbanisierung, eine neue Shopping-Kultur, ein Gegenpol zu den Shopping-Zentren und der Bahnhofstrasse ist ent­stan­den.

Beginnen wir mit dem bekann­te­sten Artisten: Ai Wei Wei hat­te die Idee, den Innenraum im Aussenraum zu zei­gen: Zwei mar­mor­ne weis­se „Lederfauteuils“, Abbilder der belieb­te­sten Sitzgruppe in China, die sei­ner­zeit von Vorbildern im Westen abge­kup­fert wor­den war, also Reproduktion der Reproduktion und Verfrachtung an einen andern Ort der Welt gleich Kunst. Die Pole in Wei Weis Schaffen: Globalisierung, Gewinn und Verlust in Wirtschaft und Kultur pas­sen gut auf den Paradeplatz, das gemüt­li­che Sitzen zu Hause wird zum eher unge­müt- lichen öffent­lich-aus­ge­stellt-Sein. Die har­ten Fakts der Finanzkrise und die Un-Kunst des chi­ne­si­schen „IKEA-Modells“ machen die­se Ikone des chi­ne­si­schen Wirtschaftsbooms zu Objekten der Verfremdung in Zürich. Auch am Paradeplatz: die Performance des jun­gen deut­schen Künstlers Thomas Geiger, der mit einer Geldsammelaktion für sich selbst Fundraising als Kunstform ver­steht (I Want to Become a Millionaire), der damit am Sitz der Zuercher Banken mal schau­en will, wie viel da für Kunst wohl erüb­rigt wer­den könn­te.

Die jun­ge Zürcherin Vanessa Billy fand einen Baukran und Baumaterialien, um Objekte zu kre­ieren, sehr sinn­voll im Umfeld reger Bautätigkeit. Ebenso „Los Carpinteros“ (Schreiner), die  Bohrmaschinen-Köpfe als „Kathedralen“ bezeich­nen und die am Rande des Escher Wyss-Platzes mit ihren kunst­voll gemau­er­ten Backsteinstelen auf die frü­he­re Industrietätigkeit da anspie­len. Die Suche nach inter­es­san­ten Materialien kann dann sehr weit füh­ren: Maurizio Cattelan (It/USA) ver­kunst­et Toilettenpapier und publi­ziert seit 2010 ein Heft, das Toiletpaper heisst und nichts ande­res sein kann oder will. Performance-Artiges als „Publikums-Kunst“ insze­nier­te Hamish Fulton im Juni, als am Limmatufer zwei Menschgruppen von je 250 Performern auf sich zugin­gen und dann den Weg fort­setz­ten, nach­dem sie durch die ande­re Gruppe hin­durch gegan­gen waren. Andres Bosshard und San Keller (bei­de Zürich) haben mit Klangerlebnissen eine aku­sti­sche Note in die Stadt gebracht. Bosshard hat ein hal­bes Dutzend Sound Walks geführt und Keller hat mit „Canti e Grida“ Marktgesänge aus dem 19. Jahrhundert wie­der auf­le­ben las­sen und mit den belieb­te­sten Adjektiven aus dem Ausstellungskatalog der 43 Werke ver­frem­det.

Alex Hanimann schuf aus einem metal­lisch glän­zen­den Stoff die Statue einer Gymnasiastin, die etwa vier Meter hoch ist und denn auch in einem Gymnasium ihren defi­ni­ti­ven Standort erhal­ten soll—vielleicht das über­zeu­gend­ste Kunstobjekt.

Einem Wassereimer (5 Meter hoch) und einem Pumpbrunnen (nicht-monu­men­tal) wer­den durch zwei ver­schie­de­ne Künstler mit dem ele­men­ta­ren Stoff und sei­ner uni­ver­sa­len Bedeutung zu Symbolik ver­hol­fen. Die Natur steht im Zentrum der

Installationen von Lara Almarcegui. Sie hat die Flora auf brach­lie­gen­den Entwicklungsgebieten auf ihre mög­li­che Dynamisierung unter­sucht und doku­men­tiert. Zwei Kuben unter­schied­li­cher Art ste­hen am Schiffbauplatz („The Soapbox“) und Not Vitals „No Problem Sculpture“ mit einer Kantenlänge von 7,5 Metern doch ein gewal­ti­ger Brocken. „The Soapbox“ ist die Nachbildung einer Seifenkiste aus Bronze, auf der eine Schauspielerin täg­lich einen Text rezi­tiert, die Nähe zum „Schiffbau“-Theater ist da natür­lich genau­so wich­tig wie die Tradition der Redner am Speakers Corner am Hyde Park in London.

Die Kunstobjekte befin­den sich in einem Umfeld, das geprägt ist von (Berufs-) Schulen, Partygängern, Geschäftsleuten, von Durchgangs-Verkehr und der Nähe zur Limmat. Die Veranstalter fan­den zunächst, die Objekte müss­ten nicht per­ma­nent über­wacht wer­den, um sie vor Vandalismus zu schüt­zen, min­de­stens ein Objekt ist aber schon ver­sprayt wor­den. Die Verantwortlichen hat­ten bei der Vorauswahl auf soli­des Material geach­tet. Es hat nun ein Umdenken statt­ge­fun­den und eini­ge Artefakte wer­den jetzt von einer pri­va­ten Bewachungsfirma betreut. Die Versicherungssummen sind natür­lich sehr unter­schied­lich hoch, bei Ai Wei Weis Sesseln dürf­te sich die­se auf deut­lich über eine hal­be Million belau­fen, wobei die Sitzgruppe auch durch ein Spezialverfahren gegen Verunzierung geschützt ist. Die Ausstellung von Gegenwartskunst in Zürich ist ein Wagnis. Frühere, popu­lä­re­re Experimente, etwa mit den Plastik-Kühen, Löwen oder Blumentöpfen haben aber gezeigt, dass Objekte im öffent­li­chen Raum von den Passanten sehr wohl wahr­ge­nom­men wer­den und noch lan­ge nach­wir­ken.

© rw 17.7.2012

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